UNSINN

2016-03 iDOCS

Ich habe auf einer Konferenz einen Vortrag gehalten. Vor 150 Medientheoretikern. Ich habe beschrieben, wie das ständige Sehen von Film unser Denken prägt und immer mehr dazu führt, dass wir an wesentlichen Problemen regelrecht vorbeisehen. Dass wir zunehmend blind werden, für die relevanten Themen und unsere Aufmerksamkeit statt dessen Nebensächlichkeiten schenken.

Der Vortrag ging über 45 Minuten, ich habe zahlreiche Beispiele gezeigt und beschrieben, wie sich Film – insbesondere Hollywoodfilm – entwickelt hat und welche Faktoren dazu geführt haben, dass er so wurde, wie er ist: verführerisch, verblendend.

Ein komplexes Thema.

Nach meinem Talk waren die Reaktionen ausgesprochen positiv. Ich wurde gefeiert. Drei Tage lang. So lange dauerte die Konferenz.

Ich fahre seit 15 Jahren auf Konferenzen und habe schon viele Vorträge gehalten. Doch eine solche Reaktion habe ich noch nie erlebt: Nach dem Vortrag kamen die Leute und haben gratuliert. Das ist oft so, wenn man einen Talk gibt. Im Anschluss kommen Menschen, geben einem die Hand, bedanken sich, oder sagen noch ein, zwei Sachen, die sie nicht in der Q&A äußern wollten. Das kenne ich. Doch diesmal ebbte der Strom nicht ab. Noch Tage später kam ständig wieder jemand, um zu sagen, wie er oder sie, von dem, was ich gesagt hatte, bewegt war.

Ein großer Erfolg, der mich demütig macht. Das, was ich gesagt hatte, war eigentlich nichts anderes, als das, was ich seit Jahren jedem sage, der nicht schnell genug wegläuft. Doch für diesen Talk hatte ich mir große Mühe gegeben, meine Gedanken genau herzuleiten und zu erklären. Und es hatte offenbar geklappt.

Vier Tage nach meinem Vortrag, war die Konferenz zu Ende und ich flog nach Hause. Am Abend war eine Party, auf der ich auf eine Bekannte traf. Noch elektrisiert von dem, was ich zuvor erlebt hatte und nachdem sie unglücklicher Weise gefragt hatte, was ich die letzten Tage gemacht hatte, habe ich es ihr erzählt.

Und sie reagierte ganz normal. Ganz so, wie ich es immer kannte. Sie war empört! Das sei doch alles ausgesprochener Unsinn und sie war wütend, dass ich es wagen würde, Film anzugreifen. Sie liebe Film! Sie liebe es, ins Kino zu gehen und sich in eine andere Welt entführen zu lassen, den Alltag zu vergessen. Was ich sage, sei völliger Quatsch. Ich habe solches schon oft gehört, doch nie nachdem mir 150 kluge Leute aufmerksam zugehört und in überwältigender Mehrheit zugestimmt hatten.

Es erinnert mich daran, wie es mir in der Schule ging. Wie es mir bei meiner Familie ging (und immer noch geht). “Das, was Du sagst ist Quatsch!” Man sagt nicht: “Das ist ein interessanter Gedanke, das muss ich mir durch den Kopf gehen lassen.”

Nein, das Urteil ist schnell und scharf wie eine Guillotine: Unsinn!