Meinung hat meist etwas mit Wissensstand zu tun und der Wissensstand kann sich eigentlich immer verbessern. Vermutlich ist es eher die Regel, als die Ausnahme, dass sich Meinung ändert, wenn das Wissen steigt. Je weiter man in die Vergangenheit schaut (sei es die persönliche oder die der Menschheit) desto rarer werde da, allem Anschein nach, die Ausnahmen.
Was ist also auf Meinung zu geben? – Wohl nicht allzu viel.
Wenn man dann noch bedenkt, wie sehr Meinung aufregt, nicht nur emotionale Energie kostet, die sich dann nicht mehr einsetzen lässt um Wissen zu erweitern (indem man z.B. argumentiert, statt zu fragen) komme ich nicht umhin zu denken: Man sollte die Meinung sein lassen, wo es nur geht. Und wenn es nicht geht – denn manchmal braucht man eine Meinung – ist sie hoffentlich klüger, wenn man nicht so viel Energie verschwendet hat, zu allem eine Meinung zu haben.
Nicht wenige meiner besten Freunde fürchten sich schon davor, dass ich wieder damit anfange: “Multiperspektive”.
Denn so nenne ich das, was ich seit ein paar Jahren immer mehr und allenthalben sehe, wie ein Pflänzchen, das sich an allen möglichen Orten immer mehr ausbreitet. Aber meine Freunde wollen sich nicht so viel (wie ich) über Blätter unterhalten, und wie könnte man es ihnen verdenken? Meine Freunde interessieren sich ja auch noch für andere Dinge, wie Kunst und Kultur oder welchen Schrank man kaufen will, oder wo am besten. (“Danke für den Tipp, Jim, wir haben einen gefunden!”).
Ich lebe ja auch auf dieser Welt und ich kenne und schätze den Wert solcher Gespräche. Wir leben in der Stadt, da ist das Zeug, das da wächst nicht so wichtig. Meine Freunde sind keine Botaniker, die sich auf die Detailverliebtheit einlassen könnten, die es braucht, wenn man Blattstrukturen untersuchen will (bzw muss. Ich muss, ich kann es nicht lassen. “Verdammt, das ist wichtig! Ja auch bei diesem Pflänzchen, das da zwischen den Ritzen auf der Strasse wächst.”) Und so zucken meine Freunde leicht zusammen, wenn ich schon wieder auf ein Blatt zeige und ausrufe: “Multiverspektive!”.
Meine Freunde scheinen vor lauter Stadt nicht zu sehen, wie gerade eine Pflanze dominant wird, die vermutlich in wenigen Jahren völlig unser Denken beeinflusst haben wird — und ich vermute, dass genau dieses Denken notwendig sein wird, um die Karre noch mal rumzureissen, und wir so vielleicht, wie bei einem Computerspiel, auf den nächsten Level kommen. Wie gesagt, das vermute ich, das kann jetzt aber noch niemand wissen. So wie man nie wissen kann, wie sich die Zukunft sich entwickeln wird. Aber es gibt Wetterprognosen. Und ich bin sowas, wie ein Wetterfrosch. Denn wie das Schicksal so wollte, habe ich genau das ich sein mehr als 20 Jahren studiert. Was genau? Das Pflänzchen.
Gras, also Cannabis, also die Pflanze für die sich immerhin noch ein paar Leute mehr interessieren, ist: absolut gar nichts dagegen. Ich sehe ja, wie das, was da im Entstehen ist, schon jetzt kolossal unser Denken verändert. Ja, auch Deins! Schau einfach hin, dann kannst Du es sehen. Und denke nicht, das sei normal, nur weil es Deinen Freunden mehr oder weniger genauso geht.
Wie soll ich sagen? Man kann es deutlich erkennen, wenn man in eine andere Richtung schaut als man es gemeinhin gewohnt ist. Wenn man ins Weltall schaut ist es dunkel, wenn man die Sonne im Rücken hat. Auf der Erde nennt man dieses Phänomen “Nacht”. Doch die Nacht geht dem Ende entgegen. Und man kann die Dämmerung bereits wahrnehmen. Wenn man dahin schaut, wo die Sonne aufgehen wird. Wenn man irgendwohin schaut, dann bekommt man sehr wahrscheinlich nicht mit, dass es dämmert.
Die Pflanze wird von Tag zu Tag grösser, hier ist mir nun ein besonders schönes Exemplar untergekommen: Könnt Ihr Euch das bitte mal anschauen? Hört Euch diesen Beitrag an, und ruft Euch alle 30 Sekunden das Wort “Multiperspelktive” in Erinnerung, stellt Euch in Gedanken meine Stimme vor und das, was ich seit Jahren über die über die Struktur der Blätter gesagt habe. Könnt ihr es jetzt sehen?
Für die alle die nicht wissen, von WTF ich rede – diese Pflanze haben natürlich auch schon andere bemerkt. Leute, die es anders ausdrücken. Immer mehr Leute beschreiben das selbe Phänomen, das ist nur nicht so einfach zu erkennen, denn sie beschreiben es aus vielen verschiedenen Blickwinkeln und geben der Sache unterschiedliche Namen.
Judith Aston hat mich auf den Begriff Metamodernismus gestoßen, ich würde sagen es ist das gleiche Phänomen:
Man könnte jetzt natürlich fragen: “Ok. Das Ding, das Pflänzchen, Metamodernismus, Multiperspektive oder was auch immer, es kommt ja sowieso. Warum sollten wir da irgendwie (und wie überhaupt?) eingreifen, ist ja nichts schlechtes, oder? Warum also jetzt so viel Energie für etwas verwenden, wo es doch noch andere mindestens ebenso wichtige Dinge gibt?”
Die Frage ist sehr berechtigt und ich würde ganz nüchtern antworten: “Weil ihr Euere Kinder so erziehen wollt, dass sie gut auf die Zukunft vorbereitet sind. Dass man ihnen also heute schon beibringt, wie man die Pflanze erkennen kann, wie man deren Wirkung verstehet, um in Zukunft mit und nicht gegen die Pflanze zu arbeiten. Auf der anderen Seite sind dann bestenfalls die, die sich später ständig in den Ästen der Pflanze verheddern, weil sie sie nie zu sehen gelernt haben.
Ein paar Worte über Geschichten, betrachten Sie diese als wahr. So wahr, wie Geschichten eben sein können. Alle Geschichten sind gemacht, sind konstruiert, sind künstlich, kämen so in der Natur nie vor. Es gibt keine wahren Geschichten, man könnte sogar sagen, die wahre Geschichte an sich, ist eine Erfindung und doch sind Geschichten alles, was wir haben, und alles was ist, haben wir Geschichten zu verdanken.
Ohne Worte, zu Geschichten gebündelt, könnten wir uns an die Welt nicht erinnern. Wir könnten nur sehen und hören und fühlen und schmecken was ist, wir könnten die Welt wahrnehmen, doch sie wäre zerronnen, sobald der Augenblick vergangen und in der Vergangenheit verschwunden ist. Wir könnten uns an nichts erinnern. Alles bestünde nur aus dem Moment, in dem es ist. Ohne Worte wäre der einzige Ort, an dem wir leben könnten, der immerwährende, ewige Moment.
Eine Geschichte ist nicht mehr als ein Bündel Worte, die sich auf bestimmte Art und Weise reimen. Der Reim ist das, was die Worte zusammenhält, so dass sie in Erinnerung bleiben können, von Gehirn zum Gehirn transportiert werden können, von Dauer sein können [1].
Worte mögen eine Annäherung an das sein, was ist, Geschichten hingegen sind willkürlich. Geschichten interessieren sich nicht dafür, ob sie näher oder weiter sind von dem, was ist. Geschichten interessieren sich nur dafür, ob sie sich reimen. Je besser der Reim, desto besser die Geschichte.
Nicht jedes Hirn schätzt alle Reime gleich. So bevorzugen manche zum Beispiel einfachere Reime, manche komplexere, manche lustigere, manche ernsthaftere, manche mit einer klareren Melodie, manche mit einer polyphoneren. Und so schätzt nicht jedes Hirn die gleichen Geschichten, doch alle Hirne schätzen Geschichten.
Worte außerhalb von Geschichten machen keinen Sinn, fallen auseinander, sind leere Worte. Die Zahl der nicht-gebündelten Worte, die sich ein Hirn merken kann ist begrenzt, die Zahl der Geschichten, die sich ein Hirn merken kann, mag auch begrenzt sein, doch sie ist gewaltig groß. Sie können es selbst sehen, sobald Sie Ihren Blick nach innen richten. Betrachten sie all die Geschichten, an die Sie sich erinnern können, all die Geschichten, die Sie zu dem machen, was Sie sind.
Alle Geschichten sind Erfindungen. Sie sind alles, was wir haben. Alles, was wir sind.
 [1] Zwar gibt es Techniken und Technologien Wissen aus Hirnen auszulagern (Bücher, Filme, ect.) doch kann dies eben immer nur (unbelebter) Zwischenspeicher sein.
Leute denken oft, dass Dinge dann Sinn machen, wenn sie sich linear ausdrücken lassen. Etwas überzeugt, wenn es in Worten gesagt werden kann, in Form eines Textes, am besten in einem Buch oder auch in einem (linearen) Film. Und so überprüft man Dinge (Gedanken, Beobachtungen) nicht nur in der Akademie auf ihre Sinnhaftigkeit indem man sie daraufhin überprüft, ob sie sich in linear-kausaler Logik ausdrücken lassen. Es ist ein Standardverfahren, Sinn von Unsinn, “signal” von “noise” zu unterscheiden. Lässt sich etwas linear-kausal erklären? Wenn ja, muss es stimmen.
Die Methode, Dinge linear kausal zu ordnen, ist wunderbar und hat massgeblich dazu beigetragen dahin zu kommen, wo wir als Menschheit jetzt sind. Linear-kausales Denken hat uns in die Lage versetzt, nicht nur die Technologien zu entwickeln, die heute weitestgehend unser Leben weltweit prägen, sondern auch die Gesellschaften und Kulturen in denen wir leben. Linear-kausales Denken prägt so gut wie jeden Aspekt des Lebens, wie Städte aussehen ebenso wie Gemeinschaften strukturiert sind, wie Kraftwerke oder Fortbewegungsmittel konstruiert sind.
Und doch es ist vermutlich nicht die einzige Methode Sinnhaftigkeit zu erkennen und auszudrücken. Eine andere Methode (und ich bin versucht zu sagen die andere Methode) ist nichtlineares, multikausales Denken wie es sich z.B. in Korsakow ausdrückt. Jedes Ding (jeder Gedanke, jede Beobachtung) hat viele Bezüge gleichzeitig. Alle Dinge beeinflussen sich gegenseitig, üben Kräfte aufeinander aus. Dabei ist alles immerzu in Bewegung und jedes Ding hat Auswirkungen auf alle anderen Dinge. Das scheint mir das Grundprinzip zu sein, das auf allen Eben und überall im Universum gilt. Innerhalb eines Atoms ebenso, wie innerhalb von Galaxien. Unsere Gesellschaften verhalten sich so, unsere Beziehungen untereinander, alles was wir tun hat Auswirkungen in alle Richtungen (the flap of a butterfly) und alles was wir tun ist dabei gleichzeitig Ergebnis von Kräften, die aus allen Richtungen auf uns einwirken.
Leute denken oft, dass Dinge Sinn machen, wenn sie sich linear ausdrücken lassen. Ich vermute es könnte eher umgekehrt sein:
Lineare Ausdrucksformen lassen Dinge sinnvoll erscheinen, die sich in diesen Formen ausdrücken lassen. Dinge die sich nicht linear ausdrücken lassen erscheinen hingegen sinnlos, sie scheinen “noise” zu sein.
Könnte es sein, dass es noise in dem Sinne gar nicht gibt, dass das, was uns wie noise vorkommt eigentlich signal ist und wir es nur nicht lesen können?
Der Text erinnert mich an früher. Ich komme aus der Gegend, die in dem Artikel beschrieben ist. Meine Familie ist von dort und sie ist immer noch dort und dort ist für mich mittlerweile weit weg. Seit 30 Jahren lebe ich in Berlin und neuerdings in Berlin und in einem Dorf in Brandenburg, wie es sich für einen Berliner gehört, einen Berliner meiner Art zumindest, der studiert hat und “in den Medien” arbeitet. So scheint es zumindest, wenn man die Zeit oder den Spiegel ließt, aber diese Texte sind ja auch ausnahmslos von Leuten geschrieben, die selbst „in den Medien arbeiten“ und viele von denen, die im Spiegel oder in der Zeit arbeiten leben, wie ich, in Berlin.
Was es bedeutet, “in den Medien” zu arbeiten, hätte ich mir früher, als ich noch dort gelebt habe, nicht recht vorstellen können. „In den Medien arbeiten“ – was machen die da, den ganzen Tag?
Nun hat sich die Zeit nicht nur bei mir, sondern auch dort weitergedreht, so dass ich gar nicht so recht sagen kann, welche Vorstellungen man dort heute von den Medien hat – was zum Beispiel die denken, die im Gegensatz zu mir geblieben sind, aber gleichzeitig mit mir dreißig Jahre älter geworden wurden. Ich habe keine genaue Vorstellung, aber ich habe ein ziemlich genaues Gefühl.
Die Leute dort haben eine vage Vorstellung von dem, wie es „in den Medien” so zugeht. Und weil man sich selbst meist nicht bewusst ist, dass man nur eine vage Vorstellung hat, kommt einem das Bild nicht weniger klar vor, als wenn man selbst „in den Medien“ arbeitet, wie ich es mehr als zwanzig Jahre lang getan habe. Die Vorstellung dort kann eigentlich nur von dem geprägt sein, was man in den Medien über die Medien hört und das ist meist eher kritisch. Medien reflektieren über sich selbst permanent und sie tun das um sich zu verbessern. So verstehe ich das zumindest, wenn ich mich zum Beispiel an die zahllosen Redaktionskonferenzen erinnere, deren interessantester Teil meist die Sendekritik war, die abwechselnd von verschiedenen Kollegen vortragen wurde. Da wurde wenig gelobt und wie der Name schon sagt viel kritisiert. Und mit dieser Haltung treten Sender auch nach aussen auf. Wie sollte es anders sein? Die selben Kollegen waren oft auch ein Gesicht des Senders. In meinem Fall waren das Journalisten, deren schauspielerische Qualitäten eher weniger ausgeprägt waren, ich beobachtete sie ja vor und hinter der Kulisse.
Aus Zuschauersicht müssen die meisten Menschen im Fernsehen wie Schauspieler aussehen, das kann ich mir vorstellen, wenn ich mir den Blick hinter die Kulissen wegdenke. Auch bei uns wurden die Journalisten, bevor sie auf Sendung gingen, von der Garderobe ausgestattet und in der Maske gekämmt und geschminkt. Sie wurden hergerichtet, bevor sie auf die Bühne gingen, kein Wunder dass man sie für Schauspieler hält, wenn man nur den Blick auf die Bühne kennt.
Zwar wurden immer wieder Besuchergruppen durch den Fernsehsender geführt, doch das war natürlich nur der allerkleinste Teil des Publikums und auch dieser Teil bekamen nicht alles zu sehen. Sie hatten keinen ‚access to all areas‘ so wie ich, mit meinem Mitarbeiterausweiss, auf die man Geld für die Kantine laden konnte und die all die hunderte Menschen hatten, die dort arbeiteten. Ich will nicht sagen, dass alles immer nur gut war. Nirgends ist alles immer nur gut. Aber nach allem, was ich gesehen habe würde ich sagen: es ist OK, es ist echt OK. Journalisten kann man generell trauen.
Wahrscheinlich reden die Leute dort, wo ich aufgewachsen bin, gar nicht so anders als die, die in Berlin leben und nicht „in den Medien“ arbeiten. Wobei ich auch das gar nicht so recht beurteilen kann und das liegt daran, dass alle, die ich jahrelang kenne und mir daher erlaube einzuschätzen, wie sie „über die Medien“ denken, mindestens einen langjährigen Freund haben, der in den Medien arbeitet und das bin ich. Und die meisten kennen noch ein paar andere. In den Kreisen in denen ich mich bewege arbeiten viele Menschen „in den Medien“. Es ist nichts besonderes. Das sind gute Leute, so wie mein Nachbar in Brandenburg, der ist Mauerer. Und auch wenn wir uns nicht ganz einig darüber sind, wie hoch die Hecke zwischen unseren Grundstücken sein soll und obwohl ich geimpft bin und er nicht, Uwe ist ein guter Typ und wenn ich seine Hilfe brauche, hilft er mir. Und ich helfe ihm auch.
Vielleicht sollten wir uns manchmal daran erinnern – hey, wir sind alle vom selben Dorf.