Hinter dem Ende der Welt ist nichts

Berlin, Feb. 2014

Auf einem Fest in Berlin bin ich auf einen Oberpfälzer gestoßen. Ich bin auch Oberpfälzer, seit 20 Jahren lebe ich in Berlin. Ich mag die Sprache der Oberpfälzer. Sie löst etwas in mir aus. Aber es ist nicht leicht, einen Oberpfälzer zum sprechen zu bekommen. Es ist noch schwieriger, wenn der Oberpfälzer betrunken ist.

“Wo kommst Du her?” frage ich den Oberpfälzer.

“Wo soll ich schon her sein?”

“Ich meine, wo, aus der Oberpfalz?” frage ich.

“Na, da halt.” sagt er.

“Aus welchem Ort?” frage ich.

“Na, wo soll ich schon her sein – aus Weiden” sagt er.

“Mein Gott”, sage ich, “es gibt auf der Welt schon noch mehr Städte, als Weiden, sogar in der Oberpfalz!”

“Du – “ sagt er, “mach mir keine Angst!”

Lächerlich

Mein Musiklehrer auf dem Gymnasium dachte, dass an uns Bauernbengeln ohnehin Hopfen und Malz verloren sei. Und so unternahm er gar nicht erst den Versuch, uns Musik nahezubringen. Musik, das war für ihn klassische Musik und er machte seinen Unterricht in unserer Klasse nur für eine Person. Claudius Christl spielte Klavier und galt als musikalisches Wunderkind. Zumindest in meiner kleinen Welt. Das machte Claudius für mich völlig inakzeptabel, und ich bedauere meine damalige Dummheit noch immer, denn mit den anderen Bauernbengeln verstand ich mich auch nicht.

Woran Bob Marley gestorben sei, hatte ein Mitschüler meinen Musiklehrer gefragt. “Bob Marley? An Drogen”. Bob Marley war an Krebs gestorben und so war von da an alles, was mein Musiklehrer über Musik sagte, falsch. So ging die klassische Musik an mir vorbei. Und auch das bedauere ich.

Mein Musiklehrer war ein lustiger alter Mann. Und es war ihm völlig egal, was wir (und vielleicht auch unsere Eltern) über ihm dachten. Er war um seinen Ruf nicht besorgt. Das hat mir imponiert. Um uns zu unterhalten, hat er bei jeder Gelegenheit Kniebeugen gemacht. Wenn jemand eine Frage richtig beantwortete: 10 Kniebeugen. Bei der zweiten richtigen Antwort 20 Kniebeugen. Dann 30. Und die Kinder lachten. “Ihr lacht”, sagte mein Musiklehrer “und ich mache Kniebeugen. Und das ist gesund.”

“Wenn das Publikum lacht, dann war der Künstler erfolgreich” hat er einmal gesagt. Dieser eine Satz hat meinen Musiklehrer zu einem großartigen Lehrer gemacht.

Schall und Rauch

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Istanbul, 23. Mai 2010

In Bozen bin ich in einem Kunstmuseum gelandet. Ich musste schon mittags aus meinem Hotel aus-checken, mein Zug ging erst am Abend. Mein rechter Schuh hatte ein Loch, es regnete in strömen. In Berlin traf sich meine damalige Freundin an diesem Tag mit einem anderen Mann. Ich wusste es noch nicht, es war der Beginn des Endes unserer Liebe, einer Liebe an die ich fest geglaubt hatte. Die Trennung dauerte fast 1 1⁄2 Jahre, sie war so schmerzvoll, dass ich unsere gesamte Zeit davor dafür geben würde, sie nicht erlebt zu haben.

Im Bozner Museum für moderne und zeitgenössische Kunst gab es eine Ausstellung, die sich der New Yorker Band “Sonic Youth” widmete. Sonic Youth waren die Helden meiner Jugend. Ich lies mir eine Führung durch die Ausstellung geben. “Das sind die Mitglieder der Band”, sagte die junge Frau, die die Führung gab und deutete auf ein Plakat inmitten zahlloser Plakate, mit der eine Wand der Eingangshalle des Museums tapeziert war. Das gleiche Plakat hing fast 20 Jahre früher, als ich noch bei meinen Eltern wohnte, in meinem Kinderzimmer in Schwandorf. Es war das einzige Plakat einer Band, das ich aufgehängt hatte. Sonic Youth war mein Fenster in die Welt gewesen.

Vor einigen Tagen haben wir mit dem Besitzer des Restaurants “Hamdi” ein Interview geführt. Das Restaurant liegt am Eminönü-Platz, es hat einen wunderbaren Blick auf die Galata-Brücke. Heute kamen wir vorbei um Baklava zu essen. “Schau dir den Raum im ersten Stock an”, sagt Berke als sie von der Toilette kommt, “ein toller Blick auf die Brücke!”

In dem Raum ist ein Tisch aufgebaut, es sieht aus, als solle eine Pressekonferenz stattfinden. Auf dem Eminönü-Platz wurde in den vergangenen Wochen ein Kunstwerk, eine große Stahlplastik aufgebaut. Am Abend zuvor fand bei strömendem Regen vor 200 Zuschauern die Eröffnung statt. Eine Reihe von Künstlern haben Sound-Installtionen gemacht, die auf 60 Lautsprechen laufen, die in der Plastik angebracht sind. Francesca von Habsburg ist Kunstmäzenin und hat das Projekt ermöglicht. Sie klingt unendlich eitel und selbstverliebt, als sie später auf der Pressekonferenz spricht. “Die ist 2 Milliarden schwer”, raunt mir ein Fotograf zu. Der Satz erinnert mich Bayram, den Papiersammler, der, wenn er von Geld spricht, auch immer von Millionen und Milliarden redet. Er rechnet noch im alten Geld, das vor fünf Jahren im Verhältnis 1 zu 1 Million umgewandelt wurde.

Lee Ranaldo sitzt auch auf dem Panel und sagt freundliche Worte. Lee Ranaldo ist Gitarrist von Sonic Youth. Lee Ranaldo ist Held meiner Jugend. Nach der Pressekonferenz traue ich mich nicht so recht, ihn anzusprechen. Was soll ich sagen? Sonic Youth hat einen Künstler aus mir gemacht? Was soll er sagen? Herr Thalhofer, wir haben auf sie gewartet? Lee Ranaldo tippt auf seinem Mobiltelefon herum. Ich stehe wenige Meter von ihm entfernt. Er sieht alt aus. Er sieht aus wie mein Kunstlehrer auf dem Gymnasium. Ich spreche ihn nicht an, ich mache auf dem Absatz kehrt und gehe zu Ayse und Berke. Wir wollen zur Brücke um den Kiosk-Besitzer zu filmen.

Vor ein paar Tagen habe ich meine frühere Freundin aus der Liste meiner Facebook-Freunde gelöscht. Ein Versuch, die Gespenster aus der Vergangenheit zu vertreiben.

Weiße Würste

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Berlin, 14. Dezember 2005

Samstags gab es frueher immer Weisswuerste. Zum Mitagessen. Ich habe die Weisswuerste gehasst. Freitag Nacht war ich immer mit meinen Freunden unterwegs. Am Samstag um zwoelf Uhr rief mich meine Mutter zum Essen. Der Kopf schmerzte, mir war kotzuebel. Weisswuerste isst man mit suessem Senf. Dazu eine Breze mit Butter. Der Bayer in der Werbung trinkt ein Glas Weizen-Bier dazu. Ich trank Milch.

Seit 13 Jahren lebe ich in Berlin. 450 km weit weg von Schwandorf, von da, wo ich her bin.

Jetzt kann man auch in Berlin Weisswuerste kaufen. Es sind die selben Weisswuerste, die ich frueher nicht mochte. Die Schwandorfer Metzgerei Wolf hat expandiert. Sie hat einen Laden aufgemacht, im funkelnagelneuen Shopping-Center am Potsdamer Platz. Und nicht nur Weisswurste gibt es da. Man kann auch eine Leberkaesesemmel essen. Da wird so einem wie mir immer ganz weich ums Herz….

Fuer eine wolfsche Leberkaesesemmel haben wir in den Pausen immer illegal die Schule verlassen. Denn auf der gegenueberliegenden Strassenseite war die Metzgerei. Jeden Tag eine Heldentat.

Der Profi besteht beim suessen Senf uebrigens auf Händlmayer-Senf. Der kommt aus Regensburg, und den gibt es sogar in New York, im exklusiven Feinkostgeschaeft Dean & Deluca in Soho. Im den Potsdamer-Platz-Arkaden ist er billiger.