SCHNELLE SCHNITTE

dw-screens

Ich stehe in der Nachrichtenredaktion und blicke in den Raum. An den Wänden zahlreiche Monitore, über die Bilder von Nachrichtensendern zappeln. DW-TV, CNN, BBC news, Reuters, AP, France 24, NTV.

Immer wieder ziehen diese Monitore meine Aufmerksamkeit an. Ich denke an nichts und spüre, wie langsam eine sanfte Unzufriedenheit in mir aufkommt. Ein kleines bißchen Unglück legt sich mir auf meine Seele – ganz sanft, ich würde es sicher nicht bemerken, wenn mein Geist gerade mit einem anderen Gedanken beschäftigt wäre. Ich wundere mich, woher diese Unzufriedenheit kommt und höre weiter in mich hinein, beobachte und stelle fest:

Immer wieder sehe ich halb aus dem Augenwinkel ein Bild auf einem Monitor, das, sobald ich mich dem Bild zuwende, wegzappt. Abgelöst vom nächsten Bild, das, noch bevor ich es aufnehmen kann, wieder wegspringt. Die Bilder wie ein Stück Seife, das immer wegflutscht, wenn man danach greifen will. Daher rührt die kleine Frustration, auf die ich mich weiter konzentriere und nun die Enttäuschung und Traurigkeit spüre, die davon ausgeht. Ich gehe dem Gefühl weiter nach und die Traurigkeit wird größer, bis ich es nicht mehr aushalte und mich abwende.

Ich sehe schon lange keine Filme mehr und so wenig wie möglich Fern. Aus einer Reihe von Gründen, heute habe ich einen neuen entdeckt.

Es ist die Konvention der schnellen Schnitte, die irgendwann in den 80er Jahren populär wurde und langsam in allen Bereichen filmischen Erzählens Einzug hielt. Wenn man selbst Film schneidet, sich eine Einstellung immer und immer wieder ansieht, kennt man das Glück, wenn man sich bewegte Bilder erschließen und sich in sie verlieben darf.

Doch die bewegten Bilder unsere Zeit sind nervöse Kollegen, die permanent hin und her huschen und jede Konzentration unmöglich machen. Schöne Bilder von der Welt, die dennoch die Welt nicht öffnen, sondern nur ablenken, zu verstehen.

Früher, als gute Bilder selten waren, durfte man sich die Zeit nehmen, diese aufzunehmen. Die heutige Zeit ist reich an starken Bildern. Und all die staken Bildern schreien nach Aufmerksamkeit.

Es ist ein schrecklicher Lärm.

LATK#2 – Stories Make Life (ENG)

LIFE ACCORDING TO KORSAKOW #2
Stories Make Life

This episode is in English.

Episode II is about story telling. How stories shape out lifes, what Florian found in Egypt and the influence of the Hollywood format.

Music by Jim Avignon / Neoangin and Ilja Pollach, Cologne.

 

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Die Zukunft der Fernsehens II

Letztens war das österreichische Fernsehen da. Jetzt ist zu sehen, was daraus geworden ist. Im folgenden Clip einige Ausschnitte von dem, was ich sagen durfte:

Wer den ganzen – sehr empfehlenswerten – Film sehen möchte schicke mir bitte eine Email oder bemühe Google.

MENSCHEN, DIE AUF BILDSCHIRME STARREN
– ÜBER DIE ZUKUNFT DES FERNSEHENS

Das Fernsehen ist tot! Kaum haben wir uns an soziale Netzwerke und internetfähige Smartphones gewöhnt, da ist es auch mit der Gemütlichkeit des Wohnzimmers vorbei. Das Leitmedium TV ist entthront, manche meinen sogar: dem Tod geweiht.
Tatsächlich rüstet das Fernsehen auf und wird zum Super-Medium: Hochvernetzt, sozial und interaktiv, gerne einmal in 3D, omnipräsent, multifunktional und maßgeschneidert. Die Dokumentation “Die Zukunft des TV” von Siegfried Steinlechner verortet das Fernsehen im jetzt und geht den möglichen Szenarien der Zukunft auf den Grund.

Regie
Siegfried Steinlechner

ORF 2015

Facebook

Ein Wald voller Gespenster
Ein Wald voller Gespenster

Ich fühle mich gezwungen, bei Facebook mitzumachen und mache dann doch nicht richtig mit. Darauf fühle ich mich noch schlechter. Es ist, wie es war, als ich am Samstag Vormittag oft nicht zu den langweiligen Ministrantentreffen ging. Durch das schlechte Gewissen haben mir, nach und nach, selbst die Dinge keinen Spass mehr gemacht, die als Ministrant wirklich Spass bringen: mit den anderen Jungs durchs Dorf zu zieht, an den Häusern klingeln und seinen Spruch aufsagen:
“Die Ettmannsdorfer Ministranten bitten um eine Ostergabe”.
Man wird mit Süssigkeiten und Bargeld überhäuft. Die Süßigkeiten kann man behalten und das Geld kommt am Ende des Tages einem guten Zweck zu:
1/3 für die dritte Welt, 1/3 für den Pfarren und 1/3 als Beute für die Ministranten.

Mit 67 Mark bin ich damals nach Hause gegangen. Das war ein Haufen Geld. Mehr, als ich einem halben Jahr an Taschengeld verdient habe. Aber im nächsten Jahr bin ich dann trotzdem nicht mehr mitgegangen, weil ich dachte, dass die anderen denken, dass ich nur komme, wenn es Geld gibt und dass ich gar nicht richtig an den lieben Gott glaube.

Auch auf Facebook wird Gott nicht diskutiert. Weil man Themen, die zu viel Unruhe ins dörfliche Denken bringen könnten, auf jeden Fall vermeiden muss, wenn man im Dorf gemocht werden will. Und so muss man, wie der Besitzer eines Dorfladens, immer auf seinen guten Ruf bedacht sein. Alles, was man ins Dorf gibt, wir genau abgewägt. Intimes oder nahes, etwas, was verletzlich machen könnte, könnte gefährlich sein und wird nicht in Worte gepackt, die dann durchs ganze Dorf gehen.

Und so spricht man nicht mehr über das, was bewegt. Doch worüber man nicht spricht und es mit Worten benennt, hört mit der Zeit auf zu existieren. Weil das, was keinen Namen hat, nur schemenhaft erkennbar ist. Und so hat der Dorfladenbesitzer irgendwann nur mehr ein vages Gefühl, aber keine Worte, es auszudrücken.

Auf FACEBOOK kann man auch nur liken, so wie man im Dorf immer nur lächeln kann, auch wenn man jemand etwas sagt, das man nicht leiden kann.

Die Story macht blind

In Prag. In meinem Hotelzimmer sehe ich Fern. Es gibt nur wenige deutsche Kanäle, ich bleibe bei RTL oder RTL II hängen. Es ist früher Nachmittag, es läuft eine Reality TV Serie. Eine Mutter lebt mit ihrer Tochter bei einem neuen Mann, der einen Sohn im Alter der Tochter hat. Im Verlauf der Sendung kommt heraus, dass der Sohn die Tochter missbraucht und bedroht hat, doch sie sagt es der Mutter nicht, weil sie nicht das Glück der Mutter mit dem neuen Mann gefährden will.

Die Geschichte ist voll von Klischees, schlecht erzählt, furchtbare Schauspieler. Ein durchsichtiges Unterfangen, und dennoch:

Ich breche in Tränen aus. Die Macher der Geschichte ziehen alle Register und ich funktioniere. Ich sehe selten Filme, ich sehe so gut wie nie fern. Ich bin dem wie wehrlos ausgeliefert.

Ich bin zu einem Dokumentarfilmfestival nach Prag eingeladen, wo ich über Korsakow spreche und darüber, wie “Story” uns davon abhält, die Welt wahrzunehmen.

Wenig später treffe ich auf dem Festival eine Frau. Sie ist die Produzentin eines Films. Der Film hatte am Vortrag Premiere. Es ist ein Film über den Bürgerkrieg, der gerade in Syrien stattfindet. Die Frau erzählt mir, wie die Filmemacher monatelang in einer von den Regierungstruppen belagerten Region verbrachten, wie sie das Grauen des Krieges, das Sterben der Menschen erlebten und beobachteten. Ein wichtiger Film, zweifellos.

Der Raum, in den wir stehen ist laut, viele Menschen um uns herum, die Luft ist stickig, ich bin abgelenkt. Es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren. Meine Gedanken schweifen ab, das Sterben der Menschen in Syrien ist weit weg. Ich denke an die Mutter und ihre Tochter auf RTL II. Deren Geschichte hält meine Gedanken gefangen.

Meine Mitgefühl ist okkupiert von einer künstlichen Geschichte.

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