Sinn

2015atomDer Mensch kann Sinn machen. Wenn er sich umschaut und auf die Dinge blickt, die ihn umgeben. Er kann sogar in andere Dimensionen blicken, indem er einen Blick in den Kosmos wirft, oder auf die Ebene der Atome.

Vielleicht macht alles nur aus dem Blickwinkel unsere Dimension Sinn, wenn wir von unserer Dimension auf andere Dimensionen (das All, das Atom) blicken. Macht alles aus dem Blickwinkel Atome Sinn? Gibt es überhaupt etwas in der Dimension der Atome, das Sinn machen könnte? Gibt es in der Dimension der Sterne und Milchstrassen etwas, das Sinn machen könnte? So wie es in unserer Dimension den Mensch gibt, der aus dem was um ihn ist, Sinn machen kann?

Der Sinn, aus der Sicht der anderen Dimensionen wäre vermutlich ein ganz anderer, als der Sinn, den wir uns machen. So anders, dass wir niemals in der Lage wären, einen solchen Sinn zu erfassen.

Benzin – Warum Zuschauerzahlen so wichtig erscheinen

Sowas kommt vor. Wohl hunderte Male bin ich in meinem Leben schon an liegengebliebenen Fahrzeugen auf der Autobahn vorbeigefahren, nun hat es mich auch erwischt. Es ist eine eher lustige Geschichte, ohne ernste Folgen und dennoch hat sie mich tief beschäftigt. Vom Vorfall selbst und dem, was ich daraus gelernt habe, möchte ich im Folgenden berichten.

Das Auto ist fast 20 Jahre alt. Und obwohl es, nach einer nicht unerheblichen Investition, vor wenigen Monaten eine neue TÜV-Plakette bekommen hat, ist mit dem Ableben des Autos jederzeit zu rechnen. Oder besser: ich rechne mit dem Ableben jederzeit. Es ist halt ein altes Auto.

Vor einigen Tagen war es dann vermeintlich so weit. Zusammen mit meiner Frau war ich an diesem wunderschönen Sommertag von Berlin aus, auf dem Weg nach Kiel, die Familie zu besuchen. Nach 2/3 des Weges stockte der Motor, ging aus und wieder an, eine Weile konnte ich noch langsam auf dem Standstreifen fahren, kurz vor der Anschlussstelle Schwarzenbek/Grande war dann Schluss. Das erste mal in meinem Leben stellte ich ein Warndreieck auf. Anruf bei der Notfallnummer meiner Versicherung, die Dame am Telefon fragt freundlich, ob mir auch nicht das Benzin ausgegangen sei. Ich verneine. Ein Abschleppwagen uns abzuholen, wird in Bewegung gesetzt, wir warten am Strassenrand. Meine Frau schickt eine SMS an meinen Schwiegervater. “Benzin ausgegangen, haha?” kommt es zurück. Vorsichtshalber steige ich ins Auto, schalte die Zündung an, die Nadel geht nach oben – Benzin ist drin.

Wir warten eine Stunde bis der Abschleppwagen kommt. Als ich den Fehler beschreibe – der Motor ging aus, ganz so als würde das Benzin ausgehen – schaut mich der Mechaniker mit seltsamem Blick an. Ich sitze neben ihm, als er die Zündung anmacht, gemeinsam schauen wir auf die Anzeige: Benzin ist drin!

Vermutlich ist der Katalysator durchgeschmort, vermutet der Fachmann, es rieche auch so komisch, ob wir das nicht bemerkt hätten? Und in der Tat, als wir aus Berlin herausfuhren, roch es plötzlich wie nach verbranntem Plastik, wir hatten uns kurz unterhalten, dann aber gedacht, dass es von einem anderen Auto käme. Das sei nur eine Vermutung, stellt der Mechaniker fest, endgültig könne man das erst in der Werkstatt sagen. Das Auto wird auf den Abschleppwagen gezogen und wir sitzen neben einem wortkargen Mann, der meine Frau, mein Auto und mich nach Mölln zur Fachwerkstatt verfrachtet. Es ist 8 Uhr Abends, die Werkstatt ist geschlossen, ich schreibe eine Notiz und werfe sie zusammen mit einem Schlüssel und den Fahrzeugpapieren in den Briefkasten des Autohauses. Die Versicherung kümmert sich derweil um ein Mietauto. Es wird uns von zwei Herren aus Hamburg gebracht. In der Zwischenzeit räumen wir alles, was Wert hat, aus dem Auto und machen Abschiedsfotos. Wenn der Schaden ein paar hundert Euro ist, werden wir uns wohl nie mehr wiedersehen. Über 100.000 Kilometer bin ich selbst in diesem Auto gefahren.

Die Herren, die das Mietauto gebrach haben, sind schon wieder fort. Wir haben alles umgeräumt und sind startklar. Ein letztes Mal setze ich mich in mein altes Auto und drehe den Schlüssel: Die Benzinleuchte brennt hell, der Zeiger bewegt sich nicht von der Null!

Die Tankstelle ist genau gegenüber, wir haben uns hier schon mit Bullettenbrötchen versorgt. Eine Wasserflasche dient als Benzinkanister. Dem aufmerksamen Leser wird es kein Geheimnis mehr sein. “Und dann habe ich das Auto selber repariert”, so werde ich die Geschichte in den darauf folgenden Tagen mehrmals zu besten geben: “mit einem Liter Benzin.”

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ein 20 Jahre altes Auto stehen bleibt. Es ist allerdings auch nicht unwahrscheinlich, dass bei einem 20 Jahre alten Auto das Benzin ausgeht und die Benzinanzeige spinnt. “Selten, aber kommt schon mal vor”, sagt der Automechaniker am nächsten Tag. Es hatte ja auch nicht an Hinweisen gefehlt. Die Dame von der Versicherung am Telefon, die SMS vom Schwiegervater. Und es gab noch viele weitere Hinweise und ich bin fasziniert, wie es mir möglich war, sie so konsequent zu ignorieren. Der stärkste Wink war wohl der Trip-Kilometerzähler, direkt neben der Benzinanzeige. Der Stand auf knapp über 700 Kilometern. Ich habe stelle ihn immer auf Null, wenn ich tanke. Immer? Nicht immer, manchmal vergesse ich es und das ist wahrscheinlich der Grund, warum ich ihn ignorierte. Mir ist der Kilometerstand sogar aufgefallen und ich meine mich zu erinnern, dass ich mich entschloss, nicht weiter darüber nachzudenken mit dem Gedanken “ich habe wohl vergessen ihn zu nullen”. Ein Schritt weitergedacht, hätte mir auffallen müssen, dass, wenn ich vergessen hätte, ihn zu nullen er nicht bei 700 km hätte stehen dürfen, sondern bei 1200, oder so. Aber, der Trip-Kilometerzähler ist auch schon ein paar mal hängen geblieben (altes Auto!) – aber, wenn der Trip-Kilometerzähler hängen bleiben kann, kann dann nicht auch die Benzinanzeige hängen bleiben? In der Retrospektive eine müßige Frage. Das letzte mal Tanken lag so weit zurück, dass ich lange nachdenken musste, bis ich mich erinnern konnte. Es ist Sommer – das Auto steht in der Garage, ich fahre Motorrad. Mein Motorrad hat übrigens gar keine Benzinanzeige. Man fährt, bis das Benzin ausgeht, dann legt man einen Hahn um, und fährt mit Reserve. Ich weiss also, wie es sich anfühlt, wenn bei der Fahrt das Benzin ausgeht. Ein weiterer Hinweis.

Doch ich traue der Benzinanzeige. Die Nadel liegt bei Null, wenn der Motor aus ist, erst wenn man die Zündung anmacht hebt sie sich. So sah sie auch nicht kaputt aus, sie hat funktioniert, nur eben selbstbewusst das Falsche angezeigt. Es ist eine schöne, konkrete Anzeige, und ich frage mich, wie oft man schönen, konkreten Anzeigen traut, ohne sich weitere Gedanken zu machen. Temperatur ist ein Gegenbeispiel, moderne Wetterberichte geben zwei Werte an: “14 Grad, gefühlt 10 Grad”. Vermutlich gab es kritischere Geister als meine, die die Meteorologen so lange genervt haben, bis diese erkannten: Die absolute Zahl ist nicht die Richtige!

Oder Fernsehzuschauer. Wie Programmchefs die Qualität ihres Programms in Zuschauerzahlen messen. Weil es so eine schöne konkrete Zahl ist, wissenschaftlich erhoben: Doch merkwürdiger Weise sind sich alle einig, dass das immer zuschaueroptimiertere Programm immer schlechter wird. Weil sich die Fernsehmacher nicht trauen, ihrem Gefühl zu trauen und statt dessen auf konkrete Zahlen starren.

 

Karel Gott meets Bushido

Fasziniert betrachte ich das Video auf YouTube immer wieder. Das ganze eine Cover-version von “Forever Young” der Gruppe Alphaville aus dem Jahre 1984. Bushido war damals 6.

Bushido und Karel Gott stehen auf verblüffende Weise für die gleichen Werte. Familie (bei Bushido: “Blut”), Arbeit, der Traum vom besseren Leben.

Bushido, die tätowierte Version von Karel Gott? Die Sprache bei Bushido ist direkt. Was Karel Gott andeutet, Bushido spricht es aus. Die Gesellschaft hat in den vergangenen 30 Jahren gelernt, die Dinge beim Namen zu nennen. Vielleicht, so geht mir durch den Kopf, hat meine Mutter diese leisen Töne von Karel Gott verstanden. Im Gegensatz zu mir, der gedacht hat, Karel Gott produziere nur Seifenblasen.

Über die Zeit hinweg, über die Stile hinweg, verbinden sich Bushido und Karel Gott. Mashup macht Muster sichtbar – so deutlich, dass es fast weh tut.

Wasserflaschen auf Rasen

aus-wasser

Sydney, 23. August 2005

Australier legen halbvolle Plastikwasserflaschen in ihre Vorgaerten. “Warum?” frage ich bloede. “Wegen der Hunde!” Ich verstehe nicht. “Weil die Hunde dann nicht in den Vorgaerten hineinpinkeln.”
“Das ist ja toll,” sage ich, “und das funktioniert?”
“Na offensichtlich, weil sonst wuerden es die Leute ja nicht machen.”
Klar – es sieht auch ziemlich bloede aus mit all den Wasserflaschen auf dem Rasen.

Die Welt ist eine Wolke

Vor kurzem ist mir eingefallen, wie die Welt funktioniert. Es ist ganz einfach: Die Welt ist eine Wolke.

Bild: Jim Avignon

Die Welt ist eine Wolke, und um die Wolke herum ist nichts. Das Nichts ist schwarz. Doch das Nichts ist nicht nur nichts, es ist gleichzeitig alles. Das Nichts ist der unendliche See aller Möglichkeiten.

So wie eine Wolke am Himmel aus Wasser-Molekülen besteht, besteht die Wolke, die die Welt ist, aus Menschen. Es gibt eine Kraft, die die Moleküle beisammen hält, die verhindert, dass sie in alle Richtungen auseinander streben und sich im Nichts verlieren. Diese Kraft ist eine Art Klebstoff, der die Menschen beisammen hält. Der Klebstoff heißt Kommunikation. Die Menschen reden miteinander. Ununterbrochen und über nur ein Thema: Es geht um die Frage, was die Welt ist.

Die Welt ist die Wolke. Und die Wolke ist das, was alle Menschen miteinander verbindet. Teil der Wolke ist jeder Mensch, solange er nur in Verbindung zu mindestens einem anderen Menschen steht, der seinerseits Verbindung zur Wolke hat. Menschen, die ihren Kontakt zur Wolke verlieren, driften ins Nichts ab. Sie verlieren ihren Kontakt zur Welt. Sie sind verrückt, verrückt gegenüber der Welt.

Die meisten Menschen sind auf allen Seiten von anderen Menschen umgeben. Wie viele es sind, bestimmt die Dichte der Wolke an dieser Stelle. Neue Ideen entstehen am Rande der Wolke. Ideen, Erfindungen und Entdeckungen, die die Welt verändern.

Was passiert, wenn ein Mensch am Rande der Wolke einen Bewegung nach draußen macht? Ein kleines Stück, gerade so weit, dass er die Verbindung zur Wolke nicht verliert… Sie wird etwas entdecken, was es bisher noch nicht gab, etwas, das außerhalb der Wolke, außerhalb des Bewusstseins der Welt liegt. “Hey!” wird sie rufen “seht, was ich entdeckt habe!” Und wenn der Pionier andere überzeugen kann, nach sich ziehen kann, dann passiert etwas interessantes: Die Wolke verändert ihre Form. Die Welt verändert sich ein Stück und das, was gerade noch außerhalb der Welt lag ist plötzlich Teil von ihr.

Ständig entstehen neue Ideen. Ununterbrochen fliegen auf allen Seiten der Wolke Moleküle aus ihr heraus, doch nur die wenigsten schaffen es, andere Moleküle mitzureissen. Die meisten verlieren sich im Nichts, oder stürzen nach einem kurzen Ausflug wieder in die Welt zurück, ohne die Form der Wolke an dieser Stelle dauerhaft zu verändern.

Manchmal stellt die Welt auch fest, dass vor ihr schon jemand da war. Vincent van Gogh zum Beispiel. Ein besonders verrücktes Exemplar Molekül, ein Maler, der zu seinen Lebzeiten nie ein Bild verkaufte. Von Drogen wirr im Kopf, schnitt er sich ein Ohr ab. Ein Verrückter, kein Zweifel. Doch die Wolke hat sich in seine Richtung bewegt. Zufällig vielleicht, wer könnte das sagen? Die Welt hat sich verändert, hat seine Bilder entdeckt und plötzlich war Vincent van Gogh nicht mehr verrückt. Er war ein Genie, der Welt voraus.

Die Wolke ist in ständiger Veränderung begriffen. Zu keinem Zeitpunkt ist sie genau gleich. Doch sie verändert sich langsam, und sie hat ihre Zentren. Religionen sind solche Zentren zum Beispiel, oder politische Systeme. Und die Wolke hat viele Zentren. Die Zentren wirken wie innere Schwerpunkte, die bewirken, dass sich die Wolke nicht zu schnell bewegt.

Die Wolke breitet sich nicht nur aus, sie verschwindet auch aus Bereichen in denen sie schon war und überlässt diese wieder dem Nichts. Das Wissen und das Weltbild der Ägypter zum Beispiel. Wir sehen ihre Pyramiden, doch es bleibt uns völlig verschlossen, wie ihre Welt ausgesehen hat. Man kann sich aus unserer Welt heraus ein Bild davon machen. Verstehen kann man es nicht. Und das Bild ist geprägt von dem, was die Welt jetzt ist.

Sophie, einer Freundin von mir, hat eine Beobachtung gemacht. Merkwürdig, hat sie gesagt, dass man einem Film von 1950, der im Jahr 1850 spielen soll, viel eher das Jahr 1950 ansieht, als das Jahr, in dem es in dem Film geht; auch wenn man sich 1950 alle Mühe gegeben hat, die Zeit um das Jahr 1850 so authentisch wie möglich darzustellen. Ein historischer Film 20 Jahre später gedreht, würde ganz anders aussehen, und auch in ihm könnte man seine Entstehungszeit sofort ansehen. Offensichtlich ändert sich das Bild von dem was man sich von der Vergangenheit vorstellt, mit der Zeit.

Die Welt ist eine Wolke, die sich in ständiger Veränderung befindet. Man kann sie nicht begreifen, denn man kann, solange man Teil der Welt ist, nicht von der Seite auf sie blicken um ihre Form zu verstehen. Man könnte theoretisch alle Moleküle der Wolke untersuchen. Das bedürfte allerdings viel Zeit. Zeit in der sich die Welt bereits wieder verändert. Man müsste die Welt also einfrieren, dann könnte man alle Moleküle in Ruhe einzeln betrachten um auf diese Weise die Welt zu verstehen. Doch auch das kann man nicht. Die ganze Welt ist viel, viel zu groß. Man kann versuchen kleine Ausschnitte einzufrieren und zu verstehen. Und das ist es, was wir machen, wenn wir Bilder aufnehmen, Texte schreiben, Töne sammeln. Wir versuchen, kleine Ausschnitte der Welt einzufrieren um sie zu verstehen.

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