LATK#3 – Bilder und Realitäten (GER)

LIFE ACCORDING TO KORSAKOW #3
Bilder und Realitäten

Episode 3 is in German.

Menschen lieben es, Geschichten zu hören und zu erzählen. Doch es ist viel mehr als nur ein Vergnügen, es ist die Grundlage des Mensch seins selbst. Menschen erzählen sich Geschichten und das unterscheidet sie von allen anderen Lebewesen. Menschen haben die Fähigkeit entwickelt zu erzählen, dadurch können sie Erfahrungen weitergeben, so dass das, was ein Mensch gelernt hat, nicht verloren sein muss, wenn er stirbt. Er kann seine Erkenntnisse – zumindest ein Stück davon – weitergeben. Und der, der empfängt, kann von Erfahrungen profitieren, auch wenn er sie selbst nie gemacht hat.

Aus zwei weiteren Gründen erzählen die Menschen Geschichten:
Indem die Menschen miteinander reden, justieren sie ihre Sinne. Sie können überprüfen, ob das, was ihre Augen zeigen, was ihre Ohren hören, mit dem übereinstimmt, was andere wahrnehmen. Und wenn sie sich ein Mensch erzählen läßt, was ein anderer sieht, kann er damit seine Sinne erweitern. Er kann Dinge wahrnehmen, die viel zu weit weg sind um sie selbst zu hören, zu sehen, zu riechen oder zu fühlen.

Der Austausch erfolgt in Worten, in Sätze gepackt und oft mit Bildern in Geschichten zu Paketen geschnürt. Geschichten können verschiedene Formen haben. Wie die Pakete, die man mit Post verschickt, in Normgrößen eingeteilt sind. Die Größe der Pakete und die Art, wie sie gepackt sind, geben vor, was sich darin transportieren läßt. Von einem Hirn ins andere.

Geschichten können eine Reihe von Sturkturen haben und diese Strukturen eignet sich, eine Vielzahl von Dingen auszudrücken. Doch manchmal versagen die bekannten Strukturen, nicht alles läßt sich in Worten sagen. Diese Lücken des Erzählers gilt es zu erforschen.

Life according to Korsakow untersucht in einer Reihe von Podcasts diese Lücken des Erzählens. Jasper Eikmeier im Gespräch mit Florian Thalhofer, dem Erfinder des Korsakow Systems, einer Software mit der sich auf eine neue Art Geschichten bauen lassen.

Life according to Korsakow – über die Grenzen des Erzählens.

Mit Musik von Jim Avignon / Neoangin.

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Kunst ist nicht Design

Die Frage, was Kunst und was Design ist, hat mich früher oft irritiert. Dabei ist es eigentlich ganz einfach.

DESIGN

Beim Design geht es um die Kommunikation eines Auftraggebers mit dem Publikum. Der Auftraggeber einer Werbung für Turnschuhe, beispielsweise, möchte dem Publikum vermitteln, dass es bestimmten Schuhen Wertschätzung entgegenbringen soll. Das Design der Werbung, zusammen mit dem Design des Produkts, soll erreichen, dass das Publikum diese Schuhe kauft, oder die Trägern dieser Schuhe beneidet.

Oder: der Auftraggeber für die Beschilderung eines Flughafens möchte, dass das Publikum sich auf dem Flughafen nicht verloren vorkommt. Gutes Design ist konzentriert und effektiv. Das beste Design ist das, was sein Ziel so effektiv wie möglich erreicht. Wenn also das Ziel eines Turnschuhherstellers ist, seine Produkte als cool und jugendlich darzustellen, dann ist das Design das beste, dass dieses Ziel am direktesten erreicht. Wenn der Betreiber eines Flughafens die Flugpassagiere auf haarsträubenden Umwegen (und an möglichst vielen Flughafenshops vorbei) zu ihrem Flugsteigen leiten möchte, ohne das sich die Passagiere verwirrt oder veräppelt vorkommen, dann ist das Design das beste, das eben dieses Ziel erreicht. Im Falle des Flughafens ist also das beste Design nicht das, was die Passagiere am schnellsten zum Ziel bring. Das wäre aus Sicht der Passagiere sicherlich wünschenswert, deckt sich aber oft nicht mit den Interessen des Flughafenbetreibers und der ist es, der die Beschilderung in Auftrag gibt.

Design dient dem Auftraggeber.

Der Designer stellt sich in dessen Dienst.

Das beste Design ist das, was das Ziel des Auftraggebers am effektivsten erfüllt.

KUNST

Ziel von Kunst ist es, das Publikum zu inspirieren. Es zum Denken anzuregen. Nicht das Publikum als ganzes, sonder jedes einzelne Individuum (wenn es sich darauf einlassen möchte, oder kann). Es geht in der Kunst nicht darum, vorzugeben, was der Betrachter denken sollen (das wäre Design) sondern einen ergebnisoffenen Denkprozess anzuregen. Es gibt Gemeinsamkeiten: Kunst und Design streben nach der effektivsten Form der Kommunikation und arbeiten meist mit den gleichen Materialien. Doch es gibt Unterschiede: Design möchte so effektiv wie möglich ein vorgegebenes Ziel erreichen, Kunst darf kein konkretes Ziel haben und strebt allgemein Inspiration an. Bei dem Design ist da, was im Kopf des Betrachters vorgehen soll eng umrissen, bei der Kunst ist der Bereich dessen, was im Kopf des Betrachters vorgehen kann, viel, viel weiter.

Kunst hat kein vorgegebenes Ziel sondern möchte so effektiv wie möglich inspirieren.
Auch Kunst arbeitet mit den Mitten der Kommunikation. Es geht um die Kommunikation mit dem Publikum. Man könnte nun meinen, es geht um die Kommunikation des Künstlers mit dem Publikum. Doch darum geht es nicht. Ginge es darum könnte man sagen, der Künstler definiert das Ziel und beauftragt dann einen Designer der die effektivste Form findet, um eben dieses Ziel zu erreichen. Der Künstler würde also Auftraggeber des Designers und dies eventuell in Personalunion(*). Der Künstler ist demnach nicht derjenige, der mit dem Publikum kommuniziert, da er sonst lediglich in die Rolle des Auftraggebers in einem Designprozess tritt.

Wer oder was ist es dann, der mit dem Publikum in Kommunikation tritt?

Es ist die Kunst selbst. Also das Werk (es kann ein Bild sein, ein Musikstück, ein Text, ein Tanz). Es geht nicht um den Künstler. Das Werk muss für sich selbst stehen können. Es muss die Kraft haben, die ein Kunstwerk ausmacht: Die Kraft, den Betrachter zu inspirieren.

Kunst unterwirft sich nicht dem Ziel eines Auftraggebers. Kunst geht über das hinaus, was der Künstler ist oder denkt. Kunst inspiriert (zu freier Assoziation). Design animiert (zum Kauf, zum Spende, zum sich gut fühlen, zum Orangen auspressen (**)).

Bei beidem geht es um Kommunikation mit einem Publikum.

Bei beidem, Design und Kunst gilt, dass die Kommunikation so effektiv wie möglich sein muss. Bei beidem ist ein Qualitätsmerkmal: Kein Firlefanz, keine Ablenkung vom Eigentlichen.

(*) Sicherlich wird heutzutage vieles, was als Kunst verkauft wird nach diesem Muster produziert. Diese Kunst arbeitet in dem Bereich, in dem sich Design und Kunst überlappen, es lässt sich vortrefflich darüber streiten, ob es sich um Kunst oder Design handelt. (Und so lange diese Diskussion als hinreichend inspirierend empfunden wird, ist es wohl Kunst).

(**) Zb. beim Produktdesign.

Modernes Leben

Über den studentischen Emailverteiler der Universität der Künste, Berlin werden immer wieder Ateliers, WGs oder Wohnungen angeboten oder gesucht. Ich lese die Beschreibung einer WG mit angeschlossenem Atelier. Fünf Menschen leben und arbeiten zusammen in einer alten Fabriketage. Ein Zimmer ist frei. 400 Euro inkl. DSL und Nebenkosten. Das Zimmer hat 16 qm, plus Gemeinschaftsküche und Gemeinschaftsatelier. Wohnen und arbeiten für Architekten und Designer. Es ist ein Bild abgehängt. Zu sehen: ein karger Raum mit Tischen auf denen silberne Laptops stehen.

Sweatshop denke ich.

Die Singer-Nähmaschine von gestern ist das Macbook Air von heute.

Die Welt ist eine Wolke

Vor kurzem ist mir eingefallen, wie die Welt funktioniert. Es ist ganz einfach: Die Welt ist eine Wolke.

Bild: Jim Avignon

Die Welt ist eine Wolke, und um die Wolke herum ist nichts. Das Nichts ist schwarz. Doch das Nichts ist nicht nur nichts, es ist gleichzeitig alles. Das Nichts ist der unendliche See aller Möglichkeiten.

So wie eine Wolke am Himmel aus Wasser-Molekülen besteht, besteht die Wolke, die die Welt ist, aus Menschen. Es gibt eine Kraft, die die Moleküle beisammen hält, die verhindert, dass sie in alle Richtungen auseinander streben und sich im Nichts verlieren. Diese Kraft ist eine Art Klebstoff, der die Menschen beisammen hält. Der Klebstoff heißt Kommunikation. Die Menschen reden miteinander. Ununterbrochen und über nur ein Thema: Es geht um die Frage, was die Welt ist.

Die Welt ist die Wolke. Und die Wolke ist das, was alle Menschen miteinander verbindet. Teil der Wolke ist jeder Mensch, solange er nur in Verbindung zu mindestens einem anderen Menschen steht, der seinerseits Verbindung zur Wolke hat. Menschen, die ihren Kontakt zur Wolke verlieren, driften ins Nichts ab. Sie verlieren ihren Kontakt zur Welt. Sie sind verrückt, verrückt gegenüber der Welt.

Die meisten Menschen sind auf allen Seiten von anderen Menschen umgeben. Wie viele es sind, bestimmt die Dichte der Wolke an dieser Stelle. Neue Ideen entstehen am Rande der Wolke. Ideen, Erfindungen und Entdeckungen, die die Welt verändern.

Was passiert, wenn ein Mensch am Rande der Wolke einen Bewegung nach draußen macht? Ein kleines Stück, gerade so weit, dass er die Verbindung zur Wolke nicht verliert… Sie wird etwas entdecken, was es bisher noch nicht gab, etwas, das außerhalb der Wolke, außerhalb des Bewusstseins der Welt liegt. “Hey!” wird sie rufen “seht, was ich entdeckt habe!” Und wenn der Pionier andere überzeugen kann, nach sich ziehen kann, dann passiert etwas interessantes: Die Wolke verändert ihre Form. Die Welt verändert sich ein Stück und das, was gerade noch außerhalb der Welt lag ist plötzlich Teil von ihr.

Ständig entstehen neue Ideen. Ununterbrochen fliegen auf allen Seiten der Wolke Moleküle aus ihr heraus, doch nur die wenigsten schaffen es, andere Moleküle mitzureissen. Die meisten verlieren sich im Nichts, oder stürzen nach einem kurzen Ausflug wieder in die Welt zurück, ohne die Form der Wolke an dieser Stelle dauerhaft zu verändern.

Manchmal stellt die Welt auch fest, dass vor ihr schon jemand da war. Vincent van Gogh zum Beispiel. Ein besonders verrücktes Exemplar Molekül, ein Maler, der zu seinen Lebzeiten nie ein Bild verkaufte. Von Drogen wirr im Kopf, schnitt er sich ein Ohr ab. Ein Verrückter, kein Zweifel. Doch die Wolke hat sich in seine Richtung bewegt. Zufällig vielleicht, wer könnte das sagen? Die Welt hat sich verändert, hat seine Bilder entdeckt und plötzlich war Vincent van Gogh nicht mehr verrückt. Er war ein Genie, der Welt voraus.

Die Wolke ist in ständiger Veränderung begriffen. Zu keinem Zeitpunkt ist sie genau gleich. Doch sie verändert sich langsam, und sie hat ihre Zentren. Religionen sind solche Zentren zum Beispiel, oder politische Systeme. Und die Wolke hat viele Zentren. Die Zentren wirken wie innere Schwerpunkte, die bewirken, dass sich die Wolke nicht zu schnell bewegt.

Die Wolke breitet sich nicht nur aus, sie verschwindet auch aus Bereichen in denen sie schon war und überlässt diese wieder dem Nichts. Das Wissen und das Weltbild der Ägypter zum Beispiel. Wir sehen ihre Pyramiden, doch es bleibt uns völlig verschlossen, wie ihre Welt ausgesehen hat. Man kann sich aus unserer Welt heraus ein Bild davon machen. Verstehen kann man es nicht. Und das Bild ist geprägt von dem, was die Welt jetzt ist.

Sophie, einer Freundin von mir, hat eine Beobachtung gemacht. Merkwürdig, hat sie gesagt, dass man einem Film von 1950, der im Jahr 1850 spielen soll, viel eher das Jahr 1950 ansieht, als das Jahr, in dem es in dem Film geht; auch wenn man sich 1950 alle Mühe gegeben hat, die Zeit um das Jahr 1850 so authentisch wie möglich darzustellen. Ein historischer Film 20 Jahre später gedreht, würde ganz anders aussehen, und auch in ihm könnte man seine Entstehungszeit sofort ansehen. Offensichtlich ändert sich das Bild von dem was man sich von der Vergangenheit vorstellt, mit der Zeit.

Die Welt ist eine Wolke, die sich in ständiger Veränderung befindet. Man kann sie nicht begreifen, denn man kann, solange man Teil der Welt ist, nicht von der Seite auf sie blicken um ihre Form zu verstehen. Man könnte theoretisch alle Moleküle der Wolke untersuchen. Das bedürfte allerdings viel Zeit. Zeit in der sich die Welt bereits wieder verändert. Man müsste die Welt also einfrieren, dann könnte man alle Moleküle in Ruhe einzeln betrachten um auf diese Weise die Welt zu verstehen. Doch auch das kann man nicht. Die ganze Welt ist viel, viel zu groß. Man kann versuchen kleine Ausschnitte einzufrieren und zu verstehen. Und das ist es, was wir machen, wenn wir Bilder aufnehmen, Texte schreiben, Töne sammeln. Wir versuchen, kleine Ausschnitte der Welt einzufrieren um sie zu verstehen.

The world is a cloud

Recently I figured out how the world works. It is very simple: The world is a cloud.

Image: Jim Avignon

The world is a cloud and around the cloud there is nothing. The Nothing is black. But the Nothing is not just nothing, simultaneously it is everything. The Nothing is the never-ending ocean of all possibilities.

Just like a cloud consists of water molecules, the cloud, which is the world, consists of people. There must be a force that keeps the molecules together, that prevents them from striving into different directions and from getting lost in Nothing. This force exists. It is a type of glue that keeps the human race together. This glue is called communication. People talk to each other. Non-stop and about one topic only: what is the world.

But the cloud is the world. And the cloud is that which connects all humans to each other. Each human being is part of this cloud, just as long as (s)he is in touch with at least one other human being, who is also connected to the cloud. Humans who lose their contact to the cloud drift into Nothing. They lose touch with the world. They are insane, insane to the world.

Most people are surrounded by other people. The density of the cloud at a particular spot is determined by the quantity of these people. New ideas develop at the edge of the cloud. Ideas, inventions, discoveries that change the world. What happens when a person at the edge of the cloud takes one step to the outside? A tiny bit, just big enough that (s)he will not lose the connection to the cloud. (S)he will discover something that has not existed before, something that exists outside the cloud, outside of the world’s consciousness. (S)he would call out “Hey! See what I have discovered!” And if the pioneer manages to convince others, can make them follow her, then something interesting is about to occur: The cloud will change its shape. The cloud changes just one bit and what was external a moment ago is now internal.

New ideas come about constantly. Molecules fly beyond the cloud’s borders non-stop, but only few manage to engage other molecules. Most of them get lost in the Nothing, or fall back to the world after a short excursion, without permanently altering the cloud’s shape at that spot.

The world will sometimes notice that someone had been there before it. For example, Vincent van Gogh. A particularly crazy molecular specimen; a painter who didn’t sell a single painting during his lifetime. Driven mad by drugs he cut off his own ear. An insane man, no doubt about it. But the cloud did move in his direction. Coincidentally perhaps, no one can tell. The world has changed, has discovered his paintings, and suddenly Vincent van Gogh was no longer insane. He was a genius, ahead of the world.

The cloud is constantly changing. It is never the same at any two moments. But the change occurs slowly, and the world has its centers. Religions are such centers, for example, or political systems. And the cloud has many centers. These centers have the effect of an inner center of gravity, making sure that the world does not move too fast. The cloud doesn’t just grow, it also disappears in areas where it had existed before and leaves these areas to the Nothing. For example, the Egyptians’ knowledge and view of the world. We see their pyramids, and yet we cannot grasp what their world must have looked like. From our world of view we can imagine it, but we cannot comprehend it. And our imagination is affected by the current state of the world.

A friend of mine, Sophie, noticed this, too. She said, ‘It is strange, when you watch a movie from the 1950s set in the 1850s, you see the 1950s much more than the year in which it is supposed to take place. Even if in 1950 they tried their best to re-create the year 1850 as authentically as possible. A historical movie that was filmed only 20 years later would look entirely differently, but again it would reflect its date of origin. Obviously the way we view the past changes over time.

The world is a cloud that is constantly changing. One cannot fully grasp it, because as long as one is part of this world one cannot view its exterior to understand its shape. Theoretically you could examine all of the cloud’s molecules. However, this would require a lot of time. Time during which the world would change again. One would have to freeze the world to watch the molecules in peace in order to understand the world this way. But that is not possible either. The whole world is much, much too large. One could try to freeze and understand smaller sections. And this is what we are doing when we take pictures, write text, make recordings. We are trying to freeze small sections of the world in order to understand it.

Translation by Anja Tachler.