Trump will be forgotten

Fasziniert vom Getöse des Augenblicks schenkt das Publikum derzeit einer Figur ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit: Donald Trump. Er ist aufregend, spektakulär und extrem Kontrovers. Und mit diesen Talenten scheitert er gerade grandios. Doch hinter dem Staub, den Trump aufwirbelt, vollzieht sich fast unbemerkt eine gewaltige Entwicklung. Doch wie oft bei tiefgreifenden Veränderungen, geht sie langsam vonstatten, so dass sie kaum wahrnehmbar ist. Wie wenn der Mond über den Himmel zieht und man mit dem Auge keine Bewegung wahrnimmt.

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Die in sich zusammenstürzende Trump-Kampagne ist aller Voraussicht nach das spektakuläre Ende eines lange bestehenden Prinzips. Mindestens seit Ronald Reagan galt das Rezept der einfachen Story, als das erfolgsversprechendste, um viele Menschen einzusammel. Es ist das Hollywoodprinzip – die Welt in Gut und Böse einzuteilen, in richtig und falsch.

Dieses Prinzip wurde über die Jahre immer weiter entwickelt, immer stärker und immer radikaler. Politiker sind erfolgreich – so heisst es – wenn sie es schaffen, gute Geschichten zu erzählen. Gute Geschichten sind spannende Geschichten, klare Geschichten, die es einfach machen, Gut und Böse zu unterscheiden und in denen am Ende das Gute gewinnet.

Die Welt in gut und böse / richtig oder falsch aufzuteilen, hat einen bedeutenden Vorteil: Es macht auch komplexe Zusammenhänge einfach verständlich. Es hat allerdings einen entscheidenden Nachteil: Die Welt funktioniert nicht nach dem Prinzip richtig oder falsch. Der Nachteil macht den Vorteil zunichte. Die gute Geschichte hat mit der Realität der komplexen Welt, nichts zu tun. Deren Einfachheit ist eine Fabrikation und führt zu falschen oder bestenfalls zufälligen Entscheidungen.

Drei Beispiele des Prinzips der einfachen Geschichte und den daraus resultierenden Entscheidungen:

USA Irak Krieg
Saddam Hussain ist das Böse, vor dem die Welt bewahrt werden muss. Diese Geschichte verfing nicht nur bei Amerikanern. George W. Bush konnte weite Teile der Welt überzeugen, ihm in einem Krieg zu folgen, der immenses Leid auslöste. Saddam Hussain wurde getötet, doch Frieden gab es nicht. Die Welt ist komplex, das Problem hat sich in ein noch größeres verwandelt.

UKBrexit
Die Europäische Union ist ein äusserst komplexes Gebilde, das über Jahrzehnte von intelligenten und visionären Köpfen erdacht wurde. In Grossbritannien haben es Politiker geschafft, die EU als eine einfache Geschichte darzustellen. So einfach, dass man darüber mit JA oder NEIN abstimmen konnte. Wohl kaum ein Bürger in Großbritannien hat sich von dieser Wahl überfordert gefühlt. Das Ergebnis der Wahl wahr annähernd 50/50 mit einem kleinen Vorteil für NEIN. Man hätte auch eine Münze werfe können.

KOLUMBIENReferendum über den Friedensvertrag
Der in jahrelangen Bemühungen ausgehandelte Friedensvertrag, der den seit über 50 Jahren währenden Guerillakrieg beenden sollte, den die Regierung und die Rebellen gegeneinander führen, wurde dem Volk zur Wahl vorgelegt.

JA oder NEIN.

Die Medien in Kolumbien haben daraufhin das getan, was Medien in den vergangenen Dekaden gelernt haben: aus einer komplizierten Geschichte eine einfache zu machen. Sie haben die Story in den Extremen erzählt.

Krieg ist eine komplexe Sache, Frieden ist es um so mehr.

Das Ergebnis der Wahl wahr annähernd 50/50 mit einem kleinen Vorteil für NEIN. Man hätte auch eine Münze werfe können.

Nach acht dunklen Jahren George W. Bush hat Obama Amerika zurück ans Licht geführt. In den USA werden wieder Visionen entwickelt, es wird ein vielschichtiges Denken gepflegt, vermutlich mehr als in irgendeinem anderen Land auf dieser Erde.

Hillary Clinton wird aller Voraussicht nach Obama nachfolgen und kann auf seinem Erbe aufbauen. Auf den ersten nicht-weißen US-Präsidenten folgt die erste Frau. Es gibt viele Gründe hoffnungsfroh in die Zukunft zu blicken. In den USA findet seit langem eine faszinierende Entwicklung statt – das Pendel ist umgeschwungen. Mir ist dies erstmals Mitte 2015 aufgefallen: Die USA wird gerade wieder zum Land der Visionen.

Das scheint im Moment allerdings niemand so zu sehen. Alle Aufmerksamkeit gilt dem Kandidaten der Republikanischen Partei, Donald Trump. Doch was sich in Trump derzeit manifestiert, ist der vermutlich totale Zusammenbruch eines beschränkten Denkens. Reagan, Bush I, Bush II waren Präsidenten, die glaubten, die Wahrheit zu kennen. Sie haben die Welt in gut und böse aufgeteilt, sie haben mit diesem Denken Kriege begonnen, die zu noch mehr Kriegen geführt haben und sie waren sehr erfolgreich damit, ihr Publikum – die Wähler in den USA und die Lenker anderer Nationen – von ihrer Sicht zu überzeugen. Es war der Blick auf die Welt in Extremen. Hillary Clinton und sicherlich noch viel mehr Obama stehen für ein differenzierteres und facettenreiches Weltbild.

Ein vielschichtigerer Gedanke ist – so wie die Geschichten derzeit erzählt werden – viel schwieriger zu vermitteln, als eine Geschichte, die die Dinge in gut und böse, in richtig und falsch darstellen. Politiker in den USA (und auch anderswo) sind über Dekaden dann gut gefahren, wenn sich die Dinge in schwarz und weiß zu zeichnen vermochten. In den USA hatte die Tea Party Bewegung damit besonders großen Erfolg. Die Tea Party hat knackigere Geschichten formuliert, als die anderen Teilnehmer des politischen Spiels.

Es war das Erfolgsrezept der vergangenen Dekaden, die einfache Geschichte zu erzählen.

Die Welt funktioniert nicht in Extremen, die Welt funktioniert in Zwischentönen. Die Beschreibung der Welt in Extremen führt zu einem Zerrbild und macht es so gut wie unmöglich Kompromisse zu finden. Der “Kompromiss” selbst wurden von den vormals sehr erfolgreichen Erzählern der einfachen Geschichte als “Teufelswerk” gebrandmarkt – ganz im Sinne des Extremen Erzählers.

Donald Trump ist ein extremer Erzähler der Superklasse. Er vermag es Reden zu halten, in denen er ausschließlich Superlative benutzt. “Tremendous success” oder “complete failure”, dazwischen gibt es nichts. Damit findet Trump nach wie vor sein Publikum auf dem von der Tea Party bereiteten Feld.

Doch das Rezept der Erzählung in Extremen, scheitert gerade spektakulär. Trump hat den Bogen überspannt. Die Sehne des Bogens ist hoffentlich für immer zerrissen.

Trump ist ein Dinosaurier, er steht für Machismus und Unterdrückung durch den Stärkeren, unreflektiertes Denken und den Glauben an eine (seine) Wahrheit. Der Dinosaurier bäumt sich auf und brüllt. Es ist erschreckend. Doch der Drache ist tödlich verwundet. Und im Todeskampf reisst er nun die ihm nahe stehenden mit sich.

Donald Trump ist das Ende des Mainstreams der einfachen Geschichte. Wenn sich der Staub gelegt hat, wird sichtbar werden, was sich in den USA seit Jahren am Rande der Aufmerksamkeitsschwelle entwickelt: Das vielschichtige Erzählen, Denken und die Akzeptanz der multiplen Realitäten.

Zwei Beobachtungen zu Kolumbien

Ende September 2016 war ich zwei Wochen in Kolumbien. Ich habe Vorträge gehalten und wurde einigen sehr spannenden Leuten vorgestellt.

Im folgenden zwei Beobachtungen, die ich noch vor dem Referendum über den Friedensvertrag und der Verleihung des Friedensnobelpreises an den Kolumbianischen Präsident Juan Manuel Santos geschrieben habe.

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1.
Die Menschen wirken entspannt. Als ich das gegenüber Kolumbianern äusserte, sind sie erstaunt. Es entspricht nicht dem Klischee. Kolumbien ist ein Land im Krieg. Seit Generationen bekämpfen sich unterschiedliche Gruppen bis aufs Blut. Die Gefahr, Opfer des Konflikts zu werden, ist allenthalben spürbar. Und dennoch bemerke ich, dass die Gesichter der Menschen, die ich auf der Strasse oder in Gesprächen treffe über die Maßen ruhig wirken.

Es war immer Krieg, die Menschen in Kolumbien, haben es nie anders erlebt. Man hat sich scheinbar damit arrangiert, doch die Gefahr ist allgegenwärtig. Zum Beispiel der Aufwand, der betrieben wird, wenn ein Taxi gerufen wird. Die Strassen in Bogota sind voll von offiziellen, gelben und weissen Taxis. Doch kaum jemand winkt einfach ein Taxi heran, man bestellt es telefonisch, es wird einem die Nummer des Taxis durchgegeben und man achtet darauf, dass man keinesfalls in falsche steigt.

Es gibt Hoffnung auf Frieden, am 3. Oktober wird in Kolumbien über einen Vertrag abgestimmt, der den langen Bürgerkrieg beenden soll. Die Umfragen sehen ein Ja für den Friedensvertrag. Doch es ist, wie so vieles in Kolumbien, kompliziert.

Der Druck, unter dem die Menschen stehen, hat nachgelassen. Wenn man das Wort “Hoffnung” ausspricht, folgen viele “aber”. Doch, die Spannung ist weniger geworden. Es ist Zeit, durchzuatmen. Das ist es, was man den Menschen ansehen kann.

2.
Seit vielen Jahren reise ich als Botschafter Korsakows durch die Welt und propagiere den vielschichtigen Blick. Ich bemühe mich aufzuzeigen, wie schädlich es ist, die Dinge in schwarz und weiss zu zeichnen und dass es nicht eine Wahrheit gibt, sondern die Realität das Ergebnis vieler verschiedener und zum Teil widersprüchlicher Blickwinkel ist.

Es gibt überall Menschen, die die Welt so verstehen, doch es ist eine Minderheit. An den Akademien und Universitäten ist der Anteil höher, doch Bildung ist nicht Voraussetzung für diese Denkhaltung.

Ich vermute, dass der Anteil der Menschen, die den multiplen Blick pflegen, bei 5 bis 10 % liegt. In entwickelteren Gesellschaften mag er etwas höher sein.

In Kolumbien ist der Anteil der Menschen, die nicht an eine Wahrheit glauben ausserordentlich hoch. Man spürt das auf der Strasse. Doch besonders deutlich wurde das bei den Gesprächen, die ich geführt habe. Die Auswahl meiner Gesprächspartner mag meine Beobachtung verzerren, doch habe ich noch nie in so kurzer Zeit so viele Menschen getroffen, die in unterschiedlichen Worten ausdrücken, wie wichtig der vielschichtige Blick ist.

Den Kolumbianern werden seit Generationen extreme Wahrheiten verkauft. Doch jede Wahrheit, die die vorangegangene ersetzte, hat alles nur viel schlimmer und blutiger gemacht. Die Menschen haben gelernt, dass eine Wahrheit, wie auch immer sie lautet und wer auch immer sie verkündet die Probleme nie löst. Im Laufe der Zeit wurden die unterschiedlichsten Wahrheiten ausprobiert, die Konflikte wurden nur schlimmer.

Es gibt in Kolumbien seit einigen Jahren ein spektakuläres Gesetz, das verbietet, dass es eine staatliche Wahrheit gibt. Das Gesetz bezieht sich auf den Bürgerkrieg und soll es den verschiedenen Konfliktparteien ermöglichen, ihren Blick auf die Dinge darzustellen. Dieses Gesetz wurde geschaffen im Verständnis, dass die Darstellung der verschiedenen Blickwinkel der erste Schritt zu Toleranz ist. Und Toleranz notwendig ist, um Konflikt zu überkommen.

Ein Gesetz, das die Wahrheit verbietet – ich würde es mir überall wünschen.

Der Anteil der Menschen, die nicht an eine Wahrheit glauben, scheint mir in Kolumbien ausserordentlich hoch. Kolumbien wäre damit eine Petrischale für vielschichtiges Denken. Eine gute Voraussetzung um viele Menschen zu bekommen, die in der Lage sind, außerordentliche Gedanken zu denken. Diese könnte die Grundlage für eine große Zukunft dieses Landes sein.

Trump wird nicht US-Präsident

Vorab: Trump wird nicht der nächste Präsident der Vereinigten Staaten. Davon kann man getrost ausgehen. Der Grund ist eigentlich ganz einfach: Er ist nicht geeignet.

Es ist ein langer Prozess, den jeder US-Präsidentschaftskandidat durchlaufen muss, bevor er an der Spitze des Staates steht. Das ist nicht nur in den USA so und es ist nichts neues. Führer, die Gruppen voranstehen, gibt es länger, als es Menschen gibt und jeder Anführer muss erst unter Beweis stellen, dass er oder sie geeignet ist. Dieser Prozess wird mit der Entwicklung der Menschheit komplexer und vielschichtiger. Doch er dient genau wie vor 200.000 Jahren dem Ziel, das möglichst am besten geeignete Individuum zu finden (oder zumindest unfähige zu verhindern). Das ist bei Affen so, das ist bei Amerikanern so. Früher war physische Kraft das dominante Auswahlkriterium. Amerikanische Präsidentschaftsanwärter prügeln sich offensichtlich nicht mehr mit Keulen, sie benutzen Worte. Und noch etwas hat sich geändert: Sieger ist nicht mehr, wer dem Gegner die größeren Wunden zufügt. Die Gruppe erklärt den Sieger. Der Gewinner siegt gewissermaßen nach Punkten, nicht mehr durch K.O.

Der Prozess, den alle Kandidaten durchlaufen, beginnt schon früh. Vielversprechende Menschen werden von der Gesellschaft gefördert. Sie bekommen bessere Bildung, Kontakte, Möglichkeiten und Gelegenheiten sich zu beweisen (oder zu scheitern). Sie werden an die Macht herangeführt, damit sie den Umgang mit ihr lernen können. Solche Menschen sollen eines Tages in der Lage sein, schnell und effektiv Entscheidungen zu treffen, auch Entscheidungen über Leben und Tod, Entscheidungen, die das Wohlergehen der ganzen Gruppe betreffen.

Das heutige System ist kein ideales System, das allen Individuen gleiche Ausgangsvorraussetzungen gibt – doch zumindest ist der Prozess heute offener als vor, sagen wir, 500 Jahren, wo nur Mitglieder einer sehr kleinen Kaste die Möglichkeit hatten, überhaupt am Wettbewerb teilzunehmen.

Zurück zu Trump. Wie sich derzeit deutlich zeigt, ist dieser Kandidat völlig ungeeignet. Er ist nicht gut darin Menschen um sich zu scharen – und gemeint sind hier nicht Fans sondern Mitstreiter. Diese scheint Trump als Angestellte zu sehen, die er in kurzen Abständen feuert. So hat er es sogar geschafft, weite Teile der eigenen Partei zu vertreiben. Zahlreiche hochrangige Republikaner empfehlen den Wählern gar, seine direkte Konkurrentin zu wählen. Ein unerhörter Vorgang und umso erstaunlicher, wenn man sich vor Augen führt, wie verhasst Hillary Clinton bei den Republikanern eigentlich ist. Donald Trumps Aussagen lassen erschaudern, sie stellen die Frage, wie diese Person als Präsident, mit großer Macht (und den Nuklear-Codes!) umgehen würde. Auch das erschreckt politische Gegner wie Parteigenossen.

Diese zwei Punkte – der Umgang mit Menschen und der Umgang mit Macht disqualifiziert Donald Trump. Wir beobachten gerade, wie alle Reißleinen gezogen werden, um diesen Präsidenten zu verhindern. Alle gestaltenden Teile der Gesellschaft (Politik, Medien, Wissenschaft, Kunst und Religion) scheinen sich zu vereinen, Trump zu verhindern. Die Republikanische Partei – die Partei Donald Trumps – unternimmt dies sogar auf die Gefahr, diesen Vorgang nicht zu überleben. Immenser Schaden an der Partei wird in Kauf genommen und man kann der GOP dafür durchaus Respekt zollen.

Donald Trump wir nicht Präsident, doch es hätte niemals soweit kommen dürfen. Dieser Kandidat hätte viel, viel früher aussortiert werden müssen. Dass er überhaupt so weit kommen konnte, zeigt deutliche Schwächen des Systems.

Die Prozesse, wie Führer ausgewählt werden, waren zu allen Zeiten fragil und in ihrer Konsequenz gefährlich. In der westlichen Welt mag man gedacht haben, derartige Gefahren wären überwunden. Doch die Schwäche des Systems, die derzeit deutlich werden, lässt bangen: Was passiert beim nächsten Mal, wenn eine solche Fehlbesetzung so weit kommt? Was ist, wenn die Reissleinen versagen? Das System muss unbedingt repariert werden. Das System bedarf einer Überarbeitung und diese wird Jahre und Jahrzehnte brauchen.

Es ist mir ein Anliegen, noch auf einen weiteren Aspekt hinzuweisen, den ich so noch nicht diskutiert gesehen habe: Was gerade passiert, ist unmenschlich dem Kandidaten gegenüber. Wenn man Trump beobachtet, seine Bilder studiert, sieht man ein Tier, dass in die Ecke gedrängt, wild um sich schlägt – unfähig zu verstehen, was ihm geschieht. Trump wird gerade von allen Seiten und mit allen Mitteln fertig gemacht. Das muss vermutlich so sein, denn Trump zu verhindern, ist gerade die wichtigste Aufgabe.

Trump wird vorgeführt, durchs globale Dorf gehetzt und alle klatschen Beifall. So sind zum Beispiel in zahlreichen Städten der USA lebensgrosse Statuen von Donald Trump aufgestellt werden, Donald Trump nackt und hässlich, die Figur mit kleinem Penis, ohne Hoden. Der Titel der Aktion: “Der Kaiser hat keine Eier”. Die Bilder von Menschen, die strahlend Selfies von sich vor der nackten Figur machen, werden von den TV-Stationen um die Welt gesendet. Das ist unmenschlich und widerlich.

Es hätte nie soweit kommen dürfen. Auch wenn Trump es selbst verursacht hat.

SCHNELLE SCHNITTE

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Ich stehe in der Nachrichtenredaktion und blicke in den Raum. An den Wänden zahlreiche Monitore, über die Bilder von Nachrichtensendern zappeln. DW-TV, CNN, BBC news, Reuters, AP, France 24, NTV.

Immer wieder ziehen diese Monitore meine Aufmerksamkeit an. Ich denke an nichts und spüre, wie langsam eine sanfte Unzufriedenheit in mir aufkommt. Ein kleines bißchen Unglück legt sich mir auf meine Seele – ganz sanft, ich würde es sicher nicht bemerken, wenn mein Geist gerade mit einem anderen Gedanken beschäftigt wäre. Ich wundere mich, woher diese Unzufriedenheit kommt und höre weiter in mich hinein, beobachte und stelle fest:

Immer wieder sehe ich halb aus dem Augenwinkel ein Bild auf einem Monitor, das, sobald ich mich dem Bild zuwende, wegzappt. Abgelöst vom nächsten Bild, das, noch bevor ich es aufnehmen kann, wieder wegspringt. Die Bilder wie ein Stück Seife, das immer wegflutscht, wenn man danach greifen will. Daher rührt die kleine Frustration, auf die ich mich weiter konzentriere und nun die Enttäuschung und Traurigkeit spüre, die davon ausgeht. Ich gehe dem Gefühl weiter nach und die Traurigkeit wird größer, bis ich es nicht mehr aushalte und mich abwende.

Ich sehe schon lange keine Filme mehr und so wenig wie möglich Fern. Aus einer Reihe von Gründen, heute habe ich einen neuen entdeckt.

Es ist die Konvention der schnellen Schnitte, die irgendwann in den 80er Jahren populär wurde und langsam in allen Bereichen filmischen Erzählens Einzug hielt. Wenn man selbst Film schneidet, sich eine Einstellung immer und immer wieder ansieht, kennt man das Glück, wenn man sich bewegte Bilder erschließen und sich in sie verlieben darf.

Doch die bewegten Bilder unsere Zeit sind nervöse Kollegen, die permanent hin und her huschen und jede Konzentration unmöglich machen. Schöne Bilder von der Welt, die dennoch die Welt nicht öffnen, sondern nur ablenken, zu verstehen.

Früher, als gute Bilder selten waren, durfte man sich die Zeit nehmen, diese aufzunehmen. Die heutige Zeit ist reich an starken Bildern. Und all die staken Bildern schreien nach Aufmerksamkeit.

Es ist ein schrecklicher Lärm.

UNSINN

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Ich habe auf einer Konferenz einen Vortrag gehalten. Vor 150 Medientheoretikern. Ich habe beschrieben, wie das ständige Sehen von Film unser Denken prägt und immer mehr dazu führt, dass wir an wesentlichen Problemen regelrecht vorbeisehen. Dass wir zunehmend blind werden, für die relevanten Themen und unsere Aufmerksamkeit statt dessen Nebensächlichkeiten schenken.

Der Vortrag ging über 45 Minuten, ich habe zahlreiche Beispiele gezeigt und beschrieben, wie sich Film – insbesondere Hollywoodfilm – entwickelt hat und welche Faktoren dazu geführt haben, dass er so wurde, wie er ist: verführerisch, verblendend.

Ein komplexes Thema.

Nach meinem Talk waren die Reaktionen ausgesprochen positiv. Ich wurde gefeiert. Drei Tage lang. So lange dauerte die Konferenz.

Ich fahre seit 15 Jahren auf Konferenzen und habe schon viele Vorträge gehalten. Doch eine solche Reaktion habe ich noch nie erlebt: Nach dem Vortrag kamen die Leute und haben gratuliert. Das ist oft so, wenn man einen Talk gibt. Im Anschluss kommen Menschen, geben einem die Hand, bedanken sich, oder sagen noch ein, zwei Sachen, die sie nicht in der Q&A äußern wollten. Das kenne ich. Doch diesmal ebbte der Strom nicht ab. Noch Tage später kam ständig wieder jemand, um zu sagen, wie er oder sie, von dem, was ich gesagt hatte, bewegt war.

Ein großer Erfolg, der mich demütig macht. Das, was ich gesagt hatte, war eigentlich nichts anderes, als das, was ich seit Jahren jedem sage, der nicht schnell genug wegläuft. Doch für diesen Talk hatte ich mir große Mühe gegeben, meine Gedanken genau herzuleiten und zu erklären. Und es hatte offenbar geklappt.

Vier Tage nach meinem Vortrag, war die Konferenz zu Ende und ich flog nach Hause. Am Abend war eine Party, auf der ich auf eine Bekannte traf. Noch elektrisiert von dem, was ich zuvor erlebt hatte und nachdem sie unglücklicher Weise gefragt hatte, was ich die letzten Tage gemacht hatte, habe ich es ihr erzählt.

Und sie reagierte ganz normal. Ganz so, wie ich es immer kannte. Sie war empört! Das sei doch alles ausgesprochener Unsinn und sie war wütend, dass ich es wagen würde, Film anzugreifen. Sie liebe Film! Sie liebe es, ins Kino zu gehen und sich in eine andere Welt entführen zu lassen, den Alltag zu vergessen. Was ich sage, sei völliger Quatsch. Ich habe solches schon oft gehört, doch nie nachdem mir 150 kluge Leute aufmerksam zugehört und in überwältigender Mehrheit zugestimmt hatten.

Es erinnert mich daran, wie es mir in der Schule ging. Wie es mir bei meiner Familie ging (und immer noch geht). “Das, was Du sagst ist Quatsch!” Man sagt nicht: “Das ist ein interessanter Gedanke, das muss ich mir durch den Kopf gehen lassen.”

Nein, das Urteil ist schnell und scharf wie eine Guillotine: Unsinn!

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