My Favorite Interactive Documentaries Are The Ones I Made Myself – In Search Of The Author

Anna Wiehl invited me to give a talk in the lectures series “Digital documentary practices – Topical paradigm shifts in negotiating ‚the Real‘” at the University of Bayreuth . I am honored and excited and created an almost brand-new talk looking at people thinking and breathing YouTube. How does the way YouTube changes the thinking of people ‚who take YouTube serious‘ compare to how Korsakow changed my thinking? There are many parallels.

Anna Wiehl wrote on Facebook that „Florian Thalhofer is always good for a surprise“. I take it as a compliment.

The lecture was Wed, Dec 8th, 2021, 16:00h, and took place on Zoom. I re-recorded the Talk the next day.

Link to the lecture series:
https://did.avinus.org/virtuelle-ringvorlesung/

“Cliche is whatever is in use & whatever is in use is environmental, hence largely invisible.“

Aus Edmund Carpenter „They Became What They Beheld“

Der Satz von Edmund Carpenter klingt wie ein Zaubertrick. Wie kann man es anstellen, dass etwas in aller Öffentlichkeit unsichtbar ist?

Das Cliché ist der Abzug eines Originals und das Original war irgendwann die Wirklichkeit, die Welt da draussen, in ihrer ganzen Vielschichtig­keit und Komplexität. Das Original beinhaltet die Unendlichkeit der möglichen Ent­scheidungen die dem Cliché fehlen. So wie eine fotografischen Aufnahme die man betrachtet immer ein Rückblick ist, ein Blick auf das Bild, das im Augenblick des Moments aufgenommen wurde, wie ein Schnappschuss aus der Vergangenheit.

Wenn ich ein Bild von mir aus der Vergangenheit betrachte – die Möglichkeiten, die ich damals hatte! Ich hätte in jede Richtung gehen können. Und dann bin ich in eine Richtung gegangen. Und jetzt bin ich 49 Jahre alt, lebe als Künstler in Berlin, in Kreuzberg in einer Altbauwohnung, mit einem Job in der Schweiz. Ich hätte in alle möglichen Richtungen gehen können und dazu zählt auch in der Kleinstadt in Bayern zu bleiben, wie meine Geschwister. Dann würde ich heute wohl noch Kleinstadt-Gedanken denken, so ähnlich wie ich sie früher gedacht habe.

Ich möchte Sie bitten, sich diese Person, die ich jetzt bin, vorzustellen, vor Augen zu führen. Ein Künstler, in einer Kleinstadt aufgewachsen, als junger Mann in die große Stadt gegangen und zu einigem aber nicht allzu viel Erfolg gekommen. Stellen sie sich dieses Person vor – das bin ich.

Das war ich ca. 1995 – man kann schon er­kennen, dass aus mir mal ein Künstler werden wird – nicht wahr?
(Wobei – sahen wir nicht alle so aus, damals?)

Das ist ein Cliché. Meine Erinnerung ist ein Cliché. Das Bild, das Sie jetzt im Kopf haben, von einem Künstler, 49 Jahre alt, der von der Kleinstadt in Grossstadt und in die ganze Welt gekommen ist.

Mehr müssen die über mich nicht wissen.

Nur vielleicht noch so viel: Sie haben keine Ahnung wer ich bin. Sie würden mich nicht einmal auf der Straße erkennen und selbst wenn sie es täten, sie hätten immer noch keine Ahnung wer ich bin.

Sie haben keine Ahnung wer ich bin – ich weiß es ja selbst nicht. Wer bin ich, wer werde ich morgen sein, wo bin ich, wo werde ich morgen sein, in zwei Jahren?

Wenn Sie sich diese Fragen nicht stellen, oder sich diese Fragen einfach beantworten können, dann leben sie wahrscheinlich immer noch in einer Kleinstadt oder sind dahin zurück­gekehrt und sei es nur im Geiste.

Ich bin: genauso komplex wie Sie.

Sie sind so komplex, wie Sie in diesem Augenblick sind, so komplex wie ich, so komplex wie jeder Mensch. Egal wo sie leben, ob als Künstler in Berlin oder als Blumenhändler in einer Kleinstadt in Bayern oder als Jäger und Sammler in Papua-Neuguinea.

Betrachten sie noch ein mal das Klischee, das sie von mir im Kopf haben.

Kann ein Cliché jemals die ganze Komplexität einfangen?

Sie denken zu wissen wer ich bin, weil Sie ein Cliché im Kopf haben, ein Bild und hinter diesem Bild kann ich mich verstecken. Kann ich wie unsichtbar werden. Das was Sie, was andere sehen, ist das Klischee, nicht mich.

Damit erklärt sich mir auch ein eine uralte Frage, die ich aus der Kleinstadt mit mir herumtrage: Warum ist es so wichtig, was die Nachbarn denken?

In der Kleinstadt habe ich beobachtet wie die Leute beständig am Cliché (dem Bild, das die Nachbarn von einem haben) arbeiteten. Und zwar buchstäblich gearbeitet, indem man zum Beispiel am Samstag vor dem Haus “die Straße zu­sammengekehrt hat, wegen der Nachbarn”. („Kleine Welt“, 1997, beginnt genau damit, “Planet Galata”, 2010, mit einem ähnlichen Gedanken).

In Berlin macht man das nicht. Hier gibt es einen Straßendienst, den alle gemeinsam bezahlen, durch ihre Steuern. Nun kehren wir auch in Berlin manchmal die Straße vor unserem Haus. Aber das ist nur, weil meine Frau zufälliger Weise einen Laden hat. Wegen der Nachbarn machen wir das jedenfalls nicht.

In der Kleinstadt ist das Cliché offenbar wichtiger, vielleicht weil man sich mehr verstecken muss. In der Grossstadt ist es leichter sich so zu zeigen, wie man ist, weil man anonym ist. Man taucht kurz auf und verschwindet wieder in der Masse. Das geht in der Kleinstadt nicht.

In der Kleinstadt kann man nur so sein wie man ist, wenn man sich hinter hohen Hecken versteckt. Hinter den hohen Hecken des Clichés. Die hohen Hecken sind das Bild, das die anderen von einem haben. Die Arbeit am eigenen Bild ist die Arbeit an der Hecke, hinter der man sich un­sichtbar machen kann. Das gilt natürlich nicht nur aber eben besonders in der Kleinstadt. So gut wie jeder wendet auf die eine oder andere Art den Zaubertrick an – bewusst oder unbewusst.

Doch mit dem Zaubertrick geht ein Fluch einher. Genauer gesagt zwei Flüche.

Der erste Fluch:
Man ist nur so lange unsichtbar, solange man hinter seiner Hecke bleibt. Ich bin heute ganz zufrieden mit meinem Cliché vom Künstler in Berlin. Dahinter kann ich mich prima verstecken. Ich hatte mich in der Vergangenheit aber mal an einem anderen Cliché versucht: junges Startup. Das war eher ungemütlich, denn ich hatte ständig Angst, dass man mir auf die Schliche kommt, dass man hinter die Kulisse schaut, dass die Hecke quasi umfällt.

Doch der eigentliche Fluch ist ein anderer:
Es ist eine grausame Übung, wenn man die ganze Zeit das Gefühl hat sich verstecken zu müssen. Dieses Gefühl macht in hohem Maße unfrei. Unfrei, wenn man sich irgendwann nicht mehr hinter der Hecke hervortraut. Damit ist man an seine Hecke gefesselt. Und das wahrscheinlich ein Leben lang. Das einzige Leben lang, das man hat.

Will man das? Gefesselt sein von dem Bild, das andere von einem haben?

Master vs. Medium

When I was a child and my father read bedtime stories to me, he always finished with the same question: “And what is the moral of this story?” Then he usually answered the question himself. Suspiciously, the moral of the story was most often related to stuff that had been going on in our family, or in school: To succeed in life, one has to be nice to one’s brothers, do one’s math homework, or help one’s mother do the dishes.

I learned that the moral of the story is a trick the narrator uses to make the listener do something, or believe something, that he thinks is important. As a kid I felt like I wasn’t taken seriously by my father, and even today, when a film comes up with that moral thing, I feel like there is someone disrespecting my brain.

Later in life I became a story-teller myself.

I love to learn about people and I love image and sound. I became a documentary filmmaker. But I don’t want to share a moral, or tell people what thoughts they should have in their brains. Usually, as a documentary filmmaker, I end up in situations where, of all the people that are around, I am the most clueless. So why should I – the clueless one – be the one to explain to an audience how things work?

In 1997, around the time I discovered my interest in storytelling, I also found my fascination with computers. That led to the development of Korsakow. For the last three years I have been working together with Matt Soar and our programmer Dave Reisch who has rewritten the code of Korsakow from scratch, and built the foundation from where we can further develop the application.

For my own work, I almost exclusively use Korsakow and, depending on the way you count it, I have made (depending on how one counts) between 7 and 45 Korsakow-films. Last year, for the first time in my life, I also made a linear film (ie a film that is the very same every time you look at it). This film is called Planet Galata, a portrait of a bridge in Istanbul, and the people living on and around it. Planet Galata was made for French/German broadcaster ARTE, and there are two versions: a linear film and a Korsakow film. It was an amazing experience to make a linear film alongside a Korsakow-film. In a nutshell: The linear version of Planet Galata created some kind of moral, or message. I tried not to, but the film – the format of linear film – made me do it. It is the format of linear film that demands a moral, or a message. The author can fight it, and maybe some great masters of filmmaking sometimes succeed, but linear film is a monster and it demands moral.

An author can be either one or the other:

The master of the story. The author pre-defines, and pre-thinks the experience of the viewer. In a linear film, the author cannot avoid being the master of the story, because, in the end, a linear film has one – and only one – concrete order, and the author has to take full responsibility for it.

That said, also non-linear, multi-path and flexible-structured projects (I call them multi-linear) are usually made by authors who still take the role of masters of the story: The experience of the viewer, the order of things, has been per-thought by the master. The order is certainly more flexible than in a linear film, and these multi-path films do not always look the same, every time you look at them, but nothing happens that the author did not pre-think.

The medium of the story. Here the author prepares the material, the bits and pieces of the story; she can also be present as a voice; she can state her view, or her opinion, just like in any linear film. The difference is that the author creates the rules of the film, but does not pre-think the film. And that allows her to tell stories that are usually very, very difficult to tell in films, stories that are inspirational, but that don’t have a message or moral. – Korsakow is a tool that allows the author to be the medium of the story.

Korsakow allows to create stories – without a moral.

{ This text was originally written for a talk given at Visible Evidence in New York in August 2011. }