Warum die Frage ‘gut oder schlecht’ schlecht ist

There is also an English version of this text available.

Meist, wenn ich Argumente abwäge, wenn ich Überlegungen ausspreche, zum Beispiel darüber, wie sich der Immobilienmarkt entwickelt, dann fragen mich die Leute sofort: “Und ist, das nun gut, oder schlecht?”. Es scheint eine wahnsinnig interessante Frage zu sein, ob etwas gut ist, oder schlecht. Und dann denke ich mir: Aber wenn das so eine wichtige Frage ist, warum fragen die Leute dann mich? Die Leute sollten jemanden fragen, der Ahnung hat. Am besten also jemanden, der weiß, wie sich die Zukunft entwickelt haben wird. Also jemand, der quasi von der Zukunft aus, auf die Gegenwart schaut. Ich habe keine Ahnung, ich überlege doch bloss.

Ich überlege und wäge die Argumente ab, doch gerade weil ich herausbekommen will, wie sich die Dinge in Zukunft tatsächlich entwickeln werden. Weil ich in der Gegenwart hocke und wissen will, wie es in der Zukunft ausschaut. Das kann ich mir aber nur vorstellen, wirklich sehen kann ich es nicht, denn ich befinde mich ja in der Gegenwart, nicht in der Zukunft. Ich sitze also in der Gegenwart und überlege, wie sich der Immobilienmarkt in der Zukunft entwickelt. Und damit ich mir die Zukunft ja nicht schön oder hässlich sehe, versuche ich einen möglichst neutralen Blick, der möglichst nicht durcheinander kommen soll, von meinen Präferenzen und Wünschen.

Ja, manchmal habe ich auch eine Meinung. Ich finde die Mieten sollten bla, weil blaba. Aber, wenn ich mir die Zukunft wünsche (“Ich finde die Mieten sollten”), dann ist doch nur wahrscheinlich, dass ich die Argumente so anordne, dass die Zukunft am wahrscheinlichsten erscheint, die ich mir wünsche. Und auch, wenn ich mir des Problems bewusst bin, hilft das gar nichts, denn dieses hinschieben der Argumente macht das Unbewusstsein von alleine. Man kann nichts dagegen unternehmen.

Deshalb machen Wissenschaftler, wenn sie etwas herausbekommen wollen, Doppel-Blind-Versuche, weil bewiesen ist, dass ein Forscher, der das Ergebnis kennt, unbewusst das Ergebnis beeinflusst. Es ist dabei sogar egal, ob er eine Meinung hat, eine Präferenz, welches Ergebnis eintreten soll. Allein, dass der Wissenschaftler, also der, der die Untersuchung durchführt, das Ergebnis kennt, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass das Versuchsergebnis falsch ist.

Einmal hat man geglaubt, dass ein Gaul rechnen kann. Experten haben das Pferd jahrelang getestet. Das war, bevor man den Doppel-Blind-Versuch kannte. Wenn man dem Gaul eine Rechenaufgaben gegeben hat: Zum Beispiel: Wieviel ist 3+9? Dann sollte der Gaul 12 mal mit dem rechten Huf scharren. Doch der Gaul konnte gar nicht rechen. Der Gaul konnte nur gut die Gesichter der menschlichen Versuchsleiter lesen, und die waren es, die rechnen konnten.

Wenn ich also wissen will, wie sich der Immobilienmarkt in der Zukunft entwickelt, dann möchte ich doch keinesfalls das Ergebnis mit meiner Meinung versauen – das wäre doch blöd!

Also bemühe ich mich, beim Nachdenken, beim Abwägen der Argumente keine Meinung zu haben und eben nicht zu überlegen, ob das eine oder andere gut oder schlecht ist.

Und meist funktionieren Argumente ja so, dass ein Argument aufs andere aufbaut. Das ist wie bei einem Kartenhaus, wo man eine Karte mit einer anderen Karte abstürzt und Ebenen baut, auf die man noch mehr Ebenen stellen kann. Nur, dass die Karten keine Karten sind, sondern Argumente. Und wenn das gut läuft und man ein super-stabiles Kartenhaus hinbekommt, das man mit ganz vielen guten Informationen verklebt hat (denn nur gute Informationen ergeben den Kleber, der wirklich hält) dann kann man sich am Ende auf seine Konstruktion stellen und von dem Turm in der Ferne schauen und die Zukunft sehen.

Das heisst, ich will, dass meine Informationen stimmen (Informationen sind der Kleber, der die Argumente zusammenhält) und ich will, dass meine Argumente stimmen, also die Karten, aus denen mein Turm bestehet. Ich will also auf keinen Fall eine Karte bewusst oder unbewusst manipulieren, länger, oder kürzer ziehen, weil das meinen Turm schief machen würde und ich von seiner Spitze irgendeinen Quatsch sehen würde, bloss nicht die Zukunft – wenn denn der Turm überhaupt hält und nicht schon aufgrund der vielen schiefen Argumente in sich zusammenkracht.

Darum, will ich mir, auf jeden Fall, keine Meinung bilden, wenn ich irgendwas überlege. Und schon gar nicht, nachdem ich erst die allerersten Argument bedacht habe und allerhöchstens eine Ebene geschafft habe. Ich will noch viele Argumente, viele Karten aufeinanderstellen. Ob irgendwas gut ist oder schlecht? Also die Frage, die die meisten gleich am Anfang stellen – berurteilen lässt sie sich ohnehin erst, wenn man auf dem fertigen Turm steht und hinunterschaut. Wenn der Turm aus Argumenten gewachsen ist. Erst von dort, also von der Spitze des Turmes, lässt sich wirklich beurteilen, ob etwas gut ist oder schlecht.

The kids are amazing

Recently I had a number of encounters with a group of people that I find absolutely fascinating. In fact they are so amazing, so bright, so intelligent, so knowledgeable and at the same time so humble, that to me they feel like a new breed of humankind. I met them in Germany where I live, in Mexico, in the States (places where I recently traveled), I find them on the internet. Those people are well educated open minded young adults, up to 25 years of age. Those are humans that grew up in the time of digital. Kids that, while their brains were assembled did not exercise in watching TV (as I did) but exercised in playing computer-games and using the internet.

Gonzalo Álvarez at Vertice Transmedia Conference in Mexico-City, Oct, 2018 

I was never a gamer, but I realized early on, that if you practice playing computer games, it must be a different kind of practice for the brain and therefor lead to a different wiring of the brain, that leads to a different kind of thinking. And I said 15 years ago, that when these kids are grownups, they will be able to think thoughts, that we might not even be able to understand, but those thoughts will be amazing. Those kids grew up now. You meet them at conferences, they deliver papers, they become visible by expressing themselves making music, uploading stuff to YouTube (for sure they become visible at more places, these are just the places I find them).

What makes them so fantastic is the effortlessness how they seem to be able to connect different bits of information from various fields of expertise. They seem not to be bound by the borders of particular areas of thinking. They are open-minded to an extend that I was not, when I was their age (and I always considered myself to be an open-minded person). Those kids are beautiful and it is sheer pleasure to watch them think.

Those kids know, what they don’t know and they are not afraid say that. I remember being that age and I was so full of myself. I knew, what I knew and that was a lot and in certain fields often times more than the elders. But I was not able to see what I don’t know and it took me many, many years to learn.

And because those kids that know so much, also know, what they don’t know, they are not afraid to ask others for help. This way they are able to collaborate in a way that I never was and maybe never will be.

I am not sure if all the kids are like that. Probably not. Maybe there are those kids that TV loves to portrait so often: The casualties of the digital, the kids that live in their parents’ basement, play computer games, smoke weed and suffer depression.

I personally never met one, but of course that does not mean they don’t exist. Those kids don’t show up at conferences or ask me for an interview. Certainly, I am just talking about the top of the iceberg. But the young top of the iceberg is so much more impressive than the top of the iceberg when I was young!

An other recent text about the same topic.

Wie die Geschichte macht, dass der Kaffee schmeckt

Eine Freundin ist Aktivistin. Wir unterhalten uns über Kaffee. Ich bestelle Kaffee immer im Internet, bei einem auf Kaffee spezialisierten Händler. Ich lege viel Wert auf die Qualität des Kaffees. Die Freundin trinkt immer Zapatisten-Kaffee, den bestellt sie auch im Internet, bei einer Kooperative. Der Erlös kommt den Zapatisten in Mexiko direkt zu Gute. “Der Kaffee schmecke auch ganz toll!” sagt die Aktivistin, die von sich sagt, sie sei eine leidenschaftliche Kaffeetrinkerin.

Ich überlege laut, ob denn der Kaffee der Zapatisten auch wirklich von guter Qualität sei. “Klar”, sagt die Aktivistin, “der wird ja auch in den ganzen linken Buchläden verkauft.”

“Naja”, sage ich, “als Indikator, ob ein Kaffee gut ist, würde ich eher nehmen, ob er auch in guten Kaffeeläden verkauft wird. Linke Buchläden sind nicht unbedingt ein Hort des guten Kaffees.”

Die Freundin hebt noch andere Vorzüge des Zapatisten-Kaffees hervor. Der Kaffee werde fair gehandelt, und zwar “nicht nur unter so einem Pseudo-Fair-Trade-Label sondern wirklich fair”.

Einige Tage nach unserem Gespräch bringt die Freundin eine Tüte Zapatisten-Kaffee und ich probiere gespannt. Der Kaffee ist gar nicht gut.

Der Freundin hingegen schmeckt  der Zapatisten-Kaffee besser als andere Kaffees, sie hat es immer wieder gesagt. Ich glaube es ihr, weil ich weiss, dass Geschmack unterschiedlich sein kann. Zahlreiche Faktoren bestimmen den Geschmack.

Die Geschichten, die man sich erzählt, sind auch Faktoren, die den Geschmack bestimmen.

Der Aktivistin schmeckt der Zapatisten-Kaffee vermutlich deshalb so gut, weil ihr die Geschichten vom Zapatisten-Kaffee so gut gefallen.

Das ist normal. Das geht jedem so.

AI – der Gott der Zukunft

Derzeit arbeite ich in einem kleinen Team an einem neuen Korsakow-Film. Es geht um die Zukunft, um AI (Artificial Intelligence), um Computer, um vernetztes Denken.

Codonaut – Wohin programmieren wir uns?

 

Der folgende Text ist in diesem Zusammenhang entstanden.

Wenn Leute sagen, dass Künstliche Intelligenz eine Black-Box sei, die Entscheidungen trifft bei denen die Menschen nicht mehr in der Lage sind, zu verstehen, wie es zu diesen Entscheidungen kommt, dann kommt mir das bekannt vor.

Ich bin in Bayern aufgewachsen, in einer Kleinstadt. Da gab es auch ein Black-Box, die Entscheidungen traf, die das Leben täglich aufs neue bestimmte. Es gab eine ungefähre Vorstellung wie man sich verhalten musste, aber man wusste nie genau, was die Black-Box sich ausdachte. Die Black-Box hies “Lieber Gott”, und Zweifel, an dessen Existenz kamen mir erst später. Ein  gläubiger Mensch kann allenfalls spekulieren, nicht aber erklären, wie und warum ein Gott zu seinen Entscheidungen kommt. Als gläubiger Mensch habe ich angenommen, dass Gott Buch führt, über die Sünden wie die guten Taten. Es wurde mir gesagt, dass Gott die guten Taten belohnt und die schlechten bestraft, dass Gott ein kompliziertes Register führt, so kompliziert und allumfassend wie einem heute Google, Payback oder die Schufa vorkommt. Sich gut im Sinne der Regeln zu verhalten ist also für mich nichts neues. Ich kenne es aus dem katholischen Bayern, das mir als Kind so normal vorkam.

Und so, wie Künstliche Intelligenz mensch-gemacht ist, ist Gott mensch-gemacht. Hat sich der Mensch Gott ausgedacht.

Wie kam es, dass sich der Mensch Gott ausgedachte?

Die Hirne der Menschen sind ausgelegt, in überschaubaren Gruppen zusammenzuarbeiten. Danach stößt das Hirn an eine Kapazitätsgrenze. Mit dem Trick des gemeinsamen Gottes, haben es die Menschen geschafft die Familie zu erweitern, und gelernt, Vertrauen zu Individuen haben zu können, die sie nicht genau kannten. So haben sie es geschafft sich in immer größeren Schwärmen zu organisieren, um gemeinsam an immer größeren Zielen zu arbeiten.

So haben die Menschen den gesamten Planeten unterworfen. Der Mensch hat mit Gott (bzw. den Götter, der verschiedenen Religionen), Regelsysteme entwickelt, an die sich die kritische Masse der Individuen innerhalb einer Gruppe halten, bzw. hielten.

Das Regelsystem der Götter hat ausgedient. Denn es stößt gerade an seine Kapazitätsgrenzen. Die durch technischen Fortschritt hervorgerufene, immer bessere Kommunikation unter den Individuen, lässt das bestehende System brüchig werden. Zweifler gab es schon immer, die erkannten, wie offensichtlich blödsinnig die Black-Box Gott ist. Doch deren Stimme ist verhallt, noch bevor sie eine kritische Menge an Menschen erreichen konnte. Die heutigen Kommunikationswerkzeuge ermöglichen es nun den Zweiflern, genügend Menschen zu erreichen und zu überzeugen, so dass das System des Glaubens an die Wahrheit am Kippen ist. Die kritische Masse ist vermutlich schon erreicht. Wir erleben derzeit einen Krieg der Geschichten, es ist vielleicht das letzte Aufbäumen derer, die an eine Wahrheit glauben. Dieser Kampf wird schon seit einigen Generationen geführt. Gott ist tot und immer mehr Menschen sind sich dessen bewusst.

Der Mensch ist gerade dabei, das System Gott zu durchschauen und das macht es notwendig, ein neues System zu etablieren, ein System, so kompliziert, dass es der Mensch mit seinem Hirn nicht knacken kann. Ein System, das es ermöglicht, in noch größere Gruppen von Menschen zusammenzuarbeiten.

Kapitalismus, Konsumismus, Humanismus sind Kandidaten. Der Glaube an die Künstliche Intelligenz des Supercomputers ist nun auch im Rennen, das Organisationsprinzip für die Zukunft zu werden. Vielleicht ist Künstliche Intelligenz sogar der aussichtsreichste Kandidat.

Eine gruselige Geschichte

Der Ted Talk von Simon Sinek ist eine gruselige Geschichte. Der 8 Jahre alte Ted-Talk “How great leaders inspire action” von Simon Sinek spricht mir einerseits aus dem Herzen, doch gleichzeitig wird mir fast körperlich schlecht.

Simon Sinek beschreibt, was einen erfolgreichen Innovator ausmacht. Welche Fragen er sich in welcher Reihenfolge stellt und warum diese Reihenfolge wichtig ist und Erfolg nach sich zieht.

Ich denke an Donald Trump. Die Figur Trump stellt sich genau so dar: als erfolgreicher Innovator, der völlig von dem überzeugt ist, was er sieht. Und genau diese Qualität macht ihn für viele Menschen so überzeugend. Doch Donald Trump ist leider kein erfolgreicher Innovator, seine Ideen sind langfristig höchstwahrscheinlich sehr, sehr schlecht (nach allem, was die überwiegende Meinung von Experten ist). Doch das faszinierende: Trump scheint sich selbst fest zu glauben, mit jeder Faser seines Selbst. Seine Überzeugtheit macht ihn so überzeugend.

Es ist fast so, als hätte Trump und auch die Trump-Wähler den Ted-Talk von Simon Sinek gesehen. Denn sie verhalten sich genau nach seinen Regeln. Das ist natürlich unwahrscheinlich. Wahrscheinlich ist, dass Simon Sinek 2010 ein Muster erkannt hat, das damals im Entstehen war.

Ich habe das Muster damals auch gespürt ( wenngleich nicht so gut beschrieben, mein Versuch hier: Die Welt ist eine Wolke ).

Der Ted Talk von Simon Sinek ist eine schöne Geschichte. Wenn man sie als Inspiration nimmt und sich damit in die Lage versetzt, aus einem anderen, vorher unbekannten Blickwinkel die Dinge sehen zu können – dann bringt einen die Geschichte im Denken weiter. Denn dann ergänzt der neue den alten Blickwinkel und man kann nun nicht mehr nur aus einer, sondern aus zwei Perspektiven sehen. Das ist der erste Weg.

Der zweite Weg ist, wenn man denkt, die neue Geschichte sei wahr. Dann glaubt man sie einfach und bleibt im Grunde das, was man auch vorher schon war: ein Gläubiger. Man ändert nur seinen Glauben. Man glaubt nicht mehr an die eine Geschichte, sondern an die andere. Man ändert den Blickwinkel und anstatt die Sachen so zu sehen, wie man sie vorher gesehen hat, schaut man sie nun aus der neuen Perspektive an. Man hat die Perspektiven geändert (immerhin!) – aber man hat keine Perspektive hinzugewonnen.

Beim ersten Weg hat man also eine Perspektive mehr während sich beim zweiten Weg die Anzahl der Perspektiven nicht ändert. Man mag  überzeugter sein, nun die Wahrheit zu kennen. Weil man auf dem zweiten Weg eine alte Wahrheit mit einer anderen, einer vermeindlich besseren, ersetzt hat.

Auf dem ersten Weg muss man hingegen lernen, dass es eine Wahrheit nicht gibt und das ist nicht einfach. In der Folge sieht man einerseits unschärfer doch andererseits klarer. Unschärfer, weil man nicht mehr nur Schwarz und Weiß, sondern auch in Grautönen sehen kann. Das Bild, das man sehen kann ist nicht mehr so kontrastreich, doch es ist näher an der Realität.

Vermutlich sind die meisten Trump Wähler den zweiten Weg gegangen: Das würde erklären, warum sie offenbar überzeugter wurden, als sie es waren und scheinbar gleichzeitig das geblieben sind, was sie immer schon waren: Gläubige, die die Welt nur aus einer Perspektive wahrnehmen können.

Mir wird fast schlecht, wenn ich den Ted Talk von Simon Sinek nach all den Jahren erneut sehe, denn es kommt mir der Verdacht, dass die selben Gedanken, die mein Denken vielschichtiger werden liessen, auch dazu führen konnten, dass Menschen noch engstirniger wurden.

Es ist nicht eine Geschichte, die verändert. Es ist die Lehre, die man daraus zieht.

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