AI – der Gott der Zukunft

Derzeit arbeite ich in einem kleinen Team an einem neuen Korsakow-Film. Es geht um die Zukunft, um AI (Artificial Intelligence), um Computer, um vernetztes Denken.

Codonaut – Wohin programmieren wir uns?

 

Der folgende Text ist in diesem Zusammenhang entstanden.

Wenn Leute sagen, dass Künstliche Intelligenz eine Black-Box sei, die Entscheidungen trifft bei denen die Menschen nicht mehr in der Lage sind, zu verstehen, wie es zu diesen Entscheidungen kommt, dann kommt mir das bekannt vor.

Ich bin in Bayern aufgewachsen, in einer Kleinstadt. Da gab es auch ein Black-Box, die Entscheidungen traf, die das Leben täglich aufs neue bestimmte. Es gab eine ungefähre Vorstellung wie man sich verhalten musste, aber man wusste nie genau, was die Black-Box sich ausdachte. Die Black-Box hies “Lieber Gott”, und Zweifel, an dessen Existenz kamen mir erst später. Ein  gläubiger Mensch kann allenfalls spekulieren, nicht aber erklären, wie und warum ein Gott zu seinen Entscheidungen kommt. Als gläubiger Mensch habe ich angenommen, dass Gott Buch führt, über die Sünden wie die guten Taten. Es wurde mir gesagt, dass Gott die guten Taten belohnt und die schlechten bestraft, dass Gott ein kompliziertes Register führt, so kompliziert und allumfassend wie einem heute Google, Payback oder die Schufa vorkommt. Sich gut im Sinne der Regeln zu verhalten ist also für mich nichts neues. Ich kenne es aus dem katholischen Bayern, das mir als Kind so normal vorkam.

Und so, wie Künstliche Intelligenz mensch-gemacht ist, ist Gott mensch-gemacht. Hat sich der Mensch Gott ausgedacht.

Wie kam es, dass sich der Mensch Gott ausgedachte?

Die Hirne der Menschen sind ausgelegt, in überschaubaren Gruppen zusammenzuarbeiten. Danach stößt das Hirn an eine Kapazitätsgrenze. Mit dem Trick des gemeinsamen Gottes, haben es die Menschen geschafft die Familie zu erweitern, und gelernt, Vertrauen zu Individuen haben zu können, die sie nicht genau kannten. So haben sie es geschafft sich in immer größeren Schwärmen zu organisieren, um gemeinsam an immer größeren Zielen zu arbeiten.

So haben die Menschen den gesamten Planeten unterworfen. Der Mensch hat mit Gott (bzw. den Götter, der verschiedenen Religionen), Regelsysteme entwickelt, an die sich die kritische Masse der Individuen innerhalb einer Gruppe halten, bzw. hielten.

Das Regelsystem der Götter hat ausgedient. Denn es stößt gerade an seine Kapazitätsgrenzen. Die durch technischen Fortschritt hervorgerufene, immer bessere Kommunikation unter den Individuen, lässt das bestehende System brüchig werden. Zweifler gab es schon immer, die erkannten, wie offensichtlich blödsinnig die Black-Box Gott ist. Doch deren Stimme ist verhallt, noch bevor sie eine kritische Menge an Menschen erreichen konnte. Die heutigen Kommunikationswerkzeuge ermöglichen es nun den Zweiflern, genügend Menschen zu erreichen und zu überzeugen, so dass das System des Glaubens an die Wahrheit am Kippen ist. Die kritische Masse ist vermutlich schon erreicht. Wir erleben derzeit einen Krieg der Geschichten, es ist vielleicht das letzte Aufbäumen derer, die an eine Wahrheit glauben. Dieser Kampf wird schon seit einigen Generationen geführt. Gott ist tot und immer mehr Menschen sind sich dessen bewusst.

Der Mensch ist gerade dabei, das System Gott zu durchschauen und das macht es notwendig, ein neues System zu etablieren, ein System, so kompliziert, dass es der Mensch mit seinem Hirn nicht knacken kann. Ein System, das es ermöglicht, in noch größere Gruppen von Menschen zusammenzuarbeiten.

Kapitalismus, Konsumismus, Humanismus sind Kandidaten. Der Glaube an die Künstliche Intelligenz des Supercomputers ist nun auch im Rennen, das Organisationsprinzip für die Zukunft zu werden. Vielleicht ist Künstliche Intelligenz sogar der aussichtsreichste Kandidat.

Das Neue Denken

Aufgewachsen mit Computerspielen, dem Internet und der Allgegenwärtigkeit von Wissen und Kultur, wächst eine neue Generation heran, die einer neuen Art des Denkens fähig ist. Es ist die Fähigkeit, die Welt gleichzeitig aus vielen Perspektiven betrachten zu können.

Die Jungen verfügen zwar noch nicht über so viel Erfahrung, wie die Alten, doch Erfahrung kommt mit der Zeit. Irgendwann werden die Jungen die Alten an Erfahrung eingeholt haben.

Dann werden die Jungen neue Muster sehen können, zusätzlich zu den alten. Die Alten werden diese Muster womöglich noch nicht einmal wahrnehmen können. Denn das Alte Denken macht dafür blind. Das Neue Denken integriert das Alte Denken und die, die des Neuen Denkens fähig sind, können sehen, was die Alten sehen und noch viel mehr.

Dann werden die Jungen mit dem Neuem Denken die Erfahrungen und das Wissen auf bisher unvorstellbar kluge Art kombinieren.

Anstatt zu versuchen die Alten mühselig vom neuen Denken zu überzeugen, sollten wir unsere Energie besser darauf verwenden, zusammen mit den Jungen die Welt von morgen aufzubauen.

Die Zukunft gestern

Der Mensch unterscheidet sich von allen anderen Lebewesen auf dem Planeten, durch seine Fähigkeit, Erfindungen zu machen. Der Mensch erfindet neue Techniken, neue Geschichten, neue Gesellschaftsformen.

Die längste Zeit der Menschheitsgeschichte betrug der Abstand, der zwischen revolutionären Erfindungen lag, viele Generationen. Und es dauerte Generationen, bis sich Erfindungen verbreiteten.

Seit dreihundert Jahren beschleunigt sich das Tempo, in dem der Mensch Erfindungen macht immer mehr.

Wenn ich mich daran erinnere, wie es war, als ich das erste mal im WOM war. Das WOM, in München – WOM stand für Word of Music, meine Mutter hatte mich hingebracht. Im WOM konnte man alle Platten anhören. Aber nicht, indem man, wie in anderen Läden, die Platte aus dem Regal nahm und zu einem Schallplattenverkäufer trug, der die Platte erst aus der Hülle nahm und dann auf einen Schallplattenspieler legte. Die Platte hat immer der Verkäufer aufgelegt. Er hat auch den Arm des Schallplattenspielers weitergesetzt, wenn man das nächste Stück hören wollte. Man durfte es offenbar den Kunden nicht selbst machen lassen, er hätten die Platte verkratzen können. Über Kopfhörer oder, noch beschämender, im ganzen Laden konnte man unter den Blicken des Verkäufers dann die Lieder hören, die einem gerade die Welt bedeuteten. Der Verkäufer schaute einen die ganze Zeit gelangweilt an. Der Verkäufer, ein junger Mann, oder – noch schmachvoller – eine junge Frau, die schon ganz erwachsen war. Und man selbst war es nicht. Ich habe mich dann nie wieder getraut, in einem Schallplattenladen Musik zu hören und habe mir meine Platten blind gekauft. Meist aufgrund des Covers.

Im WOM in München war es anders. Nicht alle, aber gefühlt unendlich viele Platten, konnte man ganz einfach hören, indem man sich einen Kopfhörer griff, der an einem Spiralkabel von der Decke hing. Das Plattencover war leicht erhöht, schräg vor einem aufgestellt. Und so blickte man nach oben, schaute zu seinen Idolen auf und hörte die Stimme der Götter. Ganz unbeobachtet.

Heute stehen die Schallplatten, die ich damals gekauft habe, zusammen mit denen, die ich später über die Jahre sammelte, im Keller. Seit vielen Jahren schon.

Und ich stelle mir vor, wie ich dem Teenager, der ich damals war, erkläre, wie man heute Musik hört. Heute habe ich Zugriff auf die meisten aller Musikstücke, die jemals herausgegeben wurden. Ich tippe einfach den Namen einer Band in mein Smartphone… aber wie erklärt man einem Jungen, der 1985 im WOM in München steht, was ein Smartphone ist?

Man müsste erklären, dass das kein Schallplattenspieler oder Tonbandgerät ist, dass die Musik gar nicht in dem ‘Smartphone’ drin ist, sondern irgendwo im Internet gespeichert liegt. “Was zum Teufel ist das ‘Internet’? Und wie kommt die Musik vom Internet in das ‘Smartphone’“?

Die Antwort übersteigt meine Vorstellungskraft bei weitem. Damals und heute eigentlich immer noch, ich habe mir nur abgewöhnt, es mir vorzustellen. Damals hätte ich es schlichtweg nicht geglaubt: “Durch die Luft!”

Plastik streicheln

Besuch auf der CEBIT, der Computermesse in Hannover. Wir recherchieren für einen Film über künstliche Intelligenz.

Ich kraule einen Roboter. Der Roboter heisst Pepper. Er ist einen Meter zwanzig groß, blinzelt mit riesige Augen und kichert vergnügt, wenn ich mit meinen Fingern über seine harte Plastikschale kratze. Ich kann gar nicht aufhören zu kraulen und wundere mich über mich selbst. Eigentlich wollte ich etwas über die Gefühle von Maschinen lernen. Statt dessen erfahre ich etwas erschreckendes über menschliche Gefühle. Der Roboter drückt Knöpfe, der Mensch reagiert mit Gefühlen. Der Roboter kann das, nicht weil er intelligent, sondern weil der Mensch so simpel ist.

Wir müssen, wenn wir nicht wollen, dass Roboter unsere Knöpfe drücken, komplizierter werden.