Was wir finden werden

Miami Beach

Alles Wissen, was in der Vergangenheit gesammelt wurde, ist wahr, wurde wahr oder deutete zumindest auch damals schon in die richtige Richtung. Die, in die es dann tatsächlich ging. Früheres Wissen kann vielleicht überholt sein, so wie ein langsameres Fahrzeug von einem schnelleren überholt werden kann, doch nur, wenn sie beide in die selbe Richtung fahren. Wissen kann, entgegen dem, was das Wort suggeriert, nicht “widerlegt” werden, in dem Sinne, dass es mit dem neuen Wissen nun in die gegengesetzte Richtung geht. Es geht immer weiter. Vielleicht, dass sich die Richtung des Weges ändert, den das Papierschiffchen auf seinem Weg den Bach hinab nimmt. Es ändert ständig die Richtung, doch immer geht es den Bach hinab und nie hinauf. Das Schiff kommt im Verlauf der Zeit an immer neue, ungesehene, unvorstellbarere Orte. Die Eindrücke, die diese Orte auf die Menschen auf dem Schiff hinterlassen, prägen das Denken. Das Wissen der Vergangenheit wies schon immer freundlich in unsere Richtung. So wie ein Kapitän der immer souverän das Papierschiffchen in die Richtung weisst, in die sich dann tatsächlich bewegt.

Die Zukunft des Denkens

Womöglich wird bald und vielleicht sogar schon jetzt den Kindern vor allen Dingen eine Fähigkeiten vermittelt, um sie aufs Leben vorzubereiten. Es ist eine Tugend und sie kann trainiert werden: Unvoreingenommenheit. Eltern/Schulen/Medien werden den Kindern beibringen so unvoreingenommen wie möglich zu sein. Denn diese Fähigkeit könnte die wichtigste Voraussetzung sein, erfolgreich zu sein – was auch immer Erfolg in der Zukunft ausmachen sollte. Denn Unvoreingenommenheit scheint mir die wichtigste Voraussetzung, um von der Vielzahl der Signale profitieren zu können, die auch aufgrund technischer Entwicklungen aus immer mehr Richtungen und immer lauter empfangen werden können.

Mit Voreingenommenheit hingegen ist es meiner Meinung nach schwierig, vom Wissen anderer zu profitieren, die ausserhalb der Grenzen der Voreingenommenheit stehen – technische Entwicklungen hin oder her. Die zum großen Teil widersprüchlichen Signale, die, wie zu erwarten ist, immer mehr, aus den verschiedensten Richtungen auf uns einwirken, über Smartphone, Computer, Zeitung, Radio, Fernsehen, Twitter, Facebook, YouTube, Instagram, TikTok – und was da noch alles ist und sein wird – all das scheint für voreingenommene Menschen immer mehr zum Problem zu werden, eine Kakophonie, unverständlicher Lärm.

Wenn man mit wenigen Augen auf etwas sehr großes und komplexes schaut, scheint mir, als dass man nicht viel mehr wahrnehmen kann als das Detail, das man zufälliger Weise vor der Nase hat. Man bräuchte viele verschiedene Blickwinkel, um große komplexe Dinge zu verstehen. Wenn sich das Ding dann noch bewegt, so wie man sagt, dass sich die Welt immer schneller verändert, wenn also das Ding, das es zu erfassen gilt ein ein “moving target” ist, kann es demnach nur erfasst werden, wenn man aus vielen Blickwinkeln gleichzeitig zu betrachten gelernt hat. Unvoreingenommenheit scheint mir die Voraussetzung zu sein, Blickwinkel zuzulassen, die dem eigenen Sehen vielleicht sogar widersprechen

Die Probleme mit denen die Menschheit in der Zukunft konfrontiert sein wird, werden vermutlich sowohl grösser als auch komplexer sein als heute und sie müssen dann noch viel mehr von den verschiedensten Seiten aus begutachtet und verstanden werden um sie reparieren zu können. Die Unvoreingenommenen würden so immer mehr an Bedeutung gewinnen, denn sie wären dazu in der Lage. Die Voreingenommenheit scheint mir schon jetzt auf dem absteigenden Ast, wie sich, meiner Meinung nach, auch an vielen Stellen beobachten lässt. Die seit Jahren offenbar immer mehr zunehmenden Diskussionen um Diversität aller Art ist meiner Ansicht nach ein Ausdruck von genau dieser Entwicklung, Ausgrenzung und Voreingenommenheit wird nach meiner Beobachtung immer weniger goutiert. Der tiefer liegende Grund ist dabei meiner Meinung nach weniger das Streben nach Gerechtigkeit, sondern das Bewusstsein um den Wert der vielen verschiedenen der Blickwinkel.

Ich bin überzeugt, dass Gesellschaften, die in der Lage sind, eine möglichst große Zahl an Perspektiven zuzulassen, besser sehen, besser erkennen und besser verstehen können. Und das wiederum scheint mir die beste Voraussetzung zu sein, klug auf Veränderung reagieren zu können. Wenn es stimmt, dass sich die Welt immer schneller verändert, werden es sich die Gesellschaften immer weniger leisten können, wählerisch zu sein und nur die Perspektiven gelten zu lassen, die Voreingenommenheit zulässt.

Ich vermute, unsere Kinder werden klüger sein als wir, weil sie besser verstehen, sich mit dem Wissen aus tausenden von Blickwinkeln aufzuladen. Und sie werden sich vermutlich bewusst sein, dass jeder/jede einzelne alleine immer nur einen winzigen Blickwinkel auf die Realität wahrnehmen kann.

Diese Kinder werden, so vermute ich, unvoreingenommen sein, klug und bescheiden. Genies eben.

Meine Meinung zu Meinung

Meinung hat meist etwas mit Wissensstand zu tun und der Wissensstand kann sich eigentlich immer verbessern. Vermutlich ist es eher die Regel, als die Ausnahme, dass sich Meinung ändert, wenn das Wissen steigt. Je weiter man in die Vergangenheit schaut (sei es die persönliche oder die der Menschheit) desto rarer werde da, allem Anschein nach, die Ausnahmen.

Was ist also auf Meinung zu geben? – Wohl nicht allzu viel.

Wenn man dann noch bedenkt, wie sehr Meinung aufregt, nicht nur emotionale Energie kostet, die sich dann nicht mehr einsetzen lässt um Wissen zu erweitern (indem man z.B. argumentiert, statt zu fragen) komme ich nicht umhin zu denken: Man sollte die Meinung sein lassen, wo es nur geht. Und wenn es nicht geht – denn manchmal braucht man eine Meinung – ist sie hoffentlich klüger, wenn man nicht so viel Energie verschwendet hat, zu allem eine Meinung zu haben.

Offener Brief an meine Freunde oder wie man ein Iglu baut

Welche Realität war gleich wieder die richtige?

Nicht wenige meiner besten Freunde fürchten sich schon davor, dass ich wieder damit anfange: “Multiperspektive”.

Denn so nenne ich das, was ich seit ein paar Jahren immer mehr und allenthalben sehe, wie ein Pflänzchen, das sich an allen möglichen Orten immer mehr ausbreitet. Aber meine Freunde wollen sich nicht so viel (wie ich) über Blätter unterhalten, und wie könnte man es ihnen verdenken? Meine Freunde interessieren sich ja auch noch für andere Dinge, wie Kunst und Kultur oder welchen Schrank man kaufen will, oder wo am besten. (“Danke für den Tipp, Jim, wir haben einen gefunden!”).

Ich lebe ja auch auf dieser Welt und ich kenne und schätze den Wert solcher Gespräche. Wir leben in der Stadt, da ist das Zeug, das da wächst nicht so wichtig. Meine Freunde sind keine Botaniker, die sich auf die Detailverliebtheit einlassen könnten, die es braucht, wenn man Blattstrukturen untersuchen will (bzw muss. Ich muss, ich kann es nicht lassen. “Verdammt, das ist wichtig! Ja auch bei diesem Pflänzchen, das da zwischen den Ritzen auf der Strasse wächst.”) Und so zucken meine Freunde leicht zusammen, wenn ich schon wieder auf ein Blatt zeige und ausrufe: “Multiverspektive!”.

Meine Freunde scheinen vor lauter Stadt nicht zu sehen, wie gerade eine Pflanze dominant wird, die vermutlich in wenigen Jahren völlig unser Denken beeinflusst haben wird — und ich vermute, dass genau dieses Denken notwendig sein wird, um die Karre noch mal rumzureissen, und wir so vielleicht, wie bei einem Computerspiel, auf den nächsten Level kommen. Wie gesagt, das vermute ich, das kann jetzt aber noch niemand wissen. So wie man nie wissen kann, wie sich die Zukunft sich entwickeln wird. Aber es gibt Wetterprognosen. Und ich bin sowas, wie ein Wetterfrosch. Denn wie das Schicksal so wollte, habe ich genau das ich sein mehr als 20 Jahren studiert. Was genau? Das Pflänzchen.

Gras, also Cannabis, also die Pflanze für die sich immerhin noch ein paar Leute mehr interessieren, ist: absolut gar nichts dagegen. Ich sehe ja, wie das, was da im Entstehen ist, schon jetzt kolossal unser Denken verändert. Ja, auch Deins! Schau einfach hin, dann kannst Du es sehen. Und denke nicht, das sei normal, nur weil es Deinen Freunden mehr oder weniger genauso geht.

Wie soll ich sagen? Man kann es deutlich erkennen, wenn man in eine andere Richtung schaut als man es gemeinhin gewohnt ist. Wenn man ins Weltall schaut ist es dunkel, wenn man die Sonne im Rücken hat. Auf der Erde nennt man dieses Phänomen “Nacht”. Doch die Nacht geht dem Ende entgegen. Und man kann die Dämmerung bereits wahrnehmen. Wenn man dahin schaut, wo die Sonne aufgehen wird. Wenn man irgendwohin schaut, dann bekommt man sehr wahrscheinlich nicht mit, dass es dämmert.

Die Pflanze wird von Tag zu Tag grösser, hier ist mir nun ein besonders schönes Exemplar untergekommen: Könnt Ihr Euch das bitte mal anschauen? Hört Euch diesen Beitrag an, und ruft Euch alle 30 Sekunden das Wort “Multiperspelktive” in Erinnerung, stellt Euch in Gedanken meine Stimme vor und das, was ich seit Jahren über die über die Struktur der Blätter gesagt habe. Könnt ihr es jetzt sehen?

Für die alle die nicht wissen, von WTF ich rede – diese Pflanze haben natürlich auch schon andere bemerkt. Leute, die es anders ausdrücken. Immer mehr Leute beschreiben das selbe Phänomen, das ist nur nicht so einfach zu erkennen, denn sie beschreiben es aus vielen verschiedenen Blickwinkeln und geben der Sache unterschiedliche Namen.

Judith Aston hat mich auf den Begriff Metamodernismus gestoßen, ich würde sagen es ist das gleiche Phänomen:

Man könnte jetzt natürlich fragen: “Ok. Das Ding, das Pflänzchen, Metamodernismus, Multiperspektive oder was auch immer, es kommt ja sowieso. Warum sollten wir da irgendwie (und wie überhaupt?) eingreifen, ist ja nichts schlechtes, oder? Warum also jetzt so viel Energie für etwas verwenden, wo es doch noch andere mindestens ebenso wichtige Dinge gibt?”

Die Frage ist sehr berechtigt und ich würde ganz nüchtern antworten: “Weil ihr Euere Kinder so erziehen wollt, dass sie gut auf die Zukunft vorbereitet sind. Dass man ihnen also heute schon beibringt, wie man die Pflanze erkennen kann, wie man deren Wirkung verstehet, um in Zukunft mit und nicht gegen die Pflanze zu arbeiten. Auf der anderen Seite sind dann bestenfalls die, die sich später ständig in den Ästen der Pflanze verheddern, weil sie sie nie zu sehen gelernt haben.

Die Diskussion um Facebook

Es passiert gerade sehr spannendes. Es ist die Debatte um Facebook. Es geht dabei allerdings um etwas ganz anderes als um die Frage, ob Facebook gut oder schlecht ist oder gar um die Frage ob die neuen Kommunikationsmedien an sich gut oder schlecht sind.

Wir können gerade einen wichtigen Schritt in der Entwicklung der neuen Kommunikationsmedien beobachten. Das ist nur nicht so offensichtlich, da dieser Prozess von Leuten ausgehandelt wird, die so sprechen als ginge es um Gut oder Böse. Das klingt dann bisweilen so, als wären die neuen Kommunikationsmedien an einen Punkt gekommen, an dem es womöglich nicht weitergeht. So als stünde der Untergang von Facebook oder so an. So wie darüber berichtet wird, könnte man den Eindruck gewinnen, das System stehe an einem Kollaps. Dem ist nicht so. Es wird zwar z.B. in den Hearings, die im Senat in den USA stattfinden immer wieder auf das Beispiel tabacco-industry verwiesen, wo also ein Wirtschaftszweig wissentlich das Leid von Millionen von Menschen billigend in Kauf genommen hat um Profit zu erwirtschaften. Auch wenn der Vergleich nahe liegt ist er doch nicht besonders hilfreich, denn anders als beim Zigarettenkonsum stehen den negativen Auswirkungen des Konsums neuer Kommunikationsmedien wesentlich mehr und wesentlich stärkere positive Effekte gegenüber. Was für die neuen Kommunikationsmedium insgesamt gilt, gilt wahrscheinlich sogar für Facebook selbst.

FB ist nicht so schlecht, wie die meisten sicherlich nachvollziehen können, wenn sie bereit sind folgender Überlegung zu folgen:

Den negativen Auswirkungen von FB stehen viele positive gegenüber. Ich denke das kann jeder sehen, der FB benutzt. Der FB nutzt trotz allem, was die meisten an FB zu kritisieren haben. Dem was zu kritisieren ist steht also etwas also etwas anderes gegenüber. Und bei den meisten (bei allen, die FB weiterhin nutzen) ist dieses Ding grösser als alles was zugegebener Massen negativ an FB ist. Und dieses Ding, das da dem Negativen gegenüber steht, das ist das positive, das FB hat.

Es könnte natürlich blöd für FB laufen und FB wird im Zuge der Diskussion zerschlagen. Das wäre dann sicherlich aber auch schon das dramatischste, das passieren kann. Am langfristigen Trend, dass die neuen Kommunikationsmedien immer größere Bedeutung bekommen wird sich gar nichts ändern.

Was wir da beobachten können ist schlicht und ergreifend, wie gerade unter grossem Anteil der Öffentlichkeit Fehler am System der neuen Kommunikationsmedien ausgeleuchtet und damit die Voraussetzung geschaffen wird diese Fehler zu korrigieren. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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