SCHNELLE SCHNITTE

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Ich stehe in der Nachrichtenredaktion und blicke in den Raum. An den Wänden zahlreiche Monitore, über die Bilder von Nachrichtensendern zappeln. DW-TV, CNN, BBC news, Reuters, AP, France 24, NTV.

Immer wieder ziehen diese Monitore meine Aufmerksamkeit an. Ich denke an nichts und spüre, wie langsam eine sanfte Unzufriedenheit in mir aufkommt. Ein kleines bißchen Unglück legt sich mir auf meine Seele – ganz sanft, ich würde es sicher nicht bemerken, wenn mein Geist gerade mit einem anderen Gedanken beschäftigt wäre. Ich wundere mich, woher diese Unzufriedenheit kommt und höre weiter in mich hinein, beobachte und stelle fest:

Immer wieder sehe ich halb aus dem Augenwinkel ein Bild auf einem Monitor, das, sobald ich mich dem Bild zuwende, wegzappt. Abgelöst vom nächsten Bild, das, noch bevor ich es aufnehmen kann, wieder wegspringt. Die Bilder wie ein Stück Seife, das immer wegflutscht, wenn man danach greifen will. Daher rührt die kleine Frustration, auf die ich mich weiter konzentriere und nun die Enttäuschung und Traurigkeit spüre, die davon ausgeht. Ich gehe dem Gefühl weiter nach und die Traurigkeit wird größer, bis ich es nicht mehr aushalte und mich abwende.

Ich sehe schon lange keine Filme mehr und so wenig wie möglich Fern. Aus einer Reihe von Gründen, heute habe ich einen neuen entdeckt.

Es ist die Konvention der schnellen Schnitte, die irgendwann in den 80er Jahren populär wurde und langsam in allen Bereichen filmischen Erzählens Einzug hielt. Wenn man selbst Film schneidet, sich eine Einstellung immer und immer wieder ansieht, kennt man das Glück, wenn man sich bewegte Bilder erschließen und sich in sie verlieben darf.

Doch die bewegten Bilder unsere Zeit sind nervöse Kollegen, die permanent hin und her huschen und jede Konzentration unmöglich machen. Schöne Bilder von der Welt, die dennoch die Welt nicht öffnen, sondern nur ablenken, zu verstehen.

Früher, als gute Bilder selten waren, durfte man sich die Zeit nehmen, diese aufzunehmen. Die heutige Zeit ist reich an starken Bildern. Und all die staken Bildern schreien nach Aufmerksamkeit.

Es ist ein schrecklicher Lärm.

UNSINN

2016-03 iDOCS

Ich habe auf einer Konferenz einen Vortrag gehalten. Vor 150 Medientheoretikern. Ich habe beschrieben, wie das ständige Sehen von Film unser Denken prägt und immer mehr dazu führt, dass wir an wesentlichen Problemen regelrecht vorbeisehen. Dass wir zunehmend blind werden, für die relevanten Themen und unsere Aufmerksamkeit statt dessen Nebensächlichkeiten schenken.

Der Vortrag ging über 45 Minuten, ich habe zahlreiche Beispiele gezeigt und beschrieben, wie sich Film – insbesondere Hollywoodfilm – entwickelt hat und welche Faktoren dazu geführt haben, dass er so wurde, wie er ist: verführerisch, verblendend.

Ein komplexes Thema.

Nach meinem Talk waren die Reaktionen ausgesprochen positiv. Ich wurde gefeiert. Drei Tage lang. So lange dauerte die Konferenz.

Ich fahre seit 15 Jahren auf Konferenzen und habe schon viele Vorträge gehalten. Doch eine solche Reaktion habe ich noch nie erlebt: Nach dem Vortrag kamen die Leute und haben gratuliert. Das ist oft so, wenn man einen Talk gibt. Im Anschluss kommen Menschen, geben einem die Hand, bedanken sich, oder sagen noch ein, zwei Sachen, die sie nicht in der Q&A äußern wollten. Das kenne ich. Doch diesmal ebbte der Strom nicht ab. Noch Tage später kam ständig wieder jemand, um zu sagen, wie er oder sie, von dem, was ich gesagt hatte, bewegt war.

Ein großer Erfolg, der mich demütig macht. Das, was ich gesagt hatte, war eigentlich nichts anderes, als das, was ich seit Jahren jedem sage, der nicht schnell genug wegläuft. Doch für diesen Talk hatte ich mir große Mühe gegeben, meine Gedanken genau herzuleiten und zu erklären. Und es hatte offenbar geklappt.

Vier Tage nach meinem Vortrag, war die Konferenz zu Ende und ich flog nach Hause. Am Abend war eine Party, auf der ich auf eine Bekannte traf. Noch elektrisiert von dem, was ich zuvor erlebt hatte und nachdem sie unglücklicher Weise gefragt hatte, was ich die letzten Tage gemacht hatte, habe ich es ihr erzählt.

Und sie reagierte ganz normal. Ganz so, wie ich es immer kannte. Sie war empört! Das sei doch alles ausgesprochener Unsinn und sie war wütend, dass ich es wagen würde, Film anzugreifen. Sie liebe Film! Sie liebe es, ins Kino zu gehen und sich in eine andere Welt entführen zu lassen, den Alltag zu vergessen. Was ich sage, sei völliger Quatsch. Ich habe solches schon oft gehört, doch nie nachdem mir 150 kluge Leute aufmerksam zugehört und in überwältigender Mehrheit zugestimmt hatten.

Es erinnert mich daran, wie es mir in der Schule ging. Wie es mir bei meiner Familie ging (und immer noch geht). “Das, was Du sagst ist Quatsch!” Man sagt nicht: “Das ist ein interessanter Gedanke, das muss ich mir durch den Kopf gehen lassen.”

Nein, das Urteil ist schnell und scharf wie eine Guillotine: Unsinn!

The way we tell stories

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Telling stories might not be the only way, how we make sense of the world, but it is for sure the most important one.

Since film was invented – and that was in fact not too long ago – the way we tell stories, the way we see the world, has changed. We might not be aware of it, because when ‘normal’ changes, it is hard to see.

LINEAR THINKING

Filmic narration, the continuous exercise of watching films and making films has formed our way of thinking.
Film has trained us in linear causal thinking, which is good to solve certain kinds of problems, but for other kinds this approach is not helpful at all. We have piled up a big mountain of problems that are unsolvable with the method of thinking we are trained in so well.
Climate change, the energy problem, the economic crisis, the clashes of believes – to name just a few.

TENDENCY TO EXTREMES

They way we tell stories is fascinated by extremes. Things that are spectacular are told and retold, no matter how unimportant they are. This produces noise and makes us blind for the really important issues.

The way we currently tell stories make us blind for the world.

What could alternatives look like?

Abstract of my talk at iDocs, next week.

AMERIKA IM WANDEL

Schon vor einigen Monaten habe ich mit großem Erstaunen bemerkt, dass sich etwas ändert, in den USA. Nun finde ich ständig Hinweise, die diese Beobachtung bestätigen. Amerika ist im Wandel. Es verwandelt sich in ein Land der Zwischentöne. Diese Beobachtung steht im starken Kontrast steht zu dem, was man allgemeinen über die Vereinigte Staaten denkt, denn die letzten Jahrzehnte waren anders geprägt: Amerika galt alls das Land der Extreme.

Der Präsidentschaftswahlkampf, der gerade in den USA um die Nachfolge von Barack Obama stattfindet, wird hierzulande vor allem mit einem Namen in verbunden: Donald Trump. Für Europäer die Bestätigung ihres Klischees vom weißen Amerikaner: ungehobelt, dumm, arrogant, ein Mann der die ganz einfachen Lösungen fordert, ohne sich Gedanken zu machen, über die Schäden, die sie unweigerlich anrichten würden. Trump ist spektakulär. Und weil die Medien nach spektakulärem schnappen, wie der Hund nach dem Stück Wurst vor der Nase, richtet sich so gut wie alle Aufmerksamkeit auf ihn. Wer in Deutschland Nachrichten schaut, könnte meinen, alles dreht sich bei der Präsidentschaftswahl um Donald Trump: Das ist nicht wahr, Donald Trump ist ein Clown und die Tatsache, dass solch ein Clown als der attraktivste Kandidat der Republikanischen Partei wahrgenommen wird, sagt wenig über die Lage in den USA, aber viel über die Lage der Republikaner. Und es sagt viel über die Unfähigkeit der heutigen Medien, Zwischentöne zu transportieren.

Wenn in den USA ernsthaft über Politik gesprochen wird, wird Trump zwar erwähnt, aber lediglich als Kuriosum, bevor man sich schnell wieder den wichtigen Themen zuwendet: Das Problem mit der unerträglichen Ungerechtigkeit der Verteilung des Wohlstands, dem Scheitern der Drogenpolitik und damit verbunden, das Problem der Masseneinkerkerung amerikanischer Bürger (“mass incarceration”), Migration, Energiepolitik, Waffengewalt, die Situation der Schwarzen in den USA.

Obama hat Großes geleistet. Er hat das Feld vorbereitet, für die Diskussionen, die heute in den USA geführt werden. Für die Art, *wie* man heute miteinander redet. Man muss sich vor Augen halten, wie die Situation vor 8 Jahren war, nach Bush. Man muss sich vor Augen halten, welchen unglaublichen Widerständen sich Obama gegenüber sah. Dem Nachfolger Barack Obamas, sei es Hillary Clinton oder sogar Bernie Sanders werden Entscheidungen möglich sein, die vor 8 Jahren noch nicht einmal im Bereich des denkbaren waren.

Wie sich zum Beispiel die Kandidaten beider Parteien zum Thema Drogen äußern ist bemerkenswert: Selbst der republikanische Kandidat Ted Cruz berichtet von seiner Crack-abhängigen Schwester, wie man sie und andere als Opfer einer Epidemie betrachten muss und nicht als Kriminelle, die bestraft werden müssen. Ja, kluge Leute haben das schon vor 15 Jahren gesagt. Aber in den USA nicht öffentlich. Und ein konservativer Kandidat hätte vermutlich nicht einmal in einer privaten Konversation gewagt, einen derartigen Gedanken zu äußern. Er hätte vermutlich nicht einmal gewagt, einen solchen Gedanken zu denken.

Die Stimmung ändert sich und das gibt Menschen die Freiheit, sich öffentlich zu Themen zu äußern, die ihnen schon lange auf der Seele brennen. Es ist wie ein Damm in dem sich viele bisher unsagbare Erkenntnisse aufgestaut haben. Dieser Damm bekommt Risse und bald wird er brechen.

Auch wenn man es in Europa nicht sehen mag, die USA sind bei vielen Themen bereits viel weiter als Europa: Zum Beispiel: Same Sex Marriage (für das es im deutschen noch nicht einmal einen nicht abwertenden Begriff gibt). Eine Firma wie Tesla, die an visionären Lösungen für Probleme unserer Zeit arbeitet, ist in den USA entstanden. Solches Denken gibt es nirgendwo in Europa. Nirgendwo anders in der Welt.

Das Pendel in den USA ist schon lange umgeschwungen. Es bewegt sich bereits mit großer Kraft in Richtung des visionärer Denkens. Selbst wenn wider Erwarten ein republikanischer Kandidat der nächste Präsident der USA wird, er wird diese Bewegung nicht aufhalten können. Er könnte sie lediglich verlangsamen. Das Pendel wir noch viele Jahre weiter schwingen, es ist noch lange nicht am Scheitelpunkt.

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