Ball in der Luft

Fasziniert betrachte ich das Fußballspiel. Nein. Fasziniert betrachte ich die Betrachter des Fußballspiels. Ich bin in einem Fernsehsender (da arbeite ich manchmal). Und die, die das Fernsehen machen, schauen kollektiv Fern. Die Nachrichtenredaktion jubelt und stöhnt, die Sportredaktion im Nebenzimmer tippt konzentriert Texte in die Computer.

Ich habe immer wieder versucht, die Faszination dieses Spiels zu verstehen, aber es bleiben 22 junge Männer, die einem Ball hinterherlaufen. Es beeindrucken mich die Bilder: fliegende Kameras, Zeitlupen, Steadyshots. Noch beeindruckender finde ich die Fotos, die permanent über die Bildagenturen einlaufen. Es sind an diesem Abend sehr viele, sehr gute Fotografen unterwegs, die dieses Fußballspiel und die Emotionen, die es auslöst, einfangen. Es ist ein bedeutendes Fußballspiel. Fotografen im Stadion, Fotografen auf den Straßen, Fotografen in den Kneipen. Permanent ein Strom von Bildern, viele wunderbar wie Gemälde – ein Junge, die Hände zum Gebet gefaltet, den Blick voll Trauer und Hoffnung nach oben gewandt.

Es sind moderne Digitalkameras die in ihrer Geschwindigkeit und Lichtstärke Blicke ermöglichen, wie sie bis vor kurzem nur in inszenierten Fotos möglich waren. Wunderbar ausgeleuchtete Bilder von Fußballspielern, die in der Luft um den Ball kämpfen, eingefroren zu Plastiken skurriler Schönheit.

Und so klingt es wenig später im Fernsehen:

“Nun haben es die Bayern also vollbracht: Sie sind ChampionsLeague-Sieger 2013. In einem spannenden deutschen Finale besiegten sie Borussia Dortmund mit 2:1”

Montreal Airport – Gespräch mit einer US-Grenzbeamtin

Wenn man von Montreal aus in die USA fliegen will, wird man schon am Flughafen von amerikanischen Grenzbeamten kontrolliert. Ich bin auf dem Weg zurück nach Berlin. Es ist bereits mein zweiter Versuch, am Vortag habe ich meinen Flug knapp verpasst, nicht zuletzt weil die Schlange bei der US-Einreisebehörde so lange war.

“What is this?” die US-Beamte deutet auf mein Ebook. “This is a book”, antworte ich.“ – “Where are you going?” – “Berlin.” – “Four fingers of your right hand, thumb…” meine Fingerabdrücke werde genommen. “Take off your glasses.” Ich werde fotografiert. Ich lächle. “You look offensive.” sagt die Beamte. “Well, I missed my flight yesterday, not least, because this procedure takes so long” erkläre ich mich.

Die amerikanische Zollbeamte: “Well, it seems that everyone wants to attack us. We have to be cautious.” “Not everyone wants to attack you,” antworte ich, “actually very, very few.”

“But we don’t know who it is”, sagt sie. “Not me” antworte ich. – “You have the privilege to visit my beautiful country” sagt die US-Beamte. “Well, I don’t want to visit your beautiful country”, gebe ich zurück, “I just want to go home.” – “So why don’t you take a direct flight from Canada to Germany? I am sure there are direct flights.“ – “Oh, for sure, in the future I will try everything to avoid your beautiful country as best as I can” antworte ich. – “Go!“ sagt sie.

Mitdenken

27. März, Thessaloniki

Nach der Korsakow-Show im Olympion, dem schönsten und größten Kino im Thessaloniki, gehen wir mit ein paar Freunden und Beteiligten Essen. Ich frage Olga Drossou, die Chefin der lokalen Dependance der Heinrich-Böll-Stiftung, wie ihr die Veranstaltung gefallen hat. Sie antwortet:

“Ach, es war schrecklich!” nichts, was nicht schon tausend Mal gesagt worden sei. Wenn man das Fernsehen anmachen würde, das Radio, auf allen Kanälen werde über die Krise diskutiert, alle Zeitungen schrieben darüber, seit mehr als zwei Jahren ginge das so, sie könne es nicht mehr hören. Der Abend hätte keine weiteren Erkenntnisse gebracht, eine sinnlose Veranstaltung!

Fast ummittelbar darauf, wendet sich Athi Wiedemayer an mich – sie ist griechische Deutschübersetzterin und unterrichtet an der Uni. Sie hat ihre Studenten in die Veranstaltung geschickt und bedankt sich überschwänglich. Sie hätte nicht gewusst, was das Publikum an diesem Abend erwarten würde und war in Sorge, wie es ihren Studenten gefiele. Die seinen begeistert gewesen, hätten nach der Veranstaltung vor dem Kino gestanden und noch lange diskutiert. Mehrere Studenten seinen zu ihr gekommen und hätten sich bedankt. Sie solle ihnen unbedingt Bescheid geben, wenn wieder so etwas stattfinden würde!

Olga Drossou hat recht. Es ist an diesem Abend nichts neues gesagt worden. Doch die Wirtschaftskrise in Griechenland stellt das Lebenskonzept der meisten Menschen in Frage. Das löste ein Trauma aus und was sollte helfen, mit diesem Trauma umzugehen, als darüber zu sprechen?

Für mich ist spannend zu sehen, dass die jungen Leute begeistert waren. Sie sind es, die die Karre aus dem Dreck ziehen müssen. Auf die jungen kommt es an, diejenigen, die in der Lage sind, mit einem neuen “Mentality” (wie es Charis, einer der Protagonisten in GELD.GR ausdrückt) in die Zukunft zu gehen, denn die alten Strukturen tragen nicht mehr.

Theoretisch ist alles längst besprochen, alles betrachtet, alles gesagt. Frau Drossou (die ich, nicht nur für Ihre Direktheit sehr schätze) hat wohl begriffen, wo die Probleme liegen, wenn nun noch das Volk begreifen würde…

Die Jugend scheint niemand zu fragen. Es wird über ihre Köpfe hinweg diskutiert. Korsakow bringt die Zuschauer mit auf die Bühne. Jedes einzelne Hirn ist gefragt. Ein kleiner Laserpointer in der Hand, ein wenig mehr Mitsprache, die Kanäle offen für die Gedanken des Publikums.

Die jungen Menschen haben es dankbar angenommen. Die Möglichkeit, dass mit ihnen diskutiert wird. Auf hohem Niveau. Und nicht über ihre Köpfe hinweg.

Jeder ein Künstler

Welch saudummer Slogan: “In jedem steckt ein Künstler”. Vielleicht steckt sogar in jedem ein Künstler, aber dann sicherlich nur in dem Maß, in dem in jedem ein Steuerberater steckt, oder ein Fernsehdirektor. Der Rest ist Arbeit. Natürlich kann jeder ein Bild malen. Oder ein Foto machen. Oder Worte zu Parier bringen. Oder ein Lied singen.

Jeder ist ein Künstler?

Und so, wie Eltern die Kritzeleien ihrer Kinder anschauen und Genialität hineinsehen, haben wir und angewöhnt, all den Mist, der ununterbrochen fabriziert wird, fasziniert zu betrachten und die wundervolle Vielfalt zu bewundern. Und es fällt uns gar nicht mehr auf, dass dabei ein schrecklicher Brei herausgekommen ist. Hässlich und uninspiriert, weil nur bunt aber bedeutungslos.

Was macht einen Künstler aus?

Der Künstler braucht die nötigen Ressourcen, sich lange und intensiv mit einem Thema zu beschäftigen und das, ohne am Anfang zu wissen was – und ob – am Ende etwas brauchbares herauskommt. Das hat er mit einem Grundlagenforscher gemeinsam, im Gegensatz zu einem Ingenieur (der ganz und gar zielorientiert arbeitet).

Weil sich die Gesellschaft aber angewöhnt hat, so viele als Künstler zu sehen, sind die Ressourcen, die jedem einzellnen Künstler zu Teil werden, immer kleiner geworden.

Es geht nicht darum, den ‘besten’ Künstler zu finden, um diesem dann die Ressorcen zu geben. Es geht darum, irgendjemanden zu haben, der den Job macht. Der bereit ist, sich in jahrelanger, mühseliger und bisweilen niederschmetternd frustrierender Kleinarbeit mit einem Thema zu beschäftigen, ohne zu wissen, ob die Arbeit irgendwann Sinn machen wird. Jemand muss diese Grundlagenforschung betreiben! Und die künstlerische Grundlagenforschung muss mit den nötigen Ressourchen ausgestattet sein, genauso wie jeder Forscher die nötigen Ressourcen braucht, um vernünftig arbeiten zu können.

Statt dessen zieht sich die Gesellschaft ein Heer von schlecht ausgebildeten, schlecht ausgestatteten, hochabitionierten Kleinkünstlern heran, die alle nur wild durcheinanderplappern. Es ist ein furchtbarer Krach.

Modernes Leben

Über den studentischen Emailverteiler der Universität der Künste, Berlin werden immer wieder Ateliers, WGs oder Wohnungen angeboten oder gesucht. Ich lese die Beschreibung einer WG mit angeschlossenem Atelier. Fünf Menschen leben und arbeiten zusammen in einer alten Fabriketage. Ein Zimmer ist frei. 400 Euro inkl. DSL und Nebenkosten. Das Zimmer hat 16 qm, plus Gemeinschaftsküche und Gemeinschaftsatelier. Wohnen und arbeiten für Architekten und Designer. Es ist ein Bild abgehängt. Zu sehen: ein karger Raum mit Tischen auf denen silberne Laptops stehen.

Sweatshop denke ich.

Die Singer-Nähmaschine von gestern ist das Macbook Air von heute.

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