Mauer

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Hannover, Mai. 2014

An anderen Orten ist eine Mauer noch eine ernsthafte Angelegenheit.

Leben in der Vergangenheit

Auf der Reise in Kanada und den USA, Nov 2013

Ich erinnere mich:
In den 90er Jahren wollte ich keine alte Musik hören. Ich wollte meine Zeit nicht mit Oldies im Radio verschwenden und womöglich etwas neues verpassen.

Ich erinnere mich:
Ungefähr um die Jahrtausendwende herum wünschte ich mir, dass nichts mehr erfunden werden würde. Dass keine neuen Bücher geschrieben würden, dass keine neuen Musiken mehr aufkämen, dass keine neuen Filme mehr gemacht werden. Um Zeit zu haben, all das zu sehen, zu lesen, zu hören, zu begreifen, was schon da ist.

Genau das ist geschehen. Heute wird das Vergangene reproduziert, neu gemischt, wiedergespielt und die Lücken, die gelassen wurden, werden gefüllt. Die Lieder, die früher schon hätten gesungen werden können, werden gesungen. Wie in einer nicht enden wollende Gruppentherapiesitzung, in der das Vergangene immer wieder aufgerührt wird.

Wahrscheinlich ist es genau das: Wir versuchen zu verstehen, was wir getan haben. Wir versuchen uns bewusst zu werden.

Wie wird sich die jetzige Epoche in der Zukunft einordnen lassen? Es wird die Zeit sein, in der nichts neues erfunden wurde. Und es ist die Zeit, in der alle in der Vergangenheit gemachten Kulturleistungen gleichzeitig in die Gegenwart gebracht wurde. Ein gewaltiges Unterfangen.

Aus dem Blickwinkel der kommenden Epoche wird dies klar sichtbar sein.
Doch was wird diese kommende Epoche sein?

[to be continued]

Im Körper

Berlin, Nov. 2013

Man kann noch so viel begriffen haben, es hilft einem nichts. Wenn man das, was man verstanden hat, nicht spürt, es lebt. Zum Beispiel das “im Augenblick sein”. Jeder halbwegs intellektuelle Mensch hat es verstanden. Die Theorie ist klar: Das Glück erschließt sich, wenn man den Augenblick lebt. Wenn man nicht andauernd über die Vergangenheit grübelt oder sich über die Zukunft Sorgen macht. Wenn man sich zum Beispiel die Wolken am Himmel anschaut. Einen Baum, dem der Wind durch die Blätter fährt. You know what I am talking about. Du, der Du diese Zeilen liest, bist auch so ein Intellektueller. Im Augenblick sein! Jetzt. Hier. Einatmen, ausatmen. Hunger? Durst? Wie riecht die Luft? Aber Du hast es ja längst begriffen. Du kennst den Gedanken. Jetzt mal wirklich: Wie riecht die Luft?

Intellekt ist was schönes. Aber was hilft es, wenn es die Welt nicht fühlen lässt, sondern nur begreifen? Begreifen kann ein erster Schritt sein, aber wenn man das Begriffene nicht erlernt, es nicht so lange übt, bis man es automatisch macht, ist es wertlos. Das Sammeln theoretischer Gedanken unterscheidet sich nicht sehr dem Sammeln von Briefmarken.

Ich habe eine Hexe kennengelernt. Die hat mir gezeigt, dass ich einen Körper habe. Dass ich nicht nur in einem Körper lebe, sondern dass ich ein Körper bin. Ein Körper, der denkt. Nicht ein Denken, das in einem Körper steckt. Die Hexe und ich, wir üben es immer wieder und die Erfahrung ist ein ums andere mal spektakulär: Ich bin ein denkender Körper. Und ein ums andere Mal verschwindet das Fühlen nach einiger Zeit wieder und ich rutsche zurück ins Denken. Ich denke dann wieder und fühle kaum mehr.

Wie fühlen sich meine Fingerspitzen an, wenn sie die Tasten des Computer-Keyboards nach unten schlagen? Und seltsam, wenn ich mir dessen bewusst werde, lenkt es mich nicht von meinen Gedanken ab, im Gegenteil. Es lässt meine Gedanken fließen. Aber ich muss aufpassen, denn meine Gedanken sind bereits dabei, meine Aufmerksamkeit zu übernehmen. Meine Gedanken schmieren meine Leben zu. Wie weiße Farbe über eine Fensterscheibe. Gedanken sind das, was wir aus der Welt machen. Die Welt ist alles, was denkbar ist, doch das, was wir denken, ist das Gefängnis, in dem wir leben.

Jugend nervt

Die Jugend von heute ist ein Qual. Sie ist so verdammt unkreativ. Als ich jung war, konnte ich es nicht ertragen, Musik aus vergangenen Jahrzehnten zu hören. Sie war so abgeschmackt, so schal. Heute gibt es nur noch Musik aus vergangenen Jahrzehnten, und die immerwährende Wiederholung des ewig gleichen lässt mir selbst die Musik, die mir früher so viel bedeutete, belanglos erscheinen.

Ich hatte immer damit gerechnet, dass mich, wenn ich nicht mehr jung bin, die Jugend aufregen würde. So wie ich – und weil ich mit alten Eltern gesegnet bin, wahrscheinlich als einer der Letzten – die vorangegangene Generation aufgeregt habe. Nichts dergleichen. Die Jugend von heute nervt nur. Sie nervt, weil sie so langweilig ist. Sie nervt, weil sie nichts neues erfindet und uns ersaufen lässt in dem Mist von früher.

Eitelkeit

Thessaloniki, 31. Mai 2012

Viel zu lange war ich eitel. Ich war unsicher und es war mir wichtig, wie andere mich sehen. Ich habe Freunde um mich versammelt, die meine Eitelkeiten pflegten. Leute, die mir sagten, was meine Eitelkeit hören wollte. Doch diese Freunde waren selbst eitel und im Austausch musste ich ihnen geben, was ihre Eitelkeit hören wollte.

Wir waren wie voneinander abhängig.

Doch dann wurde ich der Eitelkeit überdrüssig. Ich bemerkte die Energie, die es kostet, die Eitelkeit zu pflegen und wie es mich abhielt, mutig zu sein. Zu sagen, was man denkt, zu tuen, was man fühlt. Denn was könnten die anderen denken? Wer eitel ist, hat in Wirklichkeit Angst, von den anderen als das gesehen zu werden, was man selbst befürchtet zu sein: Nichts. Staub der Geschichte. Unbedeutend. Nicht der Rede wert.

Dann habe ich erkannt, dass ich genau das bin: Nichts, unbedeutend, nicht der Rede wert. Und plötzlich konnte ich sagen, was ich denke, tuen was ich fühle. Und es war ganz einfach und es wurde immer einfacher, denn ich musste nicht mehr darauf achten, was die Anderen denken, wie die Anderen mich sehen.

Eine Zeit lang habe ich noch die Eitelkeit meiner Freunde gefüttert. Bis ich spürte, wie viel Energie mir das nahm. Statt für meine Gedanken habe ich für ihre Gedanken gearbeitet. Eitle Gedanken, hohle Gedanken die zu nichts anderem gut waren, als Eitelkeit zu befördern.

Es tut weh, mit Freunden zu brechen. Und es macht Angst. Denn jenseits der Eitelkeit ist da auch die Sorge, alleine zu sein. Der Bruch kam abrupt. Denn die Freunde bekamen schon eine Weile nicht mehr das, was sie brauchten. Und so verlor ich viele Freunde auf einmal.

Und das war gut. Ich verlor nicht alle Freunde. Ein paar wenige blieben. Es blieben die, die nicht aus Eitelkeit mit mir befreundet waren. Und ich lernte, dass ich gar keine eitlen Freunde will. Eitle Freunde sind Zeit- und Energieverschwendung. Was man von eitlen Freunden bekommt glitzert, doch es ist schal und in Wahrheit nichts wert. Nichts, was man will und nichts, wofür man Energie aufwenden sollte.

Und ich habe gelernt. Lieber als eitle Freunde habe ich gar keine Freunde. Lieber als eitel zu sein bin ich nichts, unbedeutend, nicht der Rede wert.

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