Eigentum

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Einmal war ich von einem Freund eingeladen, in das Ferienhaus seines Schwiegervaters. Das steht an einem See. Auf dem Grundstück, direkt neben dem Haus ein rießengroßer Felsblock. Ein Findling, vielleicht hunderte Tonnen schwer, von dessen Massivität eine große Kraft ausgeht. Und ich denke so bei mir, dass ich auch gerne so einen Felsen besitzen würde. So einen schweren, unverrückbaren Granitblock. Ich weiß nicht wozu, aber ich würde ihn gerne mein Eigentum nennen. So ein Ding, das vielleicht schon 100 Millionen Jahre an dieser Stelle liegt und vielleicht noch in 100 Millionen Jahren da liegen wird. Aus Sicht eines Menschenlebens sind das viele Ewigkeiten.

Dann frage ich mich, was der Fels wohl davon hält, einen Besitzer zu haben?

Ein Fels denkt in ganz anderen Zeiträumen. Der Fels merkt sicherlich gar nicht, dass er einen Besitzer hat. Und wie verwegen es doch von dem Besitzer ist, zu denken, dass ihm der Fels gehört. Er darf es sich vielleicht einbilden, aber der Fels gehört allenfalls sich selbst. Zu groß und zu schwer, an eine andere Stelle gebracht zu werden, hat der Fels vielleicht schon tausende Besitzer gehabt und wird vielleicht noch tausende Besitzer haben. Den Fels kratzt das nicht. Jeder Besitzer ist bestenfalls Besucher – und fort, schon in einem Augenblick.

Kaffemaschine

Berlin, Nov. 2013

Erfolg drückt sich in Symbolen aus. Es mag Branchen geben, wo man ein großes Auto liebt, oder vielleicht Hubschrauber. In meinem Bereich als Gestalter, als Filmemacher und Künstler sind es Kaffeemaschinen. Die Werbeagentur, in der ich vor fast 20 Jahren nach der Schule ein Praktikum machte, die Agentur und Kunstfoundation in Amsterdam, bei denen ich lange Jahre ein und aus ging: alle verfügten über riesige, chromblitzende Kaffeestationen. Und ich erinnere mich, wie enttäuscht ich war, dass die Produktionsfirma meines letzten und bisher einzigen Filmes lediglich eine einfache Kaffeepadmaschine nebst separatem und umständlichem Milchaufschäumer in der Küche stehen hatte.

Ich schreibe das, weil es mir bis vor wenigen Tagen gar nicht bewusst war. Der Kaffee, den ich bei der Filmproduktionsfirma angeboten bekam, war nur der Hauch einer Enttäuschung, ein flüchtiger Gedanke, der sich in der Aufregung, die an diesem Ort herrschte (es ging um meinen Film!) so rasch verflog, dass ich ihn kaum bemerkte.

Ein Thema verfolgt mich in letzter Zeit. Es ist die Frage: “Was habe ich aus meinem Leben gemacht?”. Ich bin Anfang 40, ich habe an einer Kunsthochschule studiert, ich Reise in der ganzen Welt herum, bekomme Interviewanfragen bis aus Australien, mein Name steht in zahlreichen Büchern. Doch leben kann ich davon nicht. Meinen Unterhalt verdiene ich zum Großteil mit eben jenem Job, den ich schon seit Studentenzeiten mache. Ich habe es nie geschafft, meinen Erfolg finanziell umzusetzen und wie mein Vater es vor Jahren formulierte: “Du musst Dir irgendwann mal Gedanken machen, ob das, was Du machst, Sinn macht. Finanziell und überhaupt.” Nun ist mein Vater Steuerberater mit wenig Sinn für Dinge, die sich nicht in Geld ausdrücken lassen. Doch mein Vater ist eben auch mein Vater und auch, wenn ich mich annähernd zwei Jahrzehnte an Institutionen des Intellekts herumgetrieben habe, das Fundament meiner Selbst steht auf dem, was in einer Kleinstadt, als Sohn eines Steuerberaters, gewachsen ist. Die Wucht seiner Sätze traf mich mit Verzögerung, wie man so oft Nachhaltiges gar nicht unmittelbar bemerkt.

Ich zog mir den Pfeil aus der Brust, die Wunde, die er geschlagen hatte, war nicht groß, doch das Gift wirkte langsam. Zwei oder drei Jahren versuchte ich verkrampft kommerziell erfolgreich zu sein. Ich hatte plötzlich mit Banken, Beratern und Anwälten zu tun und steckte meine Energie in Dinge, in denen meine Talente nicht liegen. Um Geld zu haben, das ich nur brauche, um Dinge zu kaufen die mir erzählen, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

„Kaffeemaschine irgenwer?“

Mein Freund Dieter liebt es, kurze Emails zu schreiben. Die Email ging an mich und Undisclosed Recipients.

„Welcher Typ, wie teuer?“ imitierte ich seinen Stil.

Zurück kam ein Link und das Wort „umsonst“.

„Gekauft!“ antwortete ich. Erst dann klickte ich auf den Link.

Der Link führte auf eine Amazon-Seite auf der das Gerät beschrieben war. Es ist eine Agenturkaffeemachine vom feinsten. So ein Ding, wie ich es mir niemals werde leisten können. Das Gerät ist fünf mal mehr wert, als mein Auto, wenn es aufgetankt ist.

Das Symbol des Erfolgs steht jetzt in meinem Atelier. Umsonst.

Jeder ein Künstler

Welch saudummer Slogan: “In jedem steckt ein Künstler”. Vielleicht steckt sogar in jedem ein Künstler, aber dann sicherlich nur in dem Maß, in dem in jedem ein Steuerberater steckt, oder ein Fernsehdirektor. Der Rest ist Arbeit. Natürlich kann jeder ein Bild malen. Oder ein Foto machen. Oder Worte zu Parier bringen. Oder ein Lied singen.

Jeder ist ein Künstler?

Und so, wie Eltern die Kritzeleien ihrer Kinder anschauen und Genialität hineinsehen, haben wir und angewöhnt, all den Mist, der ununterbrochen fabriziert wird, fasziniert zu betrachten und die wundervolle Vielfalt zu bewundern. Und es fällt uns gar nicht mehr auf, dass dabei ein schrecklicher Brei herausgekommen ist. Hässlich und uninspiriert, weil nur bunt aber bedeutungslos.

Was macht einen Künstler aus?

Der Künstler braucht die nötigen Ressourcen, sich lange und intensiv mit einem Thema zu beschäftigen und das, ohne am Anfang zu wissen was – und ob – am Ende etwas brauchbares herauskommt. Das hat er mit einem Grundlagenforscher gemeinsam, im Gegensatz zu einem Ingenieur (der ganz und gar zielorientiert arbeitet).

Weil sich die Gesellschaft aber angewöhnt hat, so viele als Künstler zu sehen, sind die Ressourcen, die jedem einzellnen Künstler zu Teil werden, immer kleiner geworden.

Es geht nicht darum, den ‘besten’ Künstler zu finden, um diesem dann die Ressorcen zu geben. Es geht darum, irgendjemanden zu haben, der den Job macht. Der bereit ist, sich in jahrelanger, mühseliger und bisweilen niederschmetternd frustrierender Kleinarbeit mit einem Thema zu beschäftigen, ohne zu wissen, ob die Arbeit irgendwann Sinn machen wird. Jemand muss diese Grundlagenforschung betreiben! Und die künstlerische Grundlagenforschung muss mit den nötigen Ressourchen ausgestattet sein, genauso wie jeder Forscher die nötigen Ressourcen braucht, um vernünftig arbeiten zu können.

Statt dessen zieht sich die Gesellschaft ein Heer von schlecht ausgebildeten, schlecht ausgestatteten, hochabitionierten Kleinkünstlern heran, die alle nur wild durcheinanderplappern. Es ist ein furchtbarer Krach.

Modernes Leben

Über den studentischen Emailverteiler der Universität der Künste, Berlin werden immer wieder Ateliers, WGs oder Wohnungen angeboten oder gesucht. Ich lese die Beschreibung einer WG mit angeschlossenem Atelier. Fünf Menschen leben und arbeiten zusammen in einer alten Fabriketage. Ein Zimmer ist frei. 400 Euro inkl. DSL und Nebenkosten. Das Zimmer hat 16 qm, plus Gemeinschaftsküche und Gemeinschaftsatelier. Wohnen und arbeiten für Architekten und Designer. Es ist ein Bild abgehängt. Zu sehen: ein karger Raum mit Tischen auf denen silberne Laptops stehen.

Sweatshop denke ich.

Die Singer-Nähmaschine von gestern ist das Macbook Air von heute.

Plastik

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Istanbul, 2. April 2010

Ich telefoniere mit Strasbourg. Ich telefoniere mit Berlin. Ich telefoniere mit Caracas. Ich telefoniere mit New York. Ich beantworte Emails aus Sydney, Montreal, Lissabon. Ein Mädchen aus Venezuela sagt, dass es an mich denkt. Ein Mädchen aus Berlin sagt, dass es an mich denkt. Ich denke an ein Mädchen aus Marokko, dass ich kürzlich auf dem Flug nach Madrid kennengelernt habe. Ich fahre mit dem Taxi. Die Produktionsfirma zahlt. Ich tippe Sätze in meinen Laptop-Computer. Ich trinke Wasser aus einer kleinen Plastikflasche. Ich esse mit einer Plastikgabel Salat aus einem Plastikschälchen. Ich schreibe Sätze in mein Notizbuch. Ich kopiere Daten von einer Festplatte auf die andere. Ich kopiere Daten von der Kamera auf den Computer. Ich organisiere die Daten neu und verbinde die Daten mit Daten von anderen Kameras, Tonaufnahmegeräten, Fotoapparaten. Ich kopiere die Daten auf Webserver. Ich beantworte Emails. Ich stelle Fragen. Ich bekomme antworten. Ich reorganisiere Informationen. Ich tippe Sätze in meinen Computer. Ich spreche mit Menschen. Ich habe zu wenig geschlafen.

Dann liege ich auf dem Bett in meinem Hotelzimmer und tippe wieder Sätze in meinen Computer. Die Sätze werden auf der Festplatte des Computers gespeichert und Sekunden später im Internet gesichert. Irgendwo auf einer Festplatte, irgendwo in irgendeiner Serverfarm, wahrscheinlich in Amerika. Mein Computer in Berlin schaltet sich jede Nacht automatisch ein, holt die neuen Daten aus dem Internet und kopiert sie auf seine Festplatte. Die Daten auf der Festplatte werden automatisch auf eine weitere Festplatte gesichert. Meine Sätze leben ein sicheres Leben. Kein Feuer, kein Wasser, kein Erbeben kann sie zerstören. Sie leben in vielen Kopien an vielen Orten. Vielleicht werden sie nie gelesen. Ganz sicher werden sie vergessen.

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