Neulich bin ich auf meinen Corona-Streifzügen auf Facebook in eine Diskussion gestolpert, auf der sich vornehmlich Journalisten unterhielten.
Christine Ulrich
Journalisten sind systemrelevant, aber müssen in der Corona-Krise zuhauf in Kurzarbeit. Irgendwas hab ich nicht kapiert.
Robert Braunmüller
Das ist bei Ihrem beruflichen Hintergrund mehr eine rhetorische Frage, oder?
Christine Ulrich
Das vorgebrachte Wirtschaftsargument löst für mich nicht das Paradoxon dieser Tatsache. Ich meine, genau jetzt müsste man doch in Qualitätsjournalismus reinbuttern! Aber nein…
Wolfgang Grebenhof
Genau so ist es. Jetzt werden die Weichen für die Zukunft der Zeitungen gestellt. Nie standen die Zeiten besser, um dauerhafte Leser-Blatt-Bindung aufzubauen. Wer jetzt, in der Krise, am redaktionellen Inhalt spart, schaufelt sein eigenes Grab.
Florian Thalhofer
Bitte die Frage nicht missverstehen, aber ist es wirklich so, dass Journalismus automatisch besser wird, wenn mehr Journalisten arbeiten?
Christine Ulrich
@Florian Thalhofer Sicher nicht automatisch. Davon war auch nie die Rede. Aber ohne eine gewisse Quantität an Leuten gibts definitiv keine Qualität. Sicher muss sich auch (immer schon) einiges verändern, entschlacken im Journalismus. Aber diese Brachialkur halte ich für kontraproduktiv.
Wolfgang Grebenhof
@Florian Thalhofer Derzeit gibt es Themen in Hülle und Fülle, die aber rechercheaufwändiger sind als eine reine Veranstaltungs-Berichterstattung, die ja derzeit flach fällt. Ergo braucht man mehr Leute, um spannende Inhalte zu liefern. Ich halte es nicht für zielführend, redaktionelle Umfänge zu reduzieren. Die Leute haben mehr Zeit, und sie haben mehr Bedürfnis nach verlässlichen Informationen. Dem müssen wir versuchen, gerecht zu werden. Mit weniger Leuten geht das in der aktuellen Situation ganz sicher nicht. Zumal Verlage, die Redakteuren Kurzarbeit anordnen, ja oft auch zusätzlich noch an den Honoraren für Freie sparen.
Wolfgang Grebenhof
@Christine Ulrich Entschlacken im Journalismus? Ernsthaft? Wo willst Du denn nach den Sparorgien der Verleger in den letzten Jahren noch entschlacken?
Christine Ulrich
@Wolfgang Grebenhof Sorry, das war missverständlich – ich meinte um Himmels Willen nicht noch mehr Leute abbauen, sondern eher hier und da manche verkrusteten Denk- und Organisationsstrukturen aufbrechen, damit sich Zeitung weiterentwickeln kann.
Michael Seeholzer
@Florian Thalhofer Der Journalismus wird nicht automatisch besser, wenn mehr Journalisten arbeiten, aber er wird auch nicht dadurch besser, dass immer weniger Journalisten immer mehr arbeiten
Florian Thalhofer
@Michael Seeholzer Es hat ja auch niemand gesagt, dass der Journalismus besser wird, wenn es weniger Journalisten gibt.
Florian Thalhofer
@Wolfgang Grebenhof Brot wird auch nicht besser oder schlechter, wenn es mehr oder weniger Bäcker gibt. Brot wird hingegen besser, wenn es bessere Rezepte gibt. Jetzt ist eine Zeit in der experimentiert werden kann. Millionen Menschen backen jetzt Brot. Vielleicht entstehen dabei bessere Rezepte?
Johannes Welte
Es gibt halt schon viel zu wenige Bäcker. Sie sind gezwungen, Fremdware aufzutauen und schnell in den Ofen zu schieben, weil sie keine Zeit haben, selbst Zutaten auszuwählen, Teig zu kneten und individuelle Teiglinge zu formen. Um mal im Bild zu bleiben.
Wolfgang Grebenhof
Was dabei herauskommt, wenn zu viele Laienbäcker im Informationsteig herumrühren, sieht man an der Flut an Bullshit, die tagtäglich aus Facebook und Co. schwappt. Es gibt schon gute Gründe dafür, Journalismus Profis zu überlassen. Beim Brotbacken verhält es sich ähnlich.
Florian Thalhofer
@Johannes Welte Ihre These wäre also: Weil es zu wenig Bäcker gibt, ist die Qualität schlecht. Ich lebe in Berlin Kreuzberg. Hier gibt und gab es so lange ich mich erinnern kann viele schlechte Aufback-Bäcker. Es gibt aber auch einige sehr, sehr gute Bäcker. In den letzten Jahren wurden es nach meiner Beobachtung immer mehr. Denken Sie, dass der Grund ist, dass es insgesamt mehr Bäcker gibt?
Johannes Welte
@Florian Thalhofer gibt es in Kreuzberg noch Zeitungen? Frage für einen Freund
Florian Thalhofer
@Wolfgang Grebenhof In den neuen Medien entsteht ja nicht nur schlechtes. Einiges (vielleicht auch weniges) ist sogar sehr gut. Sind Sie nicht auch der Meinung, dass neben dem vielen Schlechten immer mehr beeindruckend Gutes entsteht? Wenn man das Schlechte herausfiltert und hat man meines Erachtens Zugang zu viel besseren Informationen als früher.
Florian Thalhofer
@Johannes Welte Ich weiss nicht, ob es in Kreuzberg noch Zeitungen gibt. Seit etwa zwei Jahren gibt es ein Nachbarschaftsportal, seit ich dort angemeldet bin bekomme ich mehr mit, was in der Gegend so passiert und vor allem, was die Leute ausserhalb meines Dunstkreises denken, als je zuvor. Ich will gar nicht sagen, dass es besser oder schlechter ist. Es ist anders. Es hat eine andere Qualität.
Johannes Welte
@Florian Thalhofer Nachbarschaftsportale sind ok, ersetzen aber keinen Journalismus. Man kann ja beim Hinterhof-Flohmarkt ja mal einen selbst gebackenen Kuchen probieren, eine Bäckerei ersetzt das aber nicht
Florian Thalhofer
@Johannes Welte Ich stimme ihnen selbstverständlich zu, Nachbarschaftsportale ersetzt nicht Journalismus als solchen. Nachbarschaftsportale ersetzen lediglich Lokalblättchen, die zuvor werbefinanziert die Briefkästen verstopft haben. Ich habe Sie vermutlich falsch verstanden, ich dachte, Sie fragten nach Kreuzberger Zeitungen (statt Zeitungen in Kreuzberg). Den rethorischen Dreh habe ich übersehen. Ja, natürlich, in Kreuzberg gibt es noch Zeitungen. Aber ich vermute, Sie haben nicht gefragt weil sie die (banale) Antwort interessiert. Ihre Frage war als Kommentar gemeint, oder?
Johannes Welte
@Florian Thalhofer Logo 😉 wobei Kreuzberg mit 150000 Einwohnern ja groß genug für eine eigene Zeitung wäre.
Michael Seeholzer
@Florian Thalhofer Das Beispiel ist gut gewählt. Viele Aufbackbäcker machen das, was viele Aufbackmedien tun. Sie nennen das „kuratieren“. Also einen beliebigen Sachverhalt als den eigenen auszugeben indem ihm eine neue Verpackung übergebraten wird. Früher nannte man sowas Verletzung des Urheberrechtes. Das macht das Ganze zwar billig, aber um den Preis, dass überall der gleiche, billige, geschmacklose, und von mir aus auch noch ungenießbare Fraß drin ist. Kuratierter Billigjournalismus ist wie Billigbreze. Billig aber irgendwann einmal Bauchweh.