Hinter dem Ende der Welt ist nichts

Berlin, Feb. 2014

Auf einem Fest in Berlin bin ich auf einen Oberpfälzer gestoßen. Ich bin auch Oberpfälzer, seit 20 Jahren lebe ich in Berlin. Ich mag die Sprache der Oberpfälzer. Sie löst etwas in mir aus. Aber es ist nicht leicht, einen Oberpfälzer zum sprechen zu bekommen. Es ist noch schwieriger, wenn der Oberpfälzer betrunken ist.

“Wo kommst Du her?” frage ich den Oberpfälzer.

“Wo soll ich schon her sein?”

“Ich meine, wo, aus der Oberpfalz?” frage ich.

“Na, da halt.” sagt er.

“Aus welchem Ort?” frage ich.

“Na, wo soll ich schon her sein – aus Weiden” sagt er.

“Mein Gott”, sage ich, “es gibt auf der Welt schon noch mehr Städte, als Weiden, sogar in der Oberpfalz!”

“Du – “ sagt er, “mach mir keine Angst!”

Zauber

Mexico-City, Dez. 2013

Es ist ein Zaubermittel, und ich bin immer wieder aufs neue fasziniert, wenn es funktioniert. Obschon es dieses Mittel auch in der Heimat gibt, fällt mir seine Kraft immer dann auf, wenn ich fern von zu Hause bin, in einem Land, dessen Sprache ich nicht spreche und dessen Menschen mir nicht vertraut sind. Wenn ich ratlos, hungrig und durstig an einer Straßenecke stehe, von einem Flughafen ausgespuckt, in einem Land, in dem ich noch nie war. Ich kann die Gesichter der Menschen nicht lesen, sie kommen mir fremd und abweisen vor. Es ist ein Moment der kleinen Verzweiflung, wie wenn man ein altes Auto hat, den Zündschlüssel umdreht und nie sicher sein kann, dass der Motor auch anspringt. Doch das Zaubermittel bring wildfremde Menschen dazu, mir zu helfen, mich mit Taxifahrten, Hotelzimmern und Nahrungsmittel zu versorgen. In einem neuen Land bin ich noch tagelang erstaunt, jedes mal, wenn ich Essen bekomme, im Austausch gegen einen runzeligen Papierschein.

Der erste Schnee

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Toronto, Nov. 2013

Die Bankangestellten waren ganz aufgeregt und als sie hörten, dass ich mir die Jacke extra für meine Reise nach Kanada gekauft hatte, wollten sie unbedingt ein Foto machen. Ich draussen, sie drinnen. Zum Abschied habe ich gesagt, dass das die lustigste Bank sei, in der ich je gewesen bin. Woraufhin die Bankangestellten anfingen zu tanzen: „Awesome!“

Ich staune

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Toronto, Nov. 2013

Ich wandere durch Toronto und staune. Ich komme aus dem Staunen gar nicht heraus. Ich staune über die Wohnhäuser, die überall in den Himmel gebaut werden. Über die Autos, die Eisenbahnschienen, die Wolken am Himmel, die so unglaublich wild und groß erscheinen. Die Luft so dicht, so voll, so sättigend. Ich meine, die Kraft der Wälder zu spüren, die Kraft der menschenleeren Landschaft hinter dieser Stadt. Mich beeindrucken die Baumaschinen, die Stahl- und Eisenkonstruktionen, riesige verfallene Industriemonumente neben blitzenden, neuen, menschenleeren Glaswohntürmen. Es ist als wäre ich in die Zukunft und die Vergangenheit gleichzeitig geschleudert.

Leben in der Vergangenheit

Auf der Reise in Kanada und den USA, Nov 2013

Ich erinnere mich:
In den 90er Jahren wollte ich keine alte Musik hören. Ich wollte meine Zeit nicht mit Oldies im Radio verschwenden und womöglich etwas neues verpassen.

Ich erinnere mich:
Ungefähr um die Jahrtausendwende herum wünschte ich mir, dass nichts mehr erfunden werden würde. Dass keine neuen Bücher geschrieben würden, dass keine neuen Musiken mehr aufkämen, dass keine neuen Filme mehr gemacht werden. Um Zeit zu haben, all das zu sehen, zu lesen, zu hören, zu begreifen, was schon da ist.

Genau das ist geschehen. Heute wird das Vergangene reproduziert, neu gemischt, wiedergespielt und die Lücken, die gelassen wurden, werden gefüllt. Die Lieder, die früher schon hätten gesungen werden können, werden gesungen. Wie in einer nicht enden wollende Gruppentherapiesitzung, in der das Vergangene immer wieder aufgerührt wird.

Wahrscheinlich ist es genau das: Wir versuchen zu verstehen, was wir getan haben. Wir versuchen uns bewusst zu werden.

Wie wird sich die jetzige Epoche in der Zukunft einordnen lassen? Es wird die Zeit sein, in der nichts neues erfunden wurde. Und es ist die Zeit, in der alle in der Vergangenheit gemachten Kulturleistungen gleichzeitig in die Gegenwart gebracht wurde. Ein gewaltiges Unterfangen.

Aus dem Blickwinkel der kommenden Epoche wird dies klar sichtbar sein.
Doch was wird diese kommende Epoche sein?

[to be continued]

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