Trump is over

Es ist eine Obsession von mir Trump-Rallies live im Internet anzuschauen. Stundenlang. Das war schon 2016 so, ich habe mittlerweile wohl 50 Auftritte von Trump in ihrer Gänze gesehen.

Gestern ist Trump in Tulsa aufgetreten. Es war die erste Trump Rally seit langem, Trump wollte trotz Corona unbedingt seinen Auftritt, er hat ihn bekommen. Heute lese ich, dass sich Kinder überall in den USA organisiert haben um Tickets aufzukaufen, und so dafür sorgten, dass viele Reihen in der Halle leer blieben. Es mag zu dem beigetragen haben, was dann passiert ist.

Ich habe auf YouTube eine Live-Kamera gefunden, die während der gesamten Rally immer nur das Publikum gefilmt hat. Die Kamera war von Fox, einem Trump durchaus gewogenem Sender. Trump spricht in seinen Rallies immer davon, dass die Kameras der ‘Mainstream-Medien’ immer nur auf ihn gerichtet seien, aber nie die riesige Crowd von Leuten zeigen würden, die zu seinen Veranstaltungen kommen. Trump hat von Fox die Kamera bekommen, die er sich immer gewünscht hat – eine Kamera, die nur das Publikum filmt.

Ich bin zufällig auf diesen Lifestream gekommen. Es haben nicht viele Leute zugeschaut (800, 1000). Zu sehen waren Bilder von fassungslosen Gesichtern, Menschen, die offenbar nicht glauben konnten, was sie sahen. Trump faselte wirres Zeig, wie ich es noch nie gehört habe, er redete beispielsweise 10, 15 Minuten lang darüber, wie und warum er vorsichtig eine Treppe heruntergelaufen ist und versuchte sich darüber lustig zu machen, dass es Leute gab die darin ein Zeichen sahen, dass Trump ein gesundheitliches Problem habe. Er sagte (offenbar versehentlich), dass er Parkinson hätte. ‘People say I have Parkinson. It is true. It is true.’

Trump konnte einem leid tun, wie er auf der Bühne herumhampelte und man konnte es in den Gesichtern der Leute sehen, dass Trump ihnen leid tat, dass sie nicht fassen wollten, dass ihr Idol nur mehr ein alter plappernder Mann war. Man kann den Schrecken in den Gesichten der Menschen sehen, als ihnen das klar wird. Wie sie noch an Trump glauben wollen, wie sie klatschen wollen, wenn Trump seine Wahlkampfklassiker serviert. Die Leute können einem leid tun.

Zu Trump-Rallies kommen Trump-fans. Das müssen diesmal besonders hartgesottene Anhänger gewesen sein, die sich mitten in der Corona-Pandemie aufmachten, ihr Idol zu sehen.

Man kann auf den Bildern den Shock in den Gesichtern der Menschen sehen.

Ich konnte es selbst nicht fassen. Ich habe einen Screenshot nach dem anderen gemacht.

Es mag damit zu tun gehabt haben, dass Kinder sich auf TikTok organisierten, Karten zu bestellen und die Halle nicht voll war. Vielleicht waren die Kinder es, die eine Lawine auslösten, vielleicht hätte sich die Lawine aber auch so gelöst. Die Lawine der Erkenntnis: Der Kaiser hat keine Kleider.

 

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Fragen

“Kommt aus der Steckdose genauso viel Strom, wie aus dem Ladegerät von einem Computer?”, will meine Therapeutin wissen. Ich fange an zu erklären, von Spannung und Stromstärke, von Volt, Ohm und Ampere. Eigentlich habe ich keine Ahnung von Strom, das habe ich schon in der Schule nicht kapiert.

Wenn ich es nicht verstanden hätte, warum habe ich dann nicht meine Lehrer gefragt, will die Therapeutin wissen.

“Eine ausgezeichnete Frage!”, antworte ich, um etwas Zeit zum Überlegen zu bekommen. “Nun ja, die Lehrer haben es ja erklärt, obendrein stand es in den Schulbüchern, ich habe es aber trotzdem nicht verstanden. Nochmal nachzufragen kam mir gar nicht in den Sinn, ich dachte, die Lehrer würden sonst nur denken, ich sei dumm. Sei ich ja auch irgendwie gewesen, denn ich wusste ja nicht, wie das mit dem Strom funktioniert… Und faul war ich ausserdem, die Texte in den Schulbüchern überflog ich allenfalls, immer in der Überzeugung, ich würde sie ohnehin nicht verstehen. Man bekam Punkte, wenn man richtige Antworten gab. Fragen hingegen wurden nicht belohnt. Ich hatte immer den Eindruck, dass Fragen Lehrer ärgerten, weil es ja Fragen waren, zu Dingen, die sie schon erklärt hatten. Heute denke ich, dass die Fragen die Lehrer vielleicht deshalb ärgerten, weil sie die Fragen als Vorwurf nahmen, es nicht richtig erklärt zu haben. Und so lernte ich, den Lehrern zu gefallen, indem ich keine dummen Fragen stellte und lernte, wie ich Punkte bekam, indem ich so tat, als hätte ich verstanden.”

“Es dreht sich in Ihren Gedanken alles immer nur um Sie”, sagte meine Therapeutin und es dauerte eine Weile bis ich verstand.

Schon in der Schule war ich sehr damit beschäftigt, mir ständig zu überlegen, wie andere mich sehen. Statt zu lernen beschäftigte ich meinen Kopf damit, Prognosen zu erstellen, was meine Lehrer von mir denken würde. Ich hatte Angst, mich zu blamieren. Und so war ich die ganze Zeit so sehr mit mir selbst beschäftigt, dass ich darüber vergaß, Fragen zu stellen.

Narren haben eine klare Meinung

Es gab eine Zeit, da galt als Narr der, dem alles egal war. Der auf dem Kanapee lag und Gott einen guten Mann sein liess. “Das sollen die Affen in München entscheiden, dazu bin ich zu blöd”, das ist so ein Satz, der mir aus dieser Zeit im Gedächtnis geblieben ist. (Im Original eher so: “Des solln die Affn in Minga ausmachn, dazu bin i’z bleed”.)

Heute zeichnen sich Narren dadurch aus, dass sie auch bei den kompliziertesten Themen eine ganz klare Meinung haben. “Es ist doch offensichtlich, dass… “ ist so ein typischer Satzanfang, an dem man den modernen Narren erkennen kann. Moderne Narren werden ausserdem nicht müde zu betonen, dass das, was sie sagen, nicht gesagt werden darf, vor allem nicht in den Medien. Dabei wird ständig in den Medien darüber berichtet, was die Narren denken, was die Narren sagen und es wird spekuliert wozu es wohl führen könnte, was die Narren tun.

Früher, als man noch nicht so viel Aufmerksamkeit auf die Narren gerichtet hat, schienen Narren ganz gut gelaunte Zeitgenossen zu sein. Wenn man sie so anschaute sahen sie zufrieden aus, so als könnten sie der Situation, in der sie sich befanden, auch etwas gutes abgewinnen. Moderne Narren hingegen haben wutverzerrte Gesichter. Sie toben und schreien und beschimpfen die, die ihnen Mikrofone hinhalten. Die Narren behaupten, dass die mit den Mikrofonen ohnehin nur lügen und ausserdem Marionetten seien. Das ist auch wieder so ein närrisches Bild, denn Marionette können nicht lügen, wenn, dann lügt der Marionettenspieler, oder aber wir befinden uns in einem Märchen, in einer Geschichte, in der alles auf ein Ziel hinausläuft, in dem alles eine große Verschwörung ist.

Narren lassen sich erkennen, an den Worten, die sie benutzen, wenn sie ihre Geschichte von der Welt erzählen. Narren übertreiben ständig, sie sagen ‘immer’ statt ‘oft’, ‘alle’ statt ‘viele’, sie sagen ‘Volk’ statt ‘wir’.

Die Sätze der Narren sind voll von Begriffen wie ‘Weltordnung’, ‘Öl’, ‘Waffen’, ‘die Medien’, ‘die Massen’, ’die wahre Macht’, ’der Markt’, ’Regierung und Politiker sind Schauspieler’, ’internationale Hochfinanz’, ’global vernetzte Bankenmafia’, ’absolut’, ’angedeutet’, ’Ausnahmezustand’, ’Notstand’, ’Weltfinanzsystem’, ’Weltwirtschaft’, ’flächendeckend’, ’befehlen’ (die anderen, den Narren), ’Hysterie’, ’Medienmaschine’, ’Fakt ist’, ’Kollateralschaden’, ’Zusammenbruch’, ’Politik und Medien’, ’die eigentliche Gefahr’, ’kühlen Kopf’ (der der Narren), ’bewahren’, ’die eigentliche Gefahr’, ’Finanzblase’ (’völlig aufgebläht’), ’nichts’, ’in den Schatten stellen’, ’Spieltisch der Hochfinanz’, ’Risiko’, ’Geschäfte auf Kosten der Allgemeinheit’, ’ganz simpel’, ’die Verantwortlichen’, ’die Politik’, ’noch immer’, ’die Realwirtschaft’, ’Spekulationsblase’, ’die sogenannte Globalisierung’, ’alles mit allem’, ’hat sich erwiesen’, ’ungebremst’, ’kein Staat der Welt’, ’Lawine’, ’Zinsen’, ’Schulden’, ’auf Pump’, ’man hätte damit rechnen müssen’, ’die Macht der Hochfinanz’, ’die Politik tat (tut) nichts’, ’im Gegenteil’, ’ungedeckt’, ’den Kopf in den Sand stecken’, ’als würde die Party immer so weitergehen’, ’war bekannt’, ’vorsätzlich verdrängt’, ’alles auf eine Karte setzen’, ’immer’, ’alles’, ’sämtliche’, ’wir’, ’skrupellos’, ’skrupelloses Finanzsystem’, ’tatsächlich’, ’eigentlich’, ’real’, ’Gefahr’, ’verdrängen’, ’behauptet’, ’in Wahrheit’, ’extreme Massnahmen’, ’Rettung des Kasinokapitalismus’, ’der Tropfen der das Fass zum überlaufen bringt’, ’missbraucht’, ’real existierende Wirtschaftspolitik’, ’unter Merkel’, ’Pharma’, ’Sklaven der Hochfinanz’, ’Getriebene’ ect.

Die Narren sprechen von Systemen als seien es Personen ‘das globale Finanzsystem befiehlt…’ und schreiben den Systemen Willen zu, so als ob da jemand wäre, der mit einer Stimme sprechen könnte. Diese System-Personen verfolgen einen bösen Plan, den aufzudecken sich die Narren zur Aufgabe gemacht haben. Ganz so, wie der Held eines Films, der früher als die anderen erkennt, was der Plot der Geschichte ist – das Ziel, auf das alles hinausläuft. Und wie im Film ist nichts zufällig, hat jedes Detail Bedeutung im Kampf von Gut und Böse.

Die Narren übersehen, dass die Welt kein Film ist. Die Welt ist unendlich viel komplexer als jede Geschichte. Der Mensch hat Geschichten erfunden als Vereinfachung der komplizierten Welt. Der Narr verwechselt die Welt mit den Geschichten, die man sich erzählt.

Wenn es dem Narren wenigstens dabei gut gehen würde. Doch der Narr ist ausser sich vor Wut. Er erzählt sich die Welt in Geschichten doch es funktioniert hinten und vorne nicht. Man könnte denken der Narr würde aufgeben, würde sich wieder aufs Kanapee legen und Gott einen guten Mann sein lassen. Vielleicht passiert irgendwann sogar. Doch im Moment sieht es nicht danach aus. Die Narren werden immer fuchsiger, weil die Welt sich an keinen Plan hält und die Narren ständig wieder überrascht werden. So als würde die System-Person immer wieder eine neue Wendung aus dem Hut zaubern. Das bestärkt die Narren noch mehr in ihrem Glauben, es mit einem besonders mächtigen Gegner zu tun zu haben. Dabei ist die Welt nur das, was sie immer schon war: komplex.

Sand in den Händen

Ich sitze in der Küche in der Morgensonne und trinke Kaffee. Irgendein Arsch fährt mit dem Moped die Straße entlang. Wie mich der Lärm von diesen Mopeds nervt, denke ich. Und dann betrachte ich den Gedanken. Was ist es an diesem Geräusch, was mich nervt? Könnte ich dieses Geräusch auch lieben? Ich krame ein wenig in meiner Erinnerung.

War es Italien oder Griechenland, egal, eine Wohnung oder vielleicht ein Zimmer in einer Pension? In einem Küstenort, nicht weit vom Strand. Dachterrasse oder Balkon, oder nur ein geöffnetes Fenster? Draussen das Geräusch eines Mopeds. Der Geruch von Kaffee, Frühstück, hartgekochte Eier. Ja, ich kann mich erinnern, wie ich das gleiche Motorengeräusch gehört habe und wie ich es gerne gehört habe. Wie ich den Geräuschen gelauscht habe und wie schön der Augenblick war.

Als ich ein Kind war, war alles was war, das was es ist. Erst mit der Sprache fing es an, dass ich die Welt beurteilte, dass ich anfing in gut und schlecht zu unterteilen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals geweint zu haben. Sicherlich habe ich geweint, wie jedes Kind, ich habe nur keine Erinnerung daran behalten. Wohl kann ich mich an Augenblicke des Glücks erinnern und diese Augenblicke waren eigentlich gar nichts besonderes.

Wenn ich an Momente des Glücks in meiner Kindheit denke, dann fällt mir der Sand in meinen Händen ein, die winzig kleinen roten Käfer auf dem Asphalt aber nicht die Carrerabahn, die ich zu Weihnachten bekommen habe und die ich dann gegen meine Brüder verteidigen musste, bis sie irgendwann in einer Schachtel vergessen war.

Was unterscheidet also den Sand in den Händen von der Carrerabahn? Der Sand in den Händen ist ein Moment, ein Augenblick, besonders nur weil ich mich daran erinnere.

Die Carrerabahn ist auch eine Erinnerung, aber es ist nicht die Erinnerung an einen Moment, es ist die Erinnerung an eine Geschichte, die ihren Anfang hatte (Weihnachten), Drama (der Kampf mit den Brüdern) und eine Ende (die Schachtel im Keller). Eine Geschichte mit Timeline, eine Verbindung von Momenten zu einer Einheit. Ich erinnere nicht mehr die Momente, ich erinnere die Geschichte, die, wie die meisten Geschichten, immer auch mit Leid verbunden sind. Eine Geschichte, in der nicht auch zumindest eine Spur Leid vorkommt scheint es nicht zu geben, so als funktioniere eine Geschichte ohne Leid als Geschichte nicht.

Gibt es auch Momente des Leids? Ich muss nicht lange in meiner Erinnerung suchen um ein Beispiel zu finden. Anfang 30 hatte ich einen Bandscheibenvorfall. Ich hatte noch nie in meinem Leben und auch seither nie mehr solche Schmerzen. Ich lag viele Stunden alleine in meiner Wohnung auf dem Boden und konnte mich nicht bewegen, weil die kleinste Veränderung meiner Position noch mehr Schmerz verursachte. Doch das seltsame ist, wenn ich an diesen Moment zurückdenke ist da keine Wunde. Im Gegenteil, es ist eine Erfahrung, die ich zwar nicht wiederholen aber dennoch nicht missen möchte.

Ich habe mich schon oft gefragt, wie das sein kann und formuliere es so: Ich war noch nie so in einen Augenblick genagelt, wie ich es damals stundenlang war. Da war kein Gedanke an die Zukunft oder die Vergangenheit, da war nur die Konzentration auf die Position meines Körpers und darauf, durch eine winzige Bewegung eine Position zu finden, die vielleicht etwas weniger unerträglich war. Ich war so mit dem Moment beschäftigt, dass ich keine Ressourcen hatte, mir um die Zukunft Gedanken zu machen, oder der Vergangenheit nachzutrauern. Was war, war der Moment, stundenlang.

Es ist also nicht das Geräusch, das nervt. Leid scheint auch nicht am Schmerz allein zu liegen.

Woran liegt es dann?

Ich hege den Verdacht, das Leid hängt irgendwie mit der Geschichte zusammen. Mit der Geschichte mit ihrem Anfang und Mitte und Ende – und der Moral, auf die es in der Regel hinausläuft. Eine Geschichte hat immer auch etwas mit Urteil zu tun, mit der Beurteilung was man aus ihr lernen soll, für später.

Aus einem Augenblick lernt man nichts. Der Sand in den Händen, die unerträglichen Schmerzen. Sie sind einfach nur da. Und dann sind sie weg… nur wenige Momente bekommt man zu fassen und kann sie behalten.

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