Wie es ist, in den Medien zu arbeiten

Dieser Text bezieht sich auf einen Artikel in der Zeit, der fragt, wer da wohl in Vilshofen gegen Corona demonstriert. Ich komme aus der Gegend und ich habe da ein Gefühl.

Der Text erinnert mich an früher. Ich komme aus der Gegend, die in dem Artikel beschrieben ist. Meine Familie ist von dort und sie ist immer noch dort und dort ist für mich mittlerweile weit weg. Seit 30 Jahren lebe ich in Berlin und neuerdings in Berlin und in einem Dorf in Brandenburg, wie es sich für einen Berliner gehört, einen Berliner meiner Art zumindest, der studiert hat und “in den Medien” arbeitet. So scheint es zumindest, wenn man die Zeit oder den Spiegel ließt, aber diese Texte sind ja auch ausnahmslos von Leuten geschrieben, die selbst „in den Medien arbeiten“ und viele von denen, die im Spiegel oder in der Zeit arbeiten leben, wie ich, in Berlin.

Was es bedeutet, “in den Medien” zu arbeiten, hätte ich mir früher, als ich noch dort gelebt habe, nicht recht vorstellen können. „In den Medien arbeiten“ – was machen die da, den ganzen Tag?

Nun hat sich die Zeit nicht nur bei mir, sondern auch dort weitergedreht, so dass ich gar nicht so recht sagen kann, welche Vorstellungen man dort heute von den Medien hat – was zum Beispiel die denken, die im Gegensatz zu mir geblieben sind, aber gleichzeitig mit mir dreißig Jahre älter geworden wurden. Ich habe keine genaue Vorstellung, aber ich habe ein ziemlich genaues Gefühl.

Die Leute dort haben eine vage Vorstellung von dem, wie es „in den Medien” so zugeht. Und weil man sich selbst meist nicht bewusst ist, dass man nur eine vage Vorstellung hat, kommt einem das Bild nicht weniger klar vor, als wenn man selbst „in den Medien“ arbeitet, wie ich es mehr als zwanzig Jahre lang getan habe. Die Vorstellung dort kann eigentlich nur von dem geprägt sein, was man in den Medien über die Medien hört und das ist meist eher kritisch. Medien reflektieren über sich selbst permanent und sie tun das um sich zu verbessern. So verstehe ich das zumindest, wenn ich mich zum Beispiel an die zahllosen Redaktionskonferenzen erinnere, deren interessantester Teil meist die Sendekritik war, die abwechselnd von verschiedenen Kollegen vortragen wurde. Da wurde wenig gelobt und wie der Name schon sagt viel kritisiert. Und mit dieser Haltung treten Sender auch nach aussen auf. Wie sollte es anders sein? Die selben Kollegen waren oft auch ein Gesicht des Senders. In meinem Fall waren das Journalisten, deren schauspielerische Qualitäten eher weniger ausgeprägt waren, ich beobachtete sie ja vor und hinter der Kulisse.

Aus Zuschauersicht müssen die meisten Menschen im Fernsehen wie Schauspieler aussehen, das kann ich mir vorstellen, wenn ich mir den Blick hinter die Kulissen wegdenke. Auch bei uns wurden die Journalisten, bevor sie auf Sendung gingen, von der Garderobe ausgestattet und in der Maske gekämmt und geschminkt. Sie wurden hergerichtet, bevor sie auf die Bühne gingen, kein Wunder dass man sie für Schauspieler hält, wenn man nur den Blick auf die Bühne kennt.

Zwar wurden immer wieder Besuchergruppen durch den Fernsehsender geführt, doch das war natürlich nur der allerkleinste Teil des Publikums und auch dieser Teil bekamen nicht alles zu sehen. Sie hatten keinen ‚access to all areas‘ so wie ich, mit meinem Mitarbeiterausweiss, auf die man Geld für die Kantine laden konnte und die all die hunderte Menschen hatten, die dort arbeiteten. Ich will nicht sagen, dass alles immer nur gut war. Nirgends ist alles immer nur gut. Aber nach allem, was ich gesehen habe würde ich sagen: es ist OK, es ist echt OK. Journalisten kann man generell trauen.

Wahrscheinlich reden die Leute dort, wo ich aufgewachsen bin, gar nicht so anders als die, die in Berlin leben und nicht „in den Medien“ arbeiten. Wobei ich auch das gar nicht so recht beurteilen kann und das liegt daran, dass alle, die ich jahrelang kenne und mir daher erlaube einzuschätzen, wie sie „über die Medien“ denken, mindestens einen langjährigen Freund haben, der in den Medien arbeitet und das bin ich. Und die meisten kennen noch ein paar andere. In den Kreisen in denen ich mich bewege arbeiten viele Menschen „in den Medien“. Es ist nichts besonderes. Das sind gute Leute, so wie mein Nachbar in Brandenburg, der ist Mauerer. Und auch wenn wir uns nicht ganz einig darüber sind, wie hoch die Hecke zwischen unseren Grundstücken sein soll und obwohl ich geimpft bin und er nicht, Uwe ist ein guter Typ und wenn ich seine Hilfe brauche, hilft er mir. Und ich helfe ihm auch.

Vielleicht sollten wir uns manchmal daran erinnern – hey, wir sind alle vom selben Dorf.

Film ist tot

Das Korsakow-System oder von der Allergie gegen lineare Geschichten.

Das Konzept des linearen Films ist tief in unserem Denken verankert – eine unnötige Beschränkung in Zeiten der Digitalisierung, findet Florian Thalhofer. Ein Plädoyer für neues Erzählen jenseits fester Reihenfolge.

Ursprünglich veröffentlicht im Magazin “Schnitt – Das Filmmagazin”
#66, 02.2012

Film ist bei jedem Ansehen gleich. Die Tonspur, jede Szene, jedes Bild ist ein für alle Mal aneinandergeklebt. Der Autor des Films legt die Reihenfolge beim Schnitt fest. Sie gilt von da an und theoretisch für alle Ewigkeit.
Das Konzept des linearen Films entspringt den Beschränkungen der Vor-Computer-Zeit. Denn früher war Film auf Rollen gewickelt. Es ging gar nicht anders, als ein Bild ans andere zu kleben. Doch die Zeiten haben sich geändert. Film wird auf Datenspeichern aufgenommen, auf Computern weiterverarbeitet. Von Rollen, auf denen der Film aufgewickelt ist, keine Spur mehr. Doch noch immer kleben die Autoren der Filme ein Bild ans nächste, so dass die Filme bei jedem ansehen gleich sind. Warum nur?

Nun ja, wir haben uns daran gewöhnt. Und was man 120 Jahre so macht, muss seine Richtigkeit haben. Der lineare Film ist ja auch ein faszinierendes Erzählwerkzeug, mit dem sich wunderbar Zusammenhänge darstellen lassen. Und diese Verknüpfungen lassen sich einem Publikum vorführen, dass dann erkennen möge, dass Dinge, deren Zusammenhänge sich auf den ersten Blick nicht erschließen lassen, am Ende doch miteinander in Verbindung stehen. Dass eins zum Anderen führt. Und so hat uns der Film geschult zu erkennen, wie sehr alles auf der Welt, miteinander verknüpft ist. Wir haben gelernt wie eins zu anderen führt, der Gebrauch von FCKW-haltigen Kühlschränken und Spraydosen zum Ozonloch über den Polkappen und das Verbrennen fossiler Energien zur Erderwärmung. Das sind Meisterleistungen der Erkenntnis und ich behaupte, dass uns die Prägung unserer Hirne mit Film erst in der Lage versetzt hat, derart komplexe Zusammenhänge zu sehen, zu begreifen und weiten Teilen der Gesellschaft verständlich zu machen.

Während ich dies schreibe, liege ich, mit hochgeklappter Rückenlehne, in einem Krankenhausbett, auf einer Überwachungsstation für Schlaganfallpatienten. Ein winziges Blutgerinsel hat die Durchblutung in einem kleinen Bereich meines Stammhirns unterbunden, Gehirnzellen sind abgestorben, nun hängt mein linkes Augenlied etwas herab, ich kann auf der rechten Körperhälfte keine Temperatur mehr wahrnehmen und für ein paar Stunden war auch meine sprachliche Ausdrucksfähigkeit beeinträchtigt. Das Blutgerinsel im meinem Kopf kann man mit einer modernen bildgebenden Maschine sichtbar machen. Tun kann man wenig, ich liege seit ein paar Tagen an Geräte angeschlossen, weil man herausfinden möchte, was genau zu diesem Schlaganfall geführt hat. Denn eigentlich bin ich dafür zu jung. Man ist auf der Suche nach einer überzeugenden Geschichte, die meine Situation jetzt, in der Vergangenheit erklärt, so dass man mit der Erkenntnis meine Zukunft positiv beeinflussen kann.

Für meine Familie ist die Sache klar: ein früherer Freund und Geschäftspartner hat mich betrogen, seit mehr als einem Jahr geht es vor und zurück und die Auseinandersetzung erreichte in den letzten Tagen einen neuen Höhepunkt. Für meine Familie trägt er die Schuld und sie sinnt auf Rache. Die Ärzte untersuchen mein Herz, meine Adern, mein Blut und meine Gene. Stress, sagt der Arzt, darüber lässt sich wissenschaftlich kein Zusammenhang zum Schlaganfall herstellen.

Es ist egal. Wenn ich in einigen Tagen dieses Krankenhaus verlasse, dann soll mir eine möglichst lineare Geschichte mitgegeben werden. Eine Geschichte, die mich beruhigt, die mir Sicherheit gibt, für die Zukunft. Ob sie nun wahr ist oder nicht. Mit einer klaren Geschichte, sagen die Ärzte, lebt es sich beruhigter. Mir würde eine Geschichte gefallen, die sagt, dass ich in der Vergangenheit zu wenig Schokoladenkirschtorte gegessen habe. Aber meine Freundin findet das nicht lustig und vermutlich werden mir die Ärzte diese Geschichte nicht schenken.

Doch ich will gar keine lineare Geschichte. Ich will nicht den einen Grund hören, der meine jetzige Situation verursacht haben soll. Außer vielleicht, er ist wirklich 100%ig wahr. Doch das ist unwahrscheinlich. Die Ärzte haben schon angekündigt, dass es den einen Grund wohl kaum geben wird. Der menschliche Körper ist komplex, zahllose Faktoren beeinflussen sein Wohlergehen. Würde man den einen Grund finden, es wäre praktisch. Ein zu hoher Cholesterinspiegel kann bekämpft werden, indem man die Ernährung umstellt und Tabletten nimmt. Ich wäre eine Sorge – die nach einem neuerlichen Schlaganfall – los, und wäre für den Rest meines Lebens an die Einnahme von Tabletten gefesselt (oder je nachdem, Schokoladenkirschtorte). Wenn ich mit der Unsicherheit, den Grund für meinen Schlaganfall nicht zu kennen, leben könnte, oder besser noch, es gar nicht als Unsicherheit empfände, wäre ich mit Sicherheit freier. Kein Zwang Tabletten zu nehmen, von denen ich auch nicht wirklich sicher sein kann, dass sie das Problem lösen. Dem Erkennen einer Ursache wohnt die Panik inne. Denn wer den wahren Grund kennt, kann einen Fehler machen. Und dieser Fehler kann in meinem Fall sogar tödlich sein! Das heißt, ich werde mein Leben lang in Angst leben müssen, einen tödlichen Fehler zu begehen. Keine sehr entspannten Aussichten.

Das Gegenteil zu tun, also alle Schlüsse und Ratschläge der Ärzte zu negieren und sich in Zukunft so zu verhalten, als wäre nichts passiert, wäre selbstverständlich auch nicht klug. Das kann es also nicht sein. Wie wäre es also, all die Informationen, die Ratschläge und Gründe in einen Sack zu tun und seinen Inhalt immer wieder aufs neu zu betrachten? Wie in einer Kristallkugel, die einem angepasst an die sich über die Jahre ändernden Gegebenheit, immer wieder kluge Vorschläge macht, ohne einen mit dem tödlichen Fehler zu bedrohen?

Ich erzähle Geschichten seit vielen Jahren anders. Nichtlinear und variabel, so dass sie bei jedem Ansehen anders sind. Ich als Autor lege sowohl die Inhalte, als auch die Regeln fest, auf Grundlage derer sich mögliche Reihenfolgen ergeben. Doch ich vermeide dabei stets, die möglichen Abläufe der Geschichten vorherzusehen. Eben nicht zu spekulieren, was die knackigsten, die am meisten Sinn machenden Verbindungen sind. Denn sonst sehe ich die Verbindungen in die Dinge hinein und die Klugheit des Werks ist begrenzt auf meine Klugheit als Autor. Ich möchte selbst überrascht werden. Ich möchte erhellende Muster entstehen lassen, die sich in immer neuen sinnvollen Variationen zusammensetzen. Ich möchte erkennen, nicht erklären.

Meine Faszination für das Geschichtenerzählen und für den Computer begann in der selben Zeit. 1997 habe ich die “kleine welt” geschrieben (www.kleinewelt.com), eine interaktive, nichtlineare Geschichte, über das Aufwachsen in der Provinz. Es war der Versuch, eine Geschichte so zu erzählen, wie es auf dem Computer Sinn machen. Ein Computer ist keine Filmrolle, kein Tonband, keine Schallplatte. Der Computer organisiert die Daten nicht, wie auf einer Perlenkette aufgereiht. Man kann mit einem Computer sehr einfach mannigfaltige Verbindungen herstellen und man kann Programme schreiben, die sinnvolle Verbindungen von weniger sinnvollen unterscheiden. Diese Art Informationen, Elemente, Erinnerungen, Gedanken zu organisieren ist viel wärmer, viel verständnisvoller, viel menschlicher. Es kommt der Art, wie unser Hirn Informationen arrangiert, nahe. Im Jahr 2000 habe ich die erste Version des Korsakow-Systems geschrieben, einer Software, mit der sich auf sehr einfache Art und Weise nichtlineare und interaktive Filme programmieren lassen. Das Prinzip ist dabei immer gleich. Eine Korsakow-Erzählung besteht aus Inhaltselementen, den “Smallest Narrative Units” (SNUs), die Verbindungsstellen “Points Of Contact” (POCs) besitzen, an die wiederum andere SNUs andocken können. Der Autor definiert den Inhalt der SNUs und bestimmt die POCs, der Rest ist Mathematik. (Die Begriffe “SNU” und “POC” stammen von dem Filmemacher Heinz Emigholz, der 2002 an der Universität der Künste einen Vortrag über die Mechanik des Korsakow-Systems hielt.)

Seit 2009 wird die Software von mir zusammen mit Prof Matt Soar und dem Programmierer David Reisch an der Concordia University in Montreal weiterentwickelt. Ich benutze seit 12 Jahren fast ausschließlich das Korsakow-System für meine Arbeiten und habe sein Prinzip neben Filmen auch auf Installationen in Raum, auf Diskussionsveranstaltungen und auf Vorträge übertragen.

Film ist tot. Ich kann mir nicht vorstellen, dass heute noch ein Film eine Generation prägen könnte. Dass ein Film noch mehr vermag, als eine vergängliche Mode zu beeinflussen. Dass Film noch etwas verändern kann. Fernsehen mag heutzutage Generationen prägen, und mehr und mehr das Internet. Doch Film? Film ist Entertainment geworden, der Zuschauer versteht die immer gleichen Strickmuster: “Das ist ja nur Film”, sagt meine Mutter, “Das ist ja nur Fernsehen”, habe ich sie seltsamerweise noch nie sagen hören und: “Das ist ja nur Internet” habe ich überhaupt noch nie jemanden sagen hören.

Mittlerweile kann ich sie kaum mehr ertragen, diese linearen Geschichten, die gute Story, die von jedem und überall ständig erzählt werden muss. Seien es Politiker, Waschmittelhersteller, Journalisten oder der Bäcker um die Ecke. Alle entwickeln sie “convincing stories”, und wenn ich diese Geschichten nur rieche, weiß ich schon, ich werde verarscht. Wer selbst Geschichten baut, weiß, wie sehr man die Realität in die Form zwingen muss, damit sie funktioniert – damit die Form funktioniert, in der sich Realität transportieren lässt, die dann allerdings verbogen ist.

Diese Allergie auf die lineare Geschichte, dieses Misstrauen der Erzählung gegenüber stelle ich seit ein paar Jahren nicht nur bei mir, sondern bei immer mehr Menschen fest. Vor kurzem bin ich durch Griechenland gereist und habe mit Menschen dort über die Wirtschaftskrise gesprochen. Junge wie alte, immer wieder haben die Leute gesagt, wie sehr sie den Geschichten Misstrauen, die da erzählt werden. Und dass man ins Internet schauen soll um sich dort selbst ein Bild zu machen. Und zuerst habe ich geschmunzelt und habe gedacht: “Ach ja, das Internet, das ist ja so verlässlich.” Und doch, mir geht es ja nicht anders: ich traue meinem Hirn und meiner Wahrnehmung und die vielen widersprüchlichen Meinungen verwirren mich nicht, sie geben mir Klarheit. Viele und immer mehr Menschen empfinden das so, Menschen auf allen Ebenen der Gesellschaft. Es ist ein Revolution im Gange. Ein Paradigmenwechsel hin zu einer widersprüchlicheren, vielschichtigeren Gesellschaft, einer Gesellschaft die in der Lage sein wird, nicht nur komplexe Zusammenhänge zu erkennen, sondern auch in der Lage ist, komplexe Beziehungsgeflechte zu sehen, zu begreifen und weiten Teilen der Gesellschaft verständlich zu machen.

Vor ein paar Jahren war ich zum Mittagessen mit dem Filmemacher Hartmut Bitomsky verabredet. Er war damals Direktor der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb). Wir unterhielten uns über neue Erzählformen im Internet und ich wollte frech sein: “Sicherlich, Film wird es immer geben, aber in 10, 15 Jahren wird es sein, wie wenn man in die Oper geht: Man zieht sich schick an, geht ins Kino und geht danach teuer Essen. Es ist ein gesellschaftliches Ereignis, gesellschaftliche relevant ist es nicht mehr.”
Die Antwort Bitomskys hat mich verblüfft. Er sagte: “Ich weiß, aber meine Studenten wissen es noch nicht.”

Dieser Text wurde ursprünglich veröffentlicht im Magazin “Schnitt – Das Filmmagazin”
#66, 02.2012

Geschichte vom Geschichtenerzählen

Wie sehr Geschichte vom Geschichtenerzählen geprägt ist, darüber könnte ich mich auch immer furchtbar aufregen. Wie dumm von uns, das, was wir aus der Vergangenheit lernen könnten, in ein Korsett zu pressen, das das Geschehene derart verfälscht! – Das Korsett des Story-telling (weithin als Werkzeug betrachtet, Geschichte erfahrbar zu machen) hat ja seine ganz eigenen (und in Hinblick auf Geschichte willkürlichen) Regeln.

We dumb ourselves down!

(aus einer Email an H-P-H)

Linear vs. nonlinerar storytelling

Facebook-comment by Michale Hohl and my reply:

Original comment by Michael:

Just a footnote to western causal thinking, Korsakow system and non-lineal storytelling. “Leviathan is a documentary horror film painted in expressive primary colours on a black canvas.” Horror is a genre. apparently documentary is a genre too.What would a non-lineal, second-order constructivist, documentary be like?In an 8 Min lineal, western-causal documentary its possible to explain in depth the background of ocean acidification (see link below from day before). The author tells a story, develops an argument and provides evidence. We understand (as intended). It makes sense and is adequate use of media to choose this format to convince people.Now what would a second-order, non-lineal documentary look like? Is there a story? Does the author convince? How do we create meaning? Even the raw data, the interview questions, would have to be different, wouldn’t they? Or would it be possible to simply re-edit a traditional film?

Matt Soar pointed me to your interesting questions, he thinks I might have helpful thoughts on that. I will give it a try. I start from the end:

Or would it be possible to simply re-edit a traditional film?

No, you might want to use the same raw material (I like the term data!), but the material that is used in the end of the process of making a linear film is usually already that much structured and loaded with opinion, that any “open narrative” would look stupid in comparison (we tried that a lot in student projects in the beginning of Korsakow).
Editing a linear film, authors should better cut away everything that does not serve their narration. “Kill your darlings!” – “Cut away the useless stuff!” But who decides what is useless? – “The author” you might answer, but I argue: it is the Story! – The author knows what he likes (his darlings) the Story tells him to kill them, if they don’t fit – the story.

In an 8 Min lineal, western-causal documentary it is possible to explain in depth the background […]. The author tells a story, develops an argument and provides evidence. We understand (as intended). It makes sense and is adequate use of media to choose this format to convince people.

Yes! This is the power and the beauty of linear filmmaking. The author has researched a topic and thought about it carefully and then builds it into a film that effectively and convincingly transports his conclusion. Wonderful!

My personal experience being a (one time) linear filmmaker: I researched and thought long and carefully but I did not get to one conclusion. Patterns evolve. Meaningful and hopefully helpful thoughts. But nothing that I would like to squeeze into a conclusion. Nothing that I want to put in concrete for the next 100 million years. Not even for the next 10 years!

Entering a diner with Matt Soar and David Reisch on the way back from our Korsakow-retreat in Ontario, last week, we talked about dinosaurs: “Isn’t it funny?” I asked, “Dinosaurs will look different in the future.” The way dinosaurs (or the imagination that we have of them) changed over the past. Dinosaurs looked different before there was plastic to model them and they look different as we have 3d animation; scientists come up with new scientific evidence all the time. The skeleton stays the same, the way we envision it, changes. Same goes for ancient cultures, or telephones or anything. Anything you can imagine. Do a thought-experiment. What stayed the same over 10 years, 100 years, 1000 years?

What I feel I can do, as a documentary maker, is to collect evidence, think carefully about it and also state my (hopefully helpful) thoughts. I am the author and I decide what my darlings are and I narrow down the raw-data to a point where it is effectively consumable. I do everything that an author of linear films does, just not the last step: I don’t put it into one argument or story.

Why? Because I realized that Stories allow certain arguments and others not. I don’t want to explaining that here, but in a nutshell: Stories like extremes. And I personal don’t like extremes ( maybe because I myself am so normal ;-) ).

I know I don’t speak for all nonlinear documenter or webdoccers, there seems to be currently a strong tendency in using nonlinear (better multilinear) storytelling for telling Stories that make a point, that try to convince people, that raise awareness (against windmills). ( Funny, I just wrote the last line, looked up and out of the window – I am in a train – what did I see? Windmills! ).
I really hope this stupidity is soon over and we can enter into the (flexible) world beyond the linear story.

Again: Linear film is cool and will be. But there is more, that can be explored!

Kunstfilm vs. Dokumentarfilm

EMAIL-KONVERSATION MIT MICHAEL HOHL:

**Was ist der Unterschied von Kunst-Film zu Dokumentarfilm? Im Dokumentarfilm wird der Anspruch erhoben ‘eine’ objektive Realitaet zu zeigen. Im Kunstfilm wird ganz bewusst der Anspruch erhoben die subjektive Realitaet des Kuenstlers zu zeigen.
Wir beide wissen aber das da kein grosser Unterschied ist, ausser das eben jeweils ein Anspruch erhoben wird. Der Dokumentarfilm hat Fakten. Der Kunstfilm hat …. (was?).**

Ich kenne den Begriff ‘Kunstfilm’ als solchen nicht. Aber ich glaube, wir wissen was gemeint ist.

Du hast Recht, Film ist Film, da ist nicht viel Unterschied. Es ist die Haltung die den Unterschied macht. Zu sagen “ich sehe” vs. zu behaupten “es ist”.

Ich glaube sogar, dass man, für die (moderne) Kunst als solche sprechen kann, wenn man sagt: Sie bekennt sich zur Subjektivität und kann damit radikalere und im besten Fall ‘klarere’ Blickwinken erschliessen. Im schlechten Fall (& vermutlich meistens) sind die Erkenntnisse belanglos und banal. Das ist der Preis.

Beim Dokumentarfilm schneidet man alles raus, was nur nach ‘belanglos’ riecht. In der Hoffnung, dass das Relevante übrig bleibt. Doch was ist ‘relevant’ oder ‘belanglos’? – Das wird erst die Zeit zeigen. Der Preis ist, dass man in der Beurteilung von dem was ‘belanglos’ und was ‘wichtig’ ist, völlig in dem Denken der Zeit (der Entstehung des Films) gefangen ist. Daher driften die Dokumentarfilme (Filme) mit der Zeit aus der Zeit, gelungenen Kunst(filmen) passiert das viel weniger.

**Vielleicht ist ja Korskow auch wieder nur eine subjektive methode des Dokumentarfilms und wir koennen garnicht ‘raus’ aus dem subjektiven Autorendasein? (Ausser wir machen filme mit wahllos ausgewaehlten videos von Überwachungskameras).**

Korsakow ist subjektiv! Es kann auch gar keine Objektivität geben. Was sollte das sein? Das Auge Gottes? Wir können uns selbst und das was uns umgibt nur aus unseren Augen sehen.

**Dann ist da noch die Frage:
Wo wollen wir hin?**

Weitere Formen zu finden und zu erforschen, mit denen wir die Welt sehen und diskutieren können.

**Was ist der Anspruch?**

Wir wollen das Wissen um die Welt die uns umgibt erweitern.

**Was macht das neue Format anders obwohl es wie das alte wahrgenommen werden kann?**

Film vs. Korsakow-film?

Film kommuniziert lineare Kausalität. Korsakow kommuniziert mannigfaltige Bezüge.

**Warum brauchen wir neue Erzaehlweisen?**

Zur Erweiterung unseres Toolsets.

**Was ist da anders beim Kunstfilm? Wie kann man das nutzen? Vielleicht machen die das ja schon lange, aber eben nur linear als ungewolltes resultat technischer Grenzen?**

Kunstfilm beschäftigt sich schon lange mit dem Problem, dass linearerer Film eine immanente Wahrheit gebiert (Objektivität behauptet). Kunstfilm arbeitet somit gegen die Form des Films an. Der Ansatz ist gut: Die Subjektivität des Blinkwinkels nicht verschleiern zu wollen, aber Kunstfilm scheitert (meist) an der Form des linearen.

Korsakow behauptet (aus der Form heraus) Subjektivität. Damit kann der Betrachter nach einem subjektiven oder objektiven Betrachtungswinken streben, er kann beides mischen, ohne Gefahr zu laufen “objektiv sein zu wollen”, und damit im gleichen Umfang aus der Zeit zu laufen, wie der lineare Film.

Film generiert Aussagen. Korsakow generiert Fragen.

Kunstfilm versucht Film zu benutzen, Fragen zu generieren. Ich will gar nicht sagen, dass das immer scheitert. Es ist nur wahnsinnig mühselig, weil es so sehr gegen die Form ist.

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