Eigentum

2014self

Einmal war ich von einem Freund eingeladen, in das Ferienhaus seines Schwiegervaters. Das steht an einem See. Auf dem Grundstück, direkt neben dem Haus ein rießengroßer Felsblock. Ein Findling, vielleicht hunderte Tonnen schwer, von dessen Massivität eine große Kraft ausgeht. Und ich denke so bei mir, dass ich auch gerne so einen Felsen besitzen würde. So einen schweren, unverrückbaren Granitblock. Ich weiß nicht wozu, aber ich würde ihn gerne mein Eigentum nennen. So ein Ding, das vielleicht schon 100 Millionen Jahre an dieser Stelle liegt und vielleicht noch in 100 Millionen Jahren da liegen wird. Aus Sicht eines Menschenlebens sind das viele Ewigkeiten.

Dann frage ich mich, was der Fels wohl davon hält, einen Besitzer zu haben?

Ein Fels denkt in ganz anderen Zeiträumen. Der Fels merkt sicherlich gar nicht, dass er einen Besitzer hat. Und wie verwegen es doch von dem Besitzer ist, zu denken, dass ihm der Fels gehört. Er darf es sich vielleicht einbilden, aber der Fels gehört allenfalls sich selbst. Zu groß und zu schwer, an eine andere Stelle gebracht zu werden, hat der Fels vielleicht schon tausende Besitzer gehabt und wird vielleicht noch tausende Besitzer haben. Den Fels kratzt das nicht. Jeder Besitzer ist bestenfalls Besucher – und fort, schon in einem Augenblick.

Leben in der Vergangenheit

Auf der Reise in Kanada und den USA, Nov 2013

Ich erinnere mich:
In den 90er Jahren wollte ich keine alte Musik hören. Ich wollte meine Zeit nicht mit Oldies im Radio verschwenden und womöglich etwas neues verpassen.

Ich erinnere mich:
Ungefähr um die Jahrtausendwende herum wünschte ich mir, dass nichts mehr erfunden werden würde. Dass keine neuen Bücher geschrieben würden, dass keine neuen Musiken mehr aufkämen, dass keine neuen Filme mehr gemacht werden. Um Zeit zu haben, all das zu sehen, zu lesen, zu hören, zu begreifen, was schon da ist.

Genau das ist geschehen. Heute wird das Vergangene reproduziert, neu gemischt, wiedergespielt und die Lücken, die gelassen wurden, werden gefüllt. Die Lieder, die früher schon hätten gesungen werden können, werden gesungen. Wie in einer nicht enden wollende Gruppentherapiesitzung, in der das Vergangene immer wieder aufgerührt wird.

Wahrscheinlich ist es genau das: Wir versuchen zu verstehen, was wir getan haben. Wir versuchen uns bewusst zu werden.

Wie wird sich die jetzige Epoche in der Zukunft einordnen lassen? Es wird die Zeit sein, in der nichts neues erfunden wurde. Und es ist die Zeit, in der alle in der Vergangenheit gemachten Kulturleistungen gleichzeitig in die Gegenwart gebracht wurde. Ein gewaltiges Unterfangen.

Aus dem Blickwinkel der kommenden Epoche wird dies klar sichtbar sein.
Doch was wird diese kommende Epoche sein?

[to be continued]

Wahrheit

Es gibt so viele Wahrheiten, wie Betrachter.

Im Körper

Berlin, Nov. 2013

Man kann noch so viel begriffen haben, es hilft einem nichts. Wenn man das, was man verstanden hat, nicht spürt, es lebt. Zum Beispiel das “im Augenblick sein”. Jeder halbwegs intellektuelle Mensch hat es verstanden. Die Theorie ist klar: Das Glück erschließt sich, wenn man den Augenblick lebt. Wenn man nicht andauernd über die Vergangenheit grübelt oder sich über die Zukunft Sorgen macht. Wenn man sich zum Beispiel die Wolken am Himmel anschaut. Einen Baum, dem der Wind durch die Blätter fährt. You know what I am talking about. Du, der Du diese Zeilen liest, bist auch so ein Intellektueller. Im Augenblick sein! Jetzt. Hier. Einatmen, ausatmen. Hunger? Durst? Wie riecht die Luft? Aber Du hast es ja längst begriffen. Du kennst den Gedanken. Jetzt mal wirklich: Wie riecht die Luft?

Intellekt ist was schönes. Aber was hilft es, wenn es die Welt nicht fühlen lässt, sondern nur begreifen? Begreifen kann ein erster Schritt sein, aber wenn man das Begriffene nicht erlernt, es nicht so lange übt, bis man es automatisch macht, ist es wertlos. Das Sammeln theoretischer Gedanken unterscheidet sich nicht sehr dem Sammeln von Briefmarken.

Ich habe eine Hexe kennengelernt. Die hat mir gezeigt, dass ich einen Körper habe. Dass ich nicht nur in einem Körper lebe, sondern dass ich ein Körper bin. Ein Körper, der denkt. Nicht ein Denken, das in einem Körper steckt. Die Hexe und ich, wir üben es immer wieder und die Erfahrung ist ein ums andere mal spektakulär: Ich bin ein denkender Körper. Und ein ums andere Mal verschwindet das Fühlen nach einiger Zeit wieder und ich rutsche zurück ins Denken. Ich denke dann wieder und fühle kaum mehr.

Wie fühlen sich meine Fingerspitzen an, wenn sie die Tasten des Computer-Keyboards nach unten schlagen? Und seltsam, wenn ich mir dessen bewusst werde, lenkt es mich nicht von meinen Gedanken ab, im Gegenteil. Es lässt meine Gedanken fließen. Aber ich muss aufpassen, denn meine Gedanken sind bereits dabei, meine Aufmerksamkeit zu übernehmen. Meine Gedanken schmieren meine Leben zu. Wie weiße Farbe über eine Fensterscheibe. Gedanken sind das, was wir aus der Welt machen. Die Welt ist alles, was denkbar ist, doch das, was wir denken, ist das Gefängnis, in dem wir leben.

Elissavet hat geträumt. Von Männern aus der Antike.

Berlin, Juni 2013

“Von Griechen?”, frage ich (Elissavet ist Griechin).
“Nein, von Römern”, sagt sie.

“Aber die Römer, sind doch gar nicht die echte Antike. Die Griechen haben die Antike erfunden und die Römer haben sie dann nachgemacht. Das ist gar nicht echt”, sage ich ernst und meine es als Witz.

Elissavet strahlt aus tiefstem Herzen: “Das musst Du mal sagen, wenn richtig stolze Griechen da sind, die werden Dich lieben!”.

Ich sage es noch mal, um schon mal zu üben:
“Die Griechen haben die Antike erfunden, die Römer haben sie nur kopiert. Die Antike der Römer ist gar nicht echt.”

Elissavet strahlt. Sie ist glücklich. Ich sehe es ihr an, wenn sie glücklich ist.

“Wahnsinn,” sagt sie “es funktioniert!” und nach einer Pause: “unglaublich, was ich da in mir habe, was mir mitgegeben wurde, von meinen Eltern, von meiner Erziehung. Und wie anfällig es mich macht, Dinge zu glauben, die in dieses Muster passen.”

“Und wie schön es ist, Sachen zu erzählen, die die Leute hören wollen, auch wenn es Quatsch ist” sage ich.

Einen Zeit lang stehen wir schweigend im Flur unserer Wohnung, und sinnen den Implikationen nach, die diese Beobachtung mit sich bringt.

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