Vielleicht liege ich falsch. Vielleicht wird die Extreme Geschichte nicht mit Trump gestorben sein.

Wenn Trump nicht fulminant verliert – und danach sieht es noch immer aus – könnte das Trump-Prinzip Politikern der Zukunft als Blaupause dienen. Der Gedanke funktioniert ungefähr so: Trump hätte Clinton besiegt, wenn er nicht zahlreiche Anfängerfehler gemacht hätte. Ein zukünftiger Kandidat wie Trump, der sich jedoch nicht zwanghaft in jedes Rampenlicht stellen muss – gerade dann, wenn es seine Unzulänglichkeiten beleuchtet – würde mit Extremem Geschichtenerzählen Millionen mehr Menschen für sich einnehmen können.

In vorangegangenen Artikeln habe ich immer wieder beschrieben, wie sich beobachten lässt, dass sich in den USA seit einigen Jahren ein alternatives System zum Prinzip der Extremen Geschichte entwickelt und meine These ist, dass dieses System nun soweit ist das Narrative Mainstream System der Extremen Story abzulösen.

Doch vielleicht ist meine These falsch.

Hillary Clinton bekämpft Donald Trump, mit zunehmender Nähe zum Wahltag immer mehr, mit seinen eigenen Waffen. Donald Trump wird von ihr und ihrer Kampagne als das Böse schlechthin dargestellt, als Bully, Zyniker, Menschenverächter. Vielleicht hat sie recht, oder vielleicht muss sie das tun, vielleicht wäre es zu gefährlich das Prinzip der differenzierten Geschichte hier anzuwenden.

Nicht nur Hillary Clinton wendet das Prinzip der Differenzierten Erzählung nicht mehr an. Ich beobachte, dass NPR – National Public Radio – und Vorreiter der Entwicklung der Tools der Multiplen Narration auch in eine extreme Erzählweise zurückfällt. NPR ist im Panikmodus, man erzählt dort wieder so, wie man es vor 5 Jahren getan hat. Das gilt fürs Radio, weniger spürbar bei den Podcasts – This American Life – wohl der Vorreiter der vielschichtigen Erzählung vertraut weiter auf seine Werkzeuge.

Trump muss verhindert werden und um dieses Ziel zu erreichen bedient man sich nun wieder der Tools der Extremen Erzählung.

Doch der Feind ist nicht Donald Trump. Der Feind ist die Extreme Erzählung. Wenn man sich in einer Gefahrensituation des Feindes bedient, wird man ihn nie los.

Diese Wahl hat mich gefangen genommen, wie es Freunde manchmal von spannenden Serien beschreiben. Clinton vs Trump benutzt den narrativen Werkzeugkasten der Hollywood-Geschichte, drückt alle Knöpfe: Es ist ein Kampf gut gegen Böse, es wird eine Entscheidungsschlacht geben, es droht Armageddon.

Ständig gibt es unerwartete Wendungen, die Spannung wird stetig erhöht. Entertainment pur. Es ist nicht auszuhalten. Ich bin so froh, wenn diese Wahl vorbei ist.

Wir Idioten

Die Agenturen melden einen weiteren Angriff. Ein Mann schiesst mit einer Pistole, zündet eine Bombe, greift mit einer Axt an oder mit einem Bügelbrett. Wir sitzen in der Nachrichtenredaktion und wir wissen, dass wir nichts wissen. Oder besser, wir wüssten, wenn wir eine Sekunde hätten, nachzudenken. Es beginnt mit einem Pop-Up-Fenster auf dem Computermonitor: “Attacke auf Passanten in Burglengenfeld, Bayern. Polizei schließt terroristischen Hintergrund nicht aus.” Irgendjemand ruft es laut durch den Newsroom. Es fühlt sich immer etwas seltsam an, wenn so etwas passiert. Es sind widersprüchliche Gefühle, so ähnlich wie “Oh Scheisse, wir haben ein Osterei gefunden!”

Im selben Moment, in dem bei uns die Nachricht auf dem Computermonitor aufpoppt, poppt sie überall auf der Welt in Nachrichtenredaktionen auf tausenden Computermonitoren auf. Man sieht das erste Ergebnis 37 Sekunden später in Form eines Laufbandes bei CNN und BBC. Wir sind nicht ganz so schnell, bei uns dauert es 1 Minute und 17 Sekunden, was zu lauten Unmutsäußerungen im Newsroom führt.

Vor wenigen Jahren war Breaking News noch so selten, dass, wenn das Laufband in Betrieb genommen werden sollte, jemand durch die Redaktion lief und rief: “Kennt sich jemand mir dem Breaking News Laufband aus?”. Damals gab es noch einen speziellen Computer, der erst hochgefahren werden musste.

2 Minuten und 53 Sekunden nach dem Pop-Up ist CNN live, nach 2 Minuten und 58 Sekunden BBC. Ein Nachrichten-Sprecher erscheint auf dem Bildschirm und verkündet dass er nichts weiß.

Naja, verkündet er natürlich nicht – er hatte ja keine Zeit, sich dessen bewußt zu werden. Darüber, dass er nichts weiß und darüber dass man als Nachrichtensprecher niemals sagen darf, dass man nichts weiß. Um über das Letztere nachzudenken, bräuchte man auch viel länger als eine Sekunde. Einen Monat in Klausur auf einer einsamen Insel (ohne Internet) vielleicht. Die rote ON-AIR Lampe leuchtet.

5 Minuten nach Pop-Up sind wir dann auch auf Sendung und schnattern mit den Kollegen von CNN und BBC um die Wette. Richtige Informationen gibt es da natürlich immer noch nicht. Bis klar ist, was eigentlich passierte, werden 7 oder 8 Stunden vergangen sein. Dann wird auch schon einer unserer Leute an den Ort des Geschehens geflogen sein und das Mikrofon mit unserem Logo darauf vor dem Gesicht darüber berichten, auf welchen dunklen Wegen der Täter (13 Jahre, in der Schule gehänselt) das Bügelbrett im Internet bestellt hat.

Einstweilen müssen wir die bildliche Leere füllen, mit Karten, auf denen der Ort des Geschehens mit einem Punkt identifiziert wird, damit dort alle wissen, dass es jetzt Zeit ist, das Mobiltelefon aus dem Fenster zu halten, Fotos zu machen und diese auf Twitter zu laden (#breaking).  37 Sekunden später wird das Bild vielleicht von uns rund um die ganze Welt gesendet. Die Lotterie ist eröffnet und jeder Anwesende kann mitmachen. Jeder kann ein Capa sein. Wir im Fernsehen bedienen uns bei Twitter und keiner der jugendlichen Fotografen, die hier ihr Leben riskieren (noch ‘n Handfoto machen und dann wegrennen oder gleich wegrennen) wird später auch nur einen Cent dafür bekommen. Es sei denn, das Bild wird ikonographisch und der Fotograf hat eigenen ausgefuchsten Medienanwalt an der Hand. Was dann wieder den Capa vom Oskar unterscheidet.

So füllen wir die erste Stunde nach der Tat. Unser nächstgelegener Korrespondent wird angerufen und per Skype zugeschaltet. Das ist praktisch, denn der Korrespondent kann gleichzeitig in die Kamera sprechen, Twitter lesen und (zumindest fast) vor Ort sein.

Auf Twitter ist das Gequatsche schon in vollem Gange. Es wird wild spekuliert und die griffigsten Formulierungen schaffen es sogar zu uns in den Ferseher (mit Namensnennung des Autors – #fame).

Die Bildredaktion greift die Fotos ab, die Social Media Redaktion die Videos. 1 ½ Stunden nach Pop-Up sind dann auch die Bild- und Bewegtbildagenturen soweit. Mehr Bilder trudeln ein, die Bildqualität ändert sich. Profis fotografieren herumschleichende Polizisten in Kampfanzügen. Tatütata.

Die Polizei lässt auf Twitter verlauten, dass der Bügelbrettattentäter immer noch auf freiem Fuß ist und ‘zahlreiche weitere Hinweise’ auf weitere Männer mit Bügelbrettern ‘aus der Bevölkerung’ kommen.

Ein koordinierter Terroranschlag? Nun meldet sich sich endlich auch #ISIS und verkündet, dass dieser Anschlag ein Vergeltungsschlag wäre und sich niemand in der westlichen Welt sicher fühlen solle. Wir Idioten verbreiten das natürlich gerne, es ist wie Medizin gegen den langsam aufkeimenden inneren Zweifel (häh? Bügelbrett?).

Die Menschen wollen gewarnt werden vor terroristischen Gefahren und wir in den Nachrichten machen nur unseren Job.

Am nächsten Morgen stellt sich heraus, dass der Anschlag von einem geistig verwirrtem Täter begangen wurde, der sich im Internet radikalisiert hat. Von einem Einzeltäter kann man nicht sprechen, weil er im Internet noch andere gefunden hat, von denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie nicht, nicht oder doch geistig verwirrt sind.

Der Täter hat sich im Internet radikalisiert, nicht bei uns im Fernsehen. Das möchte ich hervorheben. Das Internet ist Schuld und es bleibt nur noch eine Frage offen: Wann meldet sich endlich Merkel zu Wort?

UNSINN

2016-03 iDOCS

Ich habe auf einer Konferenz einen Vortrag gehalten. Vor 150 Medientheoretikern. Ich habe beschrieben, wie das ständige Sehen von Film unser Denken prägt und immer mehr dazu führt, dass wir an wesentlichen Problemen regelrecht vorbeisehen. Dass wir zunehmend blind werden, für die relevanten Themen und unsere Aufmerksamkeit statt dessen Nebensächlichkeiten schenken.

Der Vortrag ging über 45 Minuten, ich habe zahlreiche Beispiele gezeigt und beschrieben, wie sich Film – insbesondere Hollywoodfilm – entwickelt hat und welche Faktoren dazu geführt haben, dass er so wurde, wie er ist: verführerisch, verblendend.

Ein komplexes Thema.

Nach meinem Talk waren die Reaktionen ausgesprochen positiv. Ich wurde gefeiert. Drei Tage lang. So lange dauerte die Konferenz.

Ich fahre seit 15 Jahren auf Konferenzen und habe schon viele Vorträge gehalten. Doch eine solche Reaktion habe ich noch nie erlebt: Nach dem Vortrag kamen die Leute und haben gratuliert. Das ist oft so, wenn man einen Talk gibt. Im Anschluss kommen Menschen, geben einem die Hand, bedanken sich, oder sagen noch ein, zwei Sachen, die sie nicht in der Q&A äußern wollten. Das kenne ich. Doch diesmal ebbte der Strom nicht ab. Noch Tage später kam ständig wieder jemand, um zu sagen, wie er oder sie, von dem, was ich gesagt hatte, bewegt war.

Ein großer Erfolg, der mich demütig macht. Das, was ich gesagt hatte, war eigentlich nichts anderes, als das, was ich seit Jahren jedem sage, der nicht schnell genug wegläuft. Doch für diesen Talk hatte ich mir große Mühe gegeben, meine Gedanken genau herzuleiten und zu erklären. Und es hatte offenbar geklappt.

Vier Tage nach meinem Vortrag, war die Konferenz zu Ende und ich flog nach Hause. Am Abend war eine Party, auf der ich auf eine Bekannte traf. Noch elektrisiert von dem, was ich zuvor erlebt hatte und nachdem sie unglücklicher Weise gefragt hatte, was ich die letzten Tage gemacht hatte, habe ich es ihr erzählt.

Und sie reagierte ganz normal. Ganz so, wie ich es immer kannte. Sie war empört! Das sei doch alles ausgesprochener Unsinn und sie war wütend, dass ich es wagen würde, Film anzugreifen. Sie liebe Film! Sie liebe es, ins Kino zu gehen und sich in eine andere Welt entführen zu lassen, den Alltag zu vergessen. Was ich sage, sei völliger Quatsch. Ich habe solches schon oft gehört, doch nie nachdem mir 150 kluge Leute aufmerksam zugehört und in überwältigender Mehrheit zugestimmt hatten.

Es erinnert mich daran, wie es mir in der Schule ging. Wie es mir bei meiner Familie ging (und immer noch geht). “Das, was Du sagst ist Quatsch!” Man sagt nicht: “Das ist ein interessanter Gedanke, das muss ich mir durch den Kopf gehen lassen.”

Nein, das Urteil ist schnell und scharf wie eine Guillotine: Unsinn!

BREAKING NEWS – SICHERHEITSRISIKO

2016_07_newsroom

Die Voraussehbarkeit, mit der Medien auf spektakuläre Ereignisse reagieren, ist zum Sicherheitsrisiko geworden. Die Reaktion des Systems ist derart einfach vorhersehbar, dass es auch simpel gestrickte Individuen für ihre Zwecke einsetzen können. Selbst unterbelichtete Kids haben nun die Möglichkeit, zu weltweiter Aufmerksamkeit zu kommen. Sie werden ihr Leben dabei verlieren, doch sie laufen zumindest nicht Gefahr, dass der Plans schief geht und sie am Ende tot sind, sich aber niemand für ihre Person interessiert. Es genügt eine IS Fahne zu schwingen und “Allahu Akbar” zu rufen und einige zufällige Passanten anzugreifen. Billiger war weltweite Berühmtheit nie zu erreichen.

Wenn die Medien sich zurückhalten könnten, nicht jeden Fall, der nur nach Terror riecht, sofort als BREAKING NEWS wichtig zu machen, wenn für potentielle Täter die Gefahr bestünde, dass sie morden und sterben ohne berühmt zu werden: dann hätte sich das Thema schnell selbst erledigt.

[UPDATE nach dem Amoklauf in München, am 22.7.2016:
Binnen weniger Stunden haben sich nicht nur die beiden US-Präsidentschaftsanwärter, auch der US-Präsident selbst zu dem Vorfall in München zu Wort gemeldet.

Wenn es eine Krankheit gibt, dessen Symptom das Bedürfnis nach der größtmöglichen Aufmerksamkeit ist, dann müssen Menschen, die davon befallen sind, einem fast unwiderstehbaren Reiz ausgesetzt sein, den Knopf zu drücken, der diese gigantische Aufmerksamkeitsmaschine in Gang setzt.]

SILVESTER

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An Silvester ist der Teufel ängstlich. Die guten Menschen ziehen durch die Straßen und werfen mit Böllern und schießen Feuerwerkskörper in die Luft. Das macht dem Teufel Angst. Das macht mir Angst. Der Teufel und seine Hexen ziehen sich zurück und suchen Schutz. Die guten Menschen sind auf der Jagd. Die guten Menschen. Die guten Menschen sind nicht gut. Sie ziehen marodierend durch die Straßen. Die guten Menschen haben die Geschichte von den guten Menschen und vom Teufel geschrieben. Es ist Propaganda. Die Teufel und die Hexen sind die, die die Menschen lieben und sich darum bemühen, sie zu verstehen. Die Teufel und Hexen wollen im Einklang mit sich und der Natur leben.

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