Meine Meinung zu Meinung

Meinung hat meist etwas mit Wissensstand zu tun und der Wissensstand kann sich eigentlich immer verbessern. Vermutlich ist es eher die Regel, als die Ausnahme, dass sich Meinung ändert, wenn das Wissen steigt. Je weiter man in die Vergangenheit schaut (sei es die persönliche oder die der Menschheit) desto rarer werde da, allem Anschein nach, die Ausnahmen.

Was ist also auf Meinung zu geben? – Wohl nicht allzu viel.

Wenn man dann noch bedenkt, wie sehr Meinung aufregt, nicht nur emotionale Energie kostet, die sich dann nicht mehr einsetzen lässt um Wissen zu erweitern (indem man z.B. argumentiert, statt zu fragen) komme ich nicht umhin zu denken: Man sollte die Meinung sein lassen, wo es nur geht. Und wenn es nicht geht – denn manchmal braucht man eine Meinung – ist sie hoffentlich klüger, wenn man nicht so viel Energie verschwendet hat, zu allem eine Meinung zu haben.

“Cliche is whatever is in use & whatever is in use is environmental, hence largely invisible.“

Aus Edmund Carpenter „They Became What They Beheld“

Der Satz von Edmund Carpenter klingt wie ein Zaubertrick. Wie kann man es anstellen, dass etwas in aller Öffentlichkeit unsichtbar ist?

Das Cliché ist der Abzug eines Originals und das Original war irgendwann die Wirklichkeit, die Welt da draussen, in ihrer ganzen Vielschichtig­keit und Komplexität. Das Original beinhaltet die Unendlichkeit der möglichen Ent­scheidungen die dem Cliché fehlen. So wie eine fotografischen Aufnahme die man betrachtet immer ein Rückblick ist, ein Blick auf das Bild, das im Augenblick des Moments aufgenommen wurde, wie ein Schnappschuss aus der Vergangenheit.

Wenn ich ein Bild von mir aus der Vergangenheit betrachte – die Möglichkeiten, die ich damals hatte! Ich hätte in jede Richtung gehen können. Und dann bin ich in eine Richtung gegangen. Und jetzt bin ich 49 Jahre alt, lebe als Künstler in Berlin, in Kreuzberg in einer Altbauwohnung, mit einem Job in der Schweiz. Ich hätte in alle möglichen Richtungen gehen können und dazu zählt auch in der Kleinstadt in Bayern zu bleiben, wie meine Geschwister. Dann würde ich heute wohl noch Kleinstadt-Gedanken denken, so ähnlich wie ich sie früher gedacht habe.

Ich möchte Sie bitten, sich diese Person, die ich jetzt bin, vorzustellen, vor Augen zu führen. Ein Künstler, in einer Kleinstadt aufgewachsen, als junger Mann in die große Stadt gegangen und zu einigem aber nicht allzu viel Erfolg gekommen. Stellen sie sich dieses Person vor – das bin ich.

Das war ich ca. 1995 – man kann schon er­kennen, dass aus mir mal ein Künstler werden wird – nicht wahr?
(Wobei – sahen wir nicht alle so aus, damals?)

Das ist ein Cliché. Meine Erinnerung ist ein Cliché. Das Bild, das Sie jetzt im Kopf haben, von einem Künstler, 49 Jahre alt, der von der Kleinstadt in Grossstadt und in die ganze Welt gekommen ist.

Mehr müssen die über mich nicht wissen.

Nur vielleicht noch so viel: Sie haben keine Ahnung wer ich bin. Sie würden mich nicht einmal auf der Straße erkennen und selbst wenn sie es täten, sie hätten immer noch keine Ahnung wer ich bin.

Sie haben keine Ahnung wer ich bin – ich weiß es ja selbst nicht. Wer bin ich, wer werde ich morgen sein, wo bin ich, wo werde ich morgen sein, in zwei Jahren?

Wenn Sie sich diese Fragen nicht stellen, oder sich diese Fragen einfach beantworten können, dann leben sie wahrscheinlich immer noch in einer Kleinstadt oder sind dahin zurück­gekehrt und sei es nur im Geiste.

Ich bin: genauso komplex wie Sie.

Sie sind so komplex, wie Sie in diesem Augenblick sind, so komplex wie ich, so komplex wie jeder Mensch. Egal wo sie leben, ob als Künstler in Berlin oder als Blumenhändler in einer Kleinstadt in Bayern oder als Jäger und Sammler in Papua-Neuguinea.

Betrachten sie noch ein mal das Klischee, das sie von mir im Kopf haben.

Kann ein Cliché jemals die ganze Komplexität einfangen?

Sie denken zu wissen wer ich bin, weil Sie ein Cliché im Kopf haben, ein Bild und hinter diesem Bild kann ich mich verstecken. Kann ich wie unsichtbar werden. Das was Sie, was andere sehen, ist das Klischee, nicht mich.

Damit erklärt sich mir auch ein eine uralte Frage, die ich aus der Kleinstadt mit mir herumtrage: Warum ist es so wichtig, was die Nachbarn denken?

In der Kleinstadt habe ich beobachtet wie die Leute beständig am Cliché (dem Bild, das die Nachbarn von einem haben) arbeiteten. Und zwar buchstäblich gearbeitet, indem man zum Beispiel am Samstag vor dem Haus “die Straße zu­sammengekehrt hat, wegen der Nachbarn”. („Kleine Welt“, 1997, beginnt genau damit, “Planet Galata”, 2010, mit einem ähnlichen Gedanken).

In Berlin macht man das nicht. Hier gibt es einen Straßendienst, den alle gemeinsam bezahlen, durch ihre Steuern. Nun kehren wir auch in Berlin manchmal die Straße vor unserem Haus. Aber das ist nur, weil meine Frau zufälliger Weise einen Laden hat. Wegen der Nachbarn machen wir das jedenfalls nicht.

In der Kleinstadt ist das Cliché offenbar wichtiger, vielleicht weil man sich mehr verstecken muss. In der Grossstadt ist es leichter sich so zu zeigen, wie man ist, weil man anonym ist. Man taucht kurz auf und verschwindet wieder in der Masse. Das geht in der Kleinstadt nicht.

In der Kleinstadt kann man nur so sein wie man ist, wenn man sich hinter hohen Hecken versteckt. Hinter den hohen Hecken des Clichés. Die hohen Hecken sind das Bild, das die anderen von einem haben. Die Arbeit am eigenen Bild ist die Arbeit an der Hecke, hinter der man sich un­sichtbar machen kann. Das gilt natürlich nicht nur aber eben besonders in der Kleinstadt. So gut wie jeder wendet auf die eine oder andere Art den Zaubertrick an – bewusst oder unbewusst.

Doch mit dem Zaubertrick geht ein Fluch einher. Genauer gesagt zwei Flüche.

Der erste Fluch:
Man ist nur so lange unsichtbar, solange man hinter seiner Hecke bleibt. Ich bin heute ganz zufrieden mit meinem Cliché vom Künstler in Berlin. Dahinter kann ich mich prima verstecken. Ich hatte mich in der Vergangenheit aber mal an einem anderen Cliché versucht: junges Startup. Das war eher ungemütlich, denn ich hatte ständig Angst, dass man mir auf die Schliche kommt, dass man hinter die Kulisse schaut, dass die Hecke quasi umfällt.

Doch der eigentliche Fluch ist ein anderer:
Es ist eine grausame Übung, wenn man die ganze Zeit das Gefühl hat sich verstecken zu müssen. Dieses Gefühl macht in hohem Maße unfrei. Unfrei, wenn man sich irgendwann nicht mehr hinter der Hecke hervortraut. Damit ist man an seine Hecke gefesselt. Und das wahrscheinlich ein Leben lang. Das einzige Leben lang, das man hat.

Will man das? Gefesselt sein von dem Bild, das andere von einem haben?

Die Diskussion um Facebook

Es passiert gerade sehr spannendes. Es ist die Debatte um Facebook. Es geht dabei allerdings um etwas ganz anderes als um die Frage, ob Facebook gut oder schlecht ist oder gar um die Frage ob die neuen Kommunikationsmedien an sich gut oder schlecht sind.

Wir können gerade einen wichtigen Schritt in der Entwicklung der neuen Kommunikationsmedien beobachten. Das ist nur nicht so offensichtlich, da dieser Prozess von Leuten ausgehandelt wird, die so sprechen als ginge es um Gut oder Böse. Das klingt dann bisweilen so, als wären die neuen Kommunikationsmedien an einen Punkt gekommen, an dem es womöglich nicht weitergeht. So als stünde der Untergang von Facebook oder so an. So wie darüber berichtet wird, könnte man den Eindruck gewinnen, das System stehe an einem Kollaps. Dem ist nicht so. Es wird zwar z.B. in den Hearings, die im Senat in den USA stattfinden immer wieder auf das Beispiel tabacco-industry verwiesen, wo also ein Wirtschaftszweig wissentlich das Leid von Millionen von Menschen billigend in Kauf genommen hat um Profit zu erwirtschaften. Auch wenn der Vergleich nahe liegt ist er doch nicht besonders hilfreich, denn anders als beim Zigarettenkonsum stehen den negativen Auswirkungen des Konsums neuer Kommunikationsmedien wesentlich mehr und wesentlich stärkere positive Effekte gegenüber. Was für die neuen Kommunikationsmedium insgesamt gilt, gilt wahrscheinlich sogar für Facebook selbst.

FB ist nicht so schlecht, wie die meisten sicherlich nachvollziehen können, wenn sie bereit sind folgender Überlegung zu folgen:

Den negativen Auswirkungen von FB stehen viele positive gegenüber. Ich denke das kann jeder sehen, der FB benutzt. Der FB nutzt trotz allem, was die meisten an FB zu kritisieren haben. Dem was zu kritisieren ist steht also etwas also etwas anderes gegenüber. Und bei den meisten (bei allen, die FB weiterhin nutzen) ist dieses Ding grösser als alles was zugegebener Massen negativ an FB ist. Und dieses Ding, das da dem Negativen gegenüber steht, das ist das positive, das FB hat.

Es könnte natürlich blöd für FB laufen und FB wird im Zuge der Diskussion zerschlagen. Das wäre dann sicherlich aber auch schon das dramatischste, das passieren kann. Am langfristigen Trend, dass die neuen Kommunikationsmedien immer größere Bedeutung bekommen wird sich gar nichts ändern.

Was wir da beobachten können ist schlicht und ergreifend, wie gerade unter grossem Anteil der Öffentlichkeit Fehler am System der neuen Kommunikationsmedien ausgeleuchtet und damit die Voraussetzung geschaffen wird diese Fehler zu korrigieren. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Bundestagswahl 2021 : Triell ums Kanzleramt : Laschet, Scholz, Baerbock – und was es mit mir macht

„Wir geben jetzt ab nach Adlershof. Wir sind sehr gespannt, Gute Unterhaltung!“ sagt die Moderatorin.

Komisch, wenn ich das Triell anschaue finde ich es herzlich unergiebig. Was für ein Zirkus, denke ich mir, mit riesigem Palaver vor dem Triell und riesigem Palaver nach dem Triell und das Triell selbst inszeniert wie ein Gladiatorenkampf. Weil aber Politiker keine Gladiatoren sind müssen jetzt Politiker Gladiatoren spielen und weil Politiker keine Schauspieler sind, ist es ein seltsames Schauspiel. Die Performance ist bei allen schlecht. Über das, was sie sagen, kann ich nicht wirklich was sagen, weil ich dazu die Performance als Schauspieler herrausrechnen müsste und das ist mir zu kompliziert. Daher werde ich am Sonntag die wählen, die ich immer wähle. Meine Meinung eben, weil so natürlich niemand meine Meinung ändern kann. Selbst wenn jemand meine Meinung ändern könnte, ich könnte gar nicht verstehen, was sie sagen vor lauter Tamtam und blödsinnigem Spiel.

Wem soll man das vorwerfen? Den Politikern, weil sie schlechte Schauspieler sind? Oder den Medien, weil sie dem Publikum das geben, wovon sie denken, dass es das Publikum will?

Ich wünschte, die Medien würden wissen, was ich will. Ich bin ja schliesslich das Publikum. Naja, vielleicht nicht, die Glotze ist wieder aus.

 

TV is Easy

Es ist schon ein paar Jahre her, da habe ich zusammen mit einem Freund auf einem Festival in Barcelona ein Fernseh-show-format ‚ge-pitched‘. Das heißt wir durften unsere Idee Fernsehproduzenten aus ganz Europa präsentiert. Die Veranstaltung war wie ein Wettbewerb aufgebaut mit Bühne, Publikum und allem. Unsere Idee war eine von vieren. Ich glaube, wir wurden letzter. Anschließend kamen ein paar Leute aus dem Publikum auf uns zu und sagten, dass das Projekt das beste gewesen sei …(*)

Ich muss sagen, ich habe lange nicht verstanden, warum unsere Idee nicht angenommen wurde, ich glaube es hätte wirklich das Potential gehabt, mittels Fernsehen (und Internet) die Welt weiterzubringen.

Eine Fernsehproduzentin mit der ich ein paar Monate später einen Abend lang auf einem anderen Festival rumhing hat es mir dann erklärt:

Egal welche Show im Fernsehen produziert wird, sie hat immer ein Element, wie ein Gewürz, das in keinem Gericht fehlen darf, ein Gewürz nach dem jeder TV-Show schmeckt. Alles ohne dieses Element haben keine Chance. Man habe in der Zuschauerforschung zweifelsfrei herausgefunden, dass keine Show Erfolg haben kann, die dieses Element nicht hat. So schön Euer Projekt auch ist, es fehlt ihm dieses Element.

Was dieses Element ist? Ich glaube es ist wichtig, dass man sich jedes Mal, wenn man eine Show im TV sieht, oder ein Gespräch über eine TV-Show hört, oder über eine Fernseh-Sendung liest, folgendes aufsagt:

Ein Zuschauer vor dem Fernsehen soll sich immer besser fühlen als die, die im Studio vorgeführt werden.

Ich glaube das sollte man wissen, denn es erklärt vieles. Nicht nur im Fernsehen.

 

 

(*) seiner Zeit weit voraus. Das höre ich seit zwanzig Jahren in regelmäßigen Abständen. Vermutlich ist daran was dran, aber wenn dem so ist, dann kann ich aus meiner Erfahrung sagen, wer der Zeit zu weit voraus ist ändert gar nichts. 😉

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