Ball in der Luft

Fasziniert betrachte ich das Fußballspiel. Nein. Fasziniert betrachte ich die Betrachter des Fußballspiels. Ich bin in einem Fernsehsender (da arbeite ich manchmal). Und die, die das Fernsehen machen, schauen kollektiv Fern. Die Nachrichtenredaktion jubelt und stöhnt, die Sportredaktion im Nebenzimmer tippt konzentriert Texte in die Computer.

Ich habe immer wieder versucht, die Faszination dieses Spiels zu verstehen, aber es bleiben 22 junge Männer, die einem Ball hinterherlaufen. Es beeindrucken mich die Bilder: fliegende Kameras, Zeitlupen, Steadyshots. Noch beeindruckender finde ich die Fotos, die permanent über die Bildagenturen einlaufen. Es sind an diesem Abend sehr viele, sehr gute Fotografen unterwegs, die dieses Fußballspiel und die Emotionen, die es auslöst, einfangen. Es ist ein bedeutendes Fußballspiel. Fotografen im Stadion, Fotografen auf den Straßen, Fotografen in den Kneipen. Permanent ein Strom von Bildern, viele wunderbar wie Gemälde – ein Junge, die Hände zum Gebet gefaltet, den Blick voll Trauer und Hoffnung nach oben gewandt.

Es sind moderne Digitalkameras die in ihrer Geschwindigkeit und Lichtstärke Blicke ermöglichen, wie sie bis vor kurzem nur in inszenierten Fotos möglich waren. Wunderbar ausgeleuchtete Bilder von Fußballspielern, die in der Luft um den Ball kämpfen, eingefroren zu Plastiken skurriler Schönheit.

Und so klingt es wenig später im Fernsehen:

“Nun haben es die Bayern also vollbracht: Sie sind ChampionsLeague-Sieger 2013. In einem spannenden deutschen Finale besiegten sie Borussia Dortmund mit 2:1”

Geschichte vom Geschichtenerzählen

Wie sehr Geschichte vom Geschichtenerzählen geprägt ist, darüber könnte ich mich auch immer furchtbar aufregen. Wie dumm von uns, das, was wir aus der Vergangenheit lernen könnten, in ein Korsett zu pressen, das das Geschehene derart verfälscht! – Das Korsett des Story-telling (weithin als Werkzeug betrachtet, Geschichte erfahrbar zu machen) hat ja seine ganz eigenen (und in Hinblick auf Geschichte willkürlichen) Regeln.

We dumb ourselves down!

(aus einer Email an H-P-H)

Eitelkeit

Thessaloniki, 31. Mai 2012

Viel zu lange war ich eitel. Ich war unsicher und es war mir wichtig, wie andere mich sehen. Ich habe Freunde um mich versammelt, die meine Eitelkeiten pflegten. Leute, die mir sagten, was meine Eitelkeit hören wollte. Doch diese Freunde waren selbst eitel und im Austausch musste ich ihnen geben, was ihre Eitelkeit hören wollte.

Wir waren wie voneinander abhängig.

Doch dann wurde ich der Eitelkeit überdrüssig. Ich bemerkte die Energie, die es kostet, die Eitelkeit zu pflegen und wie es mich abhielt, mutig zu sein. Zu sagen, was man denkt, zu tuen, was man fühlt. Denn was könnten die anderen denken? Wer eitel ist, hat in Wirklichkeit Angst, von den anderen als das gesehen zu werden, was man selbst befürchtet zu sein: Nichts. Staub der Geschichte. Unbedeutend. Nicht der Rede wert.

Dann habe ich erkannt, dass ich genau das bin: Nichts, unbedeutend, nicht der Rede wert. Und plötzlich konnte ich sagen, was ich denke, tuen was ich fühle. Und es war ganz einfach und es wurde immer einfacher, denn ich musste nicht mehr darauf achten, was die Anderen denken, wie die Anderen mich sehen.

Eine Zeit lang habe ich noch die Eitelkeit meiner Freunde gefüttert. Bis ich spürte, wie viel Energie mir das nahm. Statt für meine Gedanken habe ich für ihre Gedanken gearbeitet. Eitle Gedanken, hohle Gedanken die zu nichts anderem gut waren, als Eitelkeit zu befördern.

Es tut weh, mit Freunden zu brechen. Und es macht Angst. Denn jenseits der Eitelkeit ist da auch die Sorge, alleine zu sein. Der Bruch kam abrupt. Denn die Freunde bekamen schon eine Weile nicht mehr das, was sie brauchten. Und so verlor ich viele Freunde auf einmal.

Und das war gut. Ich verlor nicht alle Freunde. Ein paar wenige blieben. Es blieben die, die nicht aus Eitelkeit mit mir befreundet waren. Und ich lernte, dass ich gar keine eitlen Freunde will. Eitle Freunde sind Zeit- und Energieverschwendung. Was man von eitlen Freunden bekommt glitzert, doch es ist schal und in Wahrheit nichts wert. Nichts, was man will und nichts, wofür man Energie aufwenden sollte.

Und ich habe gelernt. Lieber als eitle Freunde habe ich gar keine Freunde. Lieber als eitel zu sein bin ich nichts, unbedeutend, nicht der Rede wert.

Über das Lachen

Berlin, 18. April 2013

Die Leute lachen. Wenn sie etwas zuerst nicht verstehen. Und dann doch. Aber anders, als sie es zuerst verstanden haben. Wenn die vermutete Realität nicht passt und dann von der neuen Realität überlagert wird. Wenn die neue Realität “einklickt”. Das ist der Moment.

Leute lachen, wenn andere Leute da sind. Zumindest lachen sie dann leichter. Vielleicht statt zu sagen: “Oh, ich bin jetzt wieder in der Realität angekommen – ich war einen Moment abgelenkt.” Lachen als Entschuldigung.

Manchmal ist es ein Wettrennen. Wer als erster lacht, ist als erster angekommen. Und damit die anderen davon mitbekommen, macht der Sieger mit dem Lachen auf sich aufmerksam. Und die anderen lachen dann auch. Oder auch nicht. Wenn nicht, dann hat sich der vorschnelle Lacher blamiert. Oder gezeigt, dass er verrückt ist. Verrückt gegenüber der Realität. Dann ist der vorschnelle Lacher kein Sieger, sondern ein Spinner.

Was Realität ist, bestimmen die anderen.

Mitdenken

27. März, Thessaloniki

Nach der Korsakow-Show im Olympion, dem schönsten und größten Kino im Thessaloniki, gehen wir mit ein paar Freunden und Beteiligten Essen. Ich frage Olga Drossou, die Chefin der lokalen Dependance der Heinrich-Böll-Stiftung, wie ihr die Veranstaltung gefallen hat. Sie antwortet:

“Ach, es war schrecklich!” nichts, was nicht schon tausend Mal gesagt worden sei. Wenn man das Fernsehen anmachen würde, das Radio, auf allen Kanälen werde über die Krise diskutiert, alle Zeitungen schrieben darüber, seit mehr als zwei Jahren ginge das so, sie könne es nicht mehr hören. Der Abend hätte keine weiteren Erkenntnisse gebracht, eine sinnlose Veranstaltung!

Fast ummittelbar darauf, wendet sich Athi Wiedemayer an mich – sie ist griechische Deutschübersetzterin und unterrichtet an der Uni. Sie hat ihre Studenten in die Veranstaltung geschickt und bedankt sich überschwänglich. Sie hätte nicht gewusst, was das Publikum an diesem Abend erwarten würde und war in Sorge, wie es ihren Studenten gefiele. Die seinen begeistert gewesen, hätten nach der Veranstaltung vor dem Kino gestanden und noch lange diskutiert. Mehrere Studenten seinen zu ihr gekommen und hätten sich bedankt. Sie solle ihnen unbedingt Bescheid geben, wenn wieder so etwas stattfinden würde!

Olga Drossou hat recht. Es ist an diesem Abend nichts neues gesagt worden. Doch die Wirtschaftskrise in Griechenland stellt das Lebenskonzept der meisten Menschen in Frage. Das löste ein Trauma aus und was sollte helfen, mit diesem Trauma umzugehen, als darüber zu sprechen?

Für mich ist spannend zu sehen, dass die jungen Leute begeistert waren. Sie sind es, die die Karre aus dem Dreck ziehen müssen. Auf die jungen kommt es an, diejenigen, die in der Lage sind, mit einem neuen “Mentality” (wie es Charis, einer der Protagonisten in GELD.GR ausdrückt) in die Zukunft zu gehen, denn die alten Strukturen tragen nicht mehr.

Theoretisch ist alles längst besprochen, alles betrachtet, alles gesagt. Frau Drossou (die ich, nicht nur für Ihre Direktheit sehr schätze) hat wohl begriffen, wo die Probleme liegen, wenn nun noch das Volk begreifen würde…

Die Jugend scheint niemand zu fragen. Es wird über ihre Köpfe hinweg diskutiert. Korsakow bringt die Zuschauer mit auf die Bühne. Jedes einzelne Hirn ist gefragt. Ein kleiner Laserpointer in der Hand, ein wenig mehr Mitsprache, die Kanäle offen für die Gedanken des Publikums.

Die jungen Menschen haben es dankbar angenommen. Die Möglichkeit, dass mit ihnen diskutiert wird. Auf hohem Niveau. Und nicht über ihre Köpfe hinweg.

Next page