So wie das Hirn arbeitet

Es begann, als ich meine Freundin fragte: “Wo hast Du denn dieser leckeren, Nudeln gekauft?” Sie deutete mit der Hand in die Ferne: “In diesem tollen, asiatischen Laden im Wedding, wo wir vor zwei Wochen waren.” Und dann sprach sie darüber, wie bekömmlich diese Reisnudeln wären, viel besser als Weizennudeln, aber da hörte ich schon gar nicht mehr zu, sondern starrte nur starr vor mich hin.

“Sag, mal, kannst Du nicht mal an einem Sonntag mit deiner Freundin kommunizieren?”.

Jetzt war sie beleidigt. Das holte mich wieder in die Realität zurück. “Ahhh,” stiess es nach einer Weile aus mir heraus, Wedding ist gar nicht da,” und ich deutete in die Richtung, in die meine Freundin gerade gezeigt hatte, “Wedding ist da!” und wies mit meiner Hand in die Richtung, in der der Wedding wirklich liegt.

“Ach Quatsch!” meine Freundin deutete in ihre Richtung. Ich deutete nun ebenfalls in ihre Richtung, stand auf und lief aus der Küche ins Wohnzimmer und von dort auf den Balkon, mit dem Arm die ganze Zeit in die Richtung deutend, in der meine Freundin Wedding vermutete. “Schau mal, da drüber, das ist Moabit, rief ich vom Balkon!” und nachdem ich wieder in der Küche war: “Wedding ist da!”.

“Oh Mann!” sagte sie. Ich war ganz begeistert: “Und jetzt weiss ich auch, welchen Laden du meinst!”

“Ok, ok, Du hast ja Recht, mir doch egal.” Jetzt war sie völlig beleidigt. Und ich war sauer, dass sie nicht meine Begeisterung teilte, dass *ich* jetzt endlich wusste, von welchem Laden *sie* sprach.

Was war da passiert?

Dazu muss ich ein wenig ausholen und ein Stück weit erklären, wie mein Hirn funktioniert: Es hat im allgemeinen einen recht guten Orientierungssinn, allerdings ist mein Hirn sehr schlecht darin, sich Namen zu merken. Als also mein Freundin in die Richtung deutete, in der sie den asiatischen Lebensmittelladen vermutete, suchte mein Hirn angestengt nach einer Erinnerung an einen Asiashop, noch dazu einen, den wir gemeinsam besucht hatten und noch dazu, in letzter Zeit. Das lief ins Leere und frustrierte mich unendlich, obwohl ich von diesen Gedankengängen ansonsten gar nichts mitbekam. Mein dummes Hirn hätte einfach die Information “im Wedding” bedenken sollen, tat dies aber nicht, weil es, wie immer, keine Lust hatte, sich mit Namen zu beschäftigen. Erst als überhaupt kein passender asiatischer Laden in dieser Richtung auftauchte, weder in Moabit, noch in Charlottenburg, oder Spandau oder wie die ganzen Bezirke heissen mögen, die von uns aus gesehen hinter Moabit liegen; tauchte endlich, wie eine Blase, die aus den Tiefen des Meeres langsam nach oben steigt, der Name “Wedding” auf. Für mein Hirn die Rettung, sich wieder aus seinen Gedankenspiralen zu befreien:

“Wedding liegt in einer ganz anderen Richtung!”

Meine Freundin hatte von dem Kampf, der gerade tief im Inneren meines Gehirns tobte, natürlich nichts mitbekommen. Wobei, das stimmt nicht. Sie hatte sehr wohl etwas mitbekommen. Ich war ja eine Weile lang, ganz wie ein Computer, der plötzlich auf die Idee kommt, mal eben die Dateien auf seiner Festplatte durchzuzählen, derart mit mir selbst beschäftigt, dass ich *sie* gar nicht mehr wahrnahm. Das hatte *sie* natürlich bemerkt. Und sie war – ganz meine Freundin – ganz eine Freundin – beleidigt.

Drama zweiter Teil:

Als die Blase “Wedding” endlich die Wasseroberfläche meines Bewusstseins erreicht hatte und in dem Satz “Wedding liegt in einer ganz anderen Richtung!” zerplatzte, war meiner Freundin zweierlei schlagartig klar:

1. Ich wollte von dem Vorwurf ablenken, ihr nicht genügend Aufmerksamkeit entgegenzubringen.

2. Ich musste mir mal wieder raushängen lassen, dass ich alles besser wusste. – “Klugscheisser!”

These 1 wurden dadurch unterstrichen, dass ich aufsprang und den Raum verliess, These 2, dass ich wieder zurück kam und ihr, wie ein Katze, die eine tote Ratte mit nach Hause bringt, die neue Richtung Weddings vor die Füße legte. Dabei hätte alles ein beschaulicher Sonntag sein können.

Der Traum vom Früher

Ich sitze in München in einem Hotel beim Frühstückt und belausche ein Gespräch am Nachbartisch. Ein Mann und eine Frau, beide wohl Mitte 50. Die Frau hat mir den Rücken zugewandt. Der Mann schmächtig, die Frau kräftig, die langen grauen Haare streng nach hinten gekämmt und hinter dem Kopf zusammengebunden. Die beiden sind kein Paar. Sie arbeiten beim Film, das geht aus ihrer Konversation hervor. Ich lausche wie gebannt. Meist spricht die Frau, selten der Mann. Sie zieht über zahlreiche Kollegen her, lässt an niemandem ein gutes Wort. Sie ist die größte Giftspritze die ich je gehört habe. Sie redet alle und alles um sich herum klein und es wirkt wie der verzweifelte Versuch sich selbst dadurch Größe zu geben. Die jungen Frauen am Set, die nichts wären und doch überzeugt, eines Tages ganz bedeutend zu sein. Das widere sie an, das halte sie nicht mehr aus und der Verdacht liegt nahe, dass sie in den jungen Frauen sich selbst als junge Frau wiedererkennt. Der Verdacht liegt nahe, dass sie ihr Leben, ihre Karriere als gescheitert betrachtet. Sie wirkt so stark, so tough und doch aus ihren Worten spricht die nackte Verzweiflung.  Sie zerhackt alles um sich herum in kleine Stücke, metzelt alles nieder nur um die anderen überragen zu können. Nur einmal zeigt sie Mitgefühl mit einer Kollegin, die an Alzheimer erkrankt ist. Die Kollegin sei nur wenig älter als sie selbst und mir scheint als würde sie in ihr, ihre eigene mögliche Zukunft betrauern.
Früher war es mein Traum, beim Film zu arbeiten. Den Traum habe ich irgendwann vergessen. Heute habe ich mich wieder daran erinnert und ich bin froh, dass er nicht in Erfüllung gegangen ist.

Weiter im Denken

Vor über 10 Jahren habe ich mir diesen Mülleimer gekauft. Sie wissen schon. Schickes Teil, Treteimer, alt, Metall, weiß, Ebay. Und seit 10 Jahren nervt er mich. Man tritt auf das Pedal und der Deckel klemmt. Nur manchmal, wenn man mehrmals kurz hintereinander drauftritt geht er auf. Manchmal. Ansonsten nimmt man die Hand zu Hilfe. Der Deckel klemmt. Scheißding! Aber weiß, Metall, alt, cool und – Sie wissen schon – nicht billig.

Und dann, nach mehr als 10 Jahren. Ich weiss nicht, warum. Ich war wie immer in Eile. Trotzdem. Ich knie mich vor den Eimer und schaue mir die Sache an. Nach etwa 30 Sekunden habe ich das Problem identifiziert und die Lösung gefunden. Es ist ganz einfach. Im Eimer, ein zweiter Eimer zum Herausnehmen. Und der innere Eimer hat einen Tragebügel. Und der verhakt sich mit dem Deckel, wenn man den Tragebügel nicht ganz gerade ausgerichtet nach hinten legt.

Ich bin zwei Tage lang glücklich. Und noch nach Monaten kann ich mich freuen, wenn ich das Fußpedal leicht berühre und der Deckel aufspringt. Schon eine geniale Sache, so ein Hirn.

Schon einmal bin ich mittels Denken auf eine Erkenntnis gekommen. Ich war wohl 14 Jahre alt. Vielleicht war es das erste Mal, dass mein Denken, ganz aus mir selbst heraus, auf eine Erkenntnis kam. Ich habe es noch genau vor Augen. Ich bin auf meinem gelben Rennrad die Wackersdorfer Strasse hinuntergefahren. Ich bin schnell gefahren. Die Wackersdorfer Strasse ist abschüssig. Die Ampel war grün. Ich schaue zur Seite. Manchmal macht mein Kopf ein Foto, manche Fotos trage ich mein Leben lang mit mir herum.

Auf dem Foto eine Bushaltestelle. Und auf der rechten Seite der Bushaltestelle: ein Mülleimer. Und ungefähr folgende Gedanken gehen mir durch den Kopf: Wieso eigentlich Apfeleimer? Es ist ja nicht so, dass man da nur alte Äpfel oder Apfelstumpen hineinwirft, sondern allen möglichen Kram: Papier, leere Flaschen, Plastiktüten, Müll… Abfall…

“Abfalleimer” – es heisst “Abfalleimer” und nicht “Apfeleimer” – ah!

Ich drehe den Kopf nach vorne und fahre weiter. Der Zukunft entgegen.

Linear and Hyper Linear

2015berlinBalkonUnscharf

Written text is linear(*). One word follows the other. One sentence follows the other. One argument follows the other. Most people think, that this is just like film. But it is not. The difference is obvious when you look at a page of written text. All the information is there at the same time (at least all the information that fits on the page). People sometimes argue that the way you take in text is nonetheless linear, but I doubt that. When I am reading, I do not take in one word after the other. I am aware of words that come later on the page, I cross-read text, and very often (especially when I read English texts, which is not my native tongue) I jump back, to read something again. When I am looking at a word I can see the word before and after, I see the words in context. But the most important difference to film is, that I am in control of the speed, I take in the information.

Film does not give me time to think, when I want it. It gives me time to think when the author wants it. If I start my own thoughts while watching a film, I miss out on the film. At least if I think thoughts that take longer than a few seconds. The flow of the film takes my thoughts away. This is why I usually do not enjoy watching linear films. I tend to get nervous, when I have a thought and I can’t follow it.

So clearly film is linear, but it is more linear than a written text. That is why I call it hyper linear.

Films are shown with more than 25 frames per second(*). Maybe one could say that a frame of a film is like a letter in a text. But nevertheless you can remember what you have seen previous you can not see the next letter, or word. And again, you can not get out of it. One letter follows the next, on word follows the other, no time for me to think, whenever I want. Intentions to think are not a strong signal, they start as weak signal somewhere in my brain. That part of my brain than has to convince other parts of my brain, that there should be focus on this particular thought. But watching a film, where all active senses are occupied with the next impression, the next scene, the next seductive thought of the author of film, my own little thought has no time to grow big and get attention. Very rarely while I watch a film a thought grows big enough that I become aware of its cry for attention. I might stop a film once or twice while watching it (and maybe I am even above average with this behavior).

Reading a text I slow down or stop while reading all the time.

(*) usually

Fliegen

2009_frauImZug

Berlin – Frankfurt, 21. April 2009

Mir gegenüber im Zug sitzt eine Frau, einfach gekleidet, vielleicht 50 Jahre alt. Sie trägt einen großen Stein an einem Lederband um den Hals. Sie sieht weich aus, friedlich… ich stelle mir vor, wie sie einem kleinen Haus wohnt, unaufgeregt, am Abend Fern sieht. Vor mir auf dem Tisch meine Kamera, mein i-Pod-Touch, mein eitles, kleines Notizbuch. Ich verliebe mich ein wenig in den zufriedenen Blick dieser Frau, vor ihr nur ein zerknittertes Zugticket aus dem Automaten. Für einen kurzen Moment treffen sich unsere Blicke. Nur eines ihrer Augen bewegt sich, das andere ist starr. Sie schaut aus dem Fenster nach oben, so als würde sie die Wipfel der vorbeifliegenden Bäume betrachten. Doch sie blickt noch nach oben, als der Zug den Wald schon längst wieder verlassen hat. Der Himmel ist gleichmässig grau.

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