Geschichte vom Geschichtenerzählen

Wie sehr Geschichte vom Geschichtenerzählen geprägt ist, darüber könnte ich mich auch immer furchtbar aufregen. Wie dumm von uns, das, was wir aus der Vergangenheit lernen könnten, in ein Korsett zu pressen, das das Geschehene derart verfälscht! – Das Korsett des Story-telling (weithin als Werkzeug betrachtet, Geschichte erfahrbar zu machen) hat ja seine ganz eigenen (und in Hinblick auf Geschichte willkürlichen) Regeln.

We dumb ourselves down!

(aus einer Email an H-P-H)

Linear vs. nonlinerar storytelling

Facebook-comment by Michale Hohl and my reply:

Original comment by Michael:

Just a footnote to western causal thinking, Korsakow system and non-lineal storytelling. “Leviathan is a documentary horror film painted in expressive primary colours on a black canvas.” Horror is a genre. apparently documentary is a genre too.What would a non-lineal, second-order constructivist, documentary be like?In an 8 Min lineal, western-causal documentary its possible to explain in depth the background of ocean acidification (see link below from day before). The author tells a story, develops an argument and provides evidence. We understand (as intended). It makes sense and is adequate use of media to choose this format to convince people.Now what would a second-order, non-lineal documentary look like? Is there a story? Does the author convince? How do we create meaning? Even the raw data, the interview questions, would have to be different, wouldn’t they? Or would it be possible to simply re-edit a traditional film?

Matt Soar pointed me to your interesting questions, he thinks I might have helpful thoughts on that. I will give it a try. I start from the end:

Or would it be possible to simply re-edit a traditional film?

No, you might want to use the same raw material (I like the term data!), but the material that is used in the end of the process of making a linear film is usually already that much structured and loaded with opinion, that any “open narrative” would look stupid in comparison (we tried that a lot in student projects in the beginning of Korsakow).
Editing a linear film, authors should better cut away everything that does not serve their narration. “Kill your darlings!” – “Cut away the useless stuff!” But who decides what is useless? – “The author” you might answer, but I argue: it is the Story! – The author knows what he likes (his darlings) the Story tells him to kill them, if they don’t fit – the story.

In an 8 Min lineal, western-causal documentary it is possible to explain in depth the background […]. The author tells a story, develops an argument and provides evidence. We understand (as intended). It makes sense and is adequate use of media to choose this format to convince people.

Yes! This is the power and the beauty of linear filmmaking. The author has researched a topic and thought about it carefully and then builds it into a film that effectively and convincingly transports his conclusion. Wonderful!

My personal experience being a (one time) linear filmmaker: I researched and thought long and carefully but I did not get to one conclusion. Patterns evolve. Meaningful and hopefully helpful thoughts. But nothing that I would like to squeeze into a conclusion. Nothing that I want to put in concrete for the next 100 million years. Not even for the next 10 years!

Entering a diner with Matt Soar and David Reisch on the way back from our Korsakow-retreat in Ontario, last week, we talked about dinosaurs: “Isn’t it funny?” I asked, “Dinosaurs will look different in the future.” The way dinosaurs (or the imagination that we have of them) changed over the past. Dinosaurs looked different before there was plastic to model them and they look different as we have 3d animation; scientists come up with new scientific evidence all the time. The skeleton stays the same, the way we envision it, changes. Same goes for ancient cultures, or telephones or anything. Anything you can imagine. Do a thought-experiment. What stayed the same over 10 years, 100 years, 1000 years?

What I feel I can do, as a documentary maker, is to collect evidence, think carefully about it and also state my (hopefully helpful) thoughts. I am the author and I decide what my darlings are and I narrow down the raw-data to a point where it is effectively consumable. I do everything that an author of linear films does, just not the last step: I don’t put it into one argument or story.

Why? Because I realized that Stories allow certain arguments and others not. I don’t want to explaining that here, but in a nutshell: Stories like extremes. And I personal don’t like extremes ( maybe because I myself am so normal ;-) ).

I know I don’t speak for all nonlinear documenter or webdoccers, there seems to be currently a strong tendency in using nonlinear (better multilinear) storytelling for telling Stories that make a point, that try to convince people, that raise awareness (against windmills). ( Funny, I just wrote the last line, looked up and out of the window – I am in a train – what did I see? Windmills! ).
I really hope this stupidity is soon over and we can enter into the (flexible) world beyond the linear story.

Again: Linear film is cool and will be. But there is more, that can be explored!

Über das Lachen

Berlin, 18. April 2013

Die Leute lachen. Wenn sie etwas zuerst nicht verstehen. Und dann doch. Aber anders, als sie es zuerst verstanden haben. Wenn die vermutete Realität nicht passt und dann von der neuen Realität überlagert wird. Wenn die neue Realität “einklickt”. Das ist der Moment.

Leute lachen, wenn andere Leute da sind. Zumindest lachen sie dann leichter. Vielleicht statt zu sagen: “Oh, ich bin jetzt wieder in der Realität angekommen – ich war einen Moment abgelenkt.” Lachen als Entschuldigung.

Manchmal ist es ein Wettrennen. Wer als erster lacht, ist als erster angekommen. Und damit die anderen davon mitbekommen, macht der Sieger mit dem Lachen auf sich aufmerksam. Und die anderen lachen dann auch. Oder auch nicht. Wenn nicht, dann hat sich der vorschnelle Lacher blamiert. Oder gezeigt, dass er verrückt ist. Verrückt gegenüber der Realität. Dann ist der vorschnelle Lacher kein Sieger, sondern ein Spinner.

Was Realität ist, bestimmen die anderen.

Kunstfilm vs. Dokumentarfilm

EMAIL-KONVERSATION MIT MICHAEL HOHL:

**Was ist der Unterschied von Kunst-Film zu Dokumentarfilm? Im Dokumentarfilm wird der Anspruch erhoben ‘eine’ objektive Realitaet zu zeigen. Im Kunstfilm wird ganz bewusst der Anspruch erhoben die subjektive Realitaet des Kuenstlers zu zeigen.
Wir beide wissen aber das da kein grosser Unterschied ist, ausser das eben jeweils ein Anspruch erhoben wird. Der Dokumentarfilm hat Fakten. Der Kunstfilm hat …. (was?).**

Ich kenne den Begriff ‘Kunstfilm’ als solchen nicht. Aber ich glaube, wir wissen was gemeint ist.

Du hast Recht, Film ist Film, da ist nicht viel Unterschied. Es ist die Haltung die den Unterschied macht. Zu sagen “ich sehe” vs. zu behaupten “es ist”.

Ich glaube sogar, dass man, für die (moderne) Kunst als solche sprechen kann, wenn man sagt: Sie bekennt sich zur Subjektivität und kann damit radikalere und im besten Fall ‘klarere’ Blickwinken erschliessen. Im schlechten Fall (& vermutlich meistens) sind die Erkenntnisse belanglos und banal. Das ist der Preis.

Beim Dokumentarfilm schneidet man alles raus, was nur nach ‘belanglos’ riecht. In der Hoffnung, dass das Relevante übrig bleibt. Doch was ist ‘relevant’ oder ‘belanglos’? – Das wird erst die Zeit zeigen. Der Preis ist, dass man in der Beurteilung von dem was ‘belanglos’ und was ‘wichtig’ ist, völlig in dem Denken der Zeit (der Entstehung des Films) gefangen ist. Daher driften die Dokumentarfilme (Filme) mit der Zeit aus der Zeit, gelungenen Kunst(filmen) passiert das viel weniger.

**Vielleicht ist ja Korskow auch wieder nur eine subjektive methode des Dokumentarfilms und wir koennen garnicht ‘raus’ aus dem subjektiven Autorendasein? (Ausser wir machen filme mit wahllos ausgewaehlten videos von Überwachungskameras).**

Korsakow ist subjektiv! Es kann auch gar keine Objektivität geben. Was sollte das sein? Das Auge Gottes? Wir können uns selbst und das was uns umgibt nur aus unseren Augen sehen.

**Dann ist da noch die Frage:
Wo wollen wir hin?**

Weitere Formen zu finden und zu erforschen, mit denen wir die Welt sehen und diskutieren können.

**Was ist der Anspruch?**

Wir wollen das Wissen um die Welt die uns umgibt erweitern.

**Was macht das neue Format anders obwohl es wie das alte wahrgenommen werden kann?**

Film vs. Korsakow-film?

Film kommuniziert lineare Kausalität. Korsakow kommuniziert mannigfaltige Bezüge.

**Warum brauchen wir neue Erzaehlweisen?**

Zur Erweiterung unseres Toolsets.

**Was ist da anders beim Kunstfilm? Wie kann man das nutzen? Vielleicht machen die das ja schon lange, aber eben nur linear als ungewolltes resultat technischer Grenzen?**

Kunstfilm beschäftigt sich schon lange mit dem Problem, dass linearerer Film eine immanente Wahrheit gebiert (Objektivität behauptet). Kunstfilm arbeitet somit gegen die Form des Films an. Der Ansatz ist gut: Die Subjektivität des Blinkwinkels nicht verschleiern zu wollen, aber Kunstfilm scheitert (meist) an der Form des linearen.

Korsakow behauptet (aus der Form heraus) Subjektivität. Damit kann der Betrachter nach einem subjektiven oder objektiven Betrachtungswinken streben, er kann beides mischen, ohne Gefahr zu laufen “objektiv sein zu wollen”, und damit im gleichen Umfang aus der Zeit zu laufen, wie der lineare Film.

Film generiert Aussagen. Korsakow generiert Fragen.

Kunstfilm versucht Film zu benutzen, Fragen zu generieren. Ich will gar nicht sagen, dass das immer scheitert. Es ist nur wahnsinnig mühselig, weil es so sehr gegen die Form ist.

Mitdenken

27. März, Thessaloniki

Nach der Korsakow-Show im Olympion, dem schönsten und größten Kino im Thessaloniki, gehen wir mit ein paar Freunden und Beteiligten Essen. Ich frage Olga Drossou, die Chefin der lokalen Dependance der Heinrich-Böll-Stiftung, wie ihr die Veranstaltung gefallen hat. Sie antwortet:

“Ach, es war schrecklich!” nichts, was nicht schon tausend Mal gesagt worden sei. Wenn man das Fernsehen anmachen würde, das Radio, auf allen Kanälen werde über die Krise diskutiert, alle Zeitungen schrieben darüber, seit mehr als zwei Jahren ginge das so, sie könne es nicht mehr hören. Der Abend hätte keine weiteren Erkenntnisse gebracht, eine sinnlose Veranstaltung!

Fast ummittelbar darauf, wendet sich Athi Wiedemayer an mich – sie ist griechische Deutschübersetzterin und unterrichtet an der Uni. Sie hat ihre Studenten in die Veranstaltung geschickt und bedankt sich überschwänglich. Sie hätte nicht gewusst, was das Publikum an diesem Abend erwarten würde und war in Sorge, wie es ihren Studenten gefiele. Die seinen begeistert gewesen, hätten nach der Veranstaltung vor dem Kino gestanden und noch lange diskutiert. Mehrere Studenten seinen zu ihr gekommen und hätten sich bedankt. Sie solle ihnen unbedingt Bescheid geben, wenn wieder so etwas stattfinden würde!

Olga Drossou hat recht. Es ist an diesem Abend nichts neues gesagt worden. Doch die Wirtschaftskrise in Griechenland stellt das Lebenskonzept der meisten Menschen in Frage. Das löste ein Trauma aus und was sollte helfen, mit diesem Trauma umzugehen, als darüber zu sprechen?

Für mich ist spannend zu sehen, dass die jungen Leute begeistert waren. Sie sind es, die die Karre aus dem Dreck ziehen müssen. Auf die jungen kommt es an, diejenigen, die in der Lage sind, mit einem neuen “Mentality” (wie es Charis, einer der Protagonisten in GELD.GR ausdrückt) in die Zukunft zu gehen, denn die alten Strukturen tragen nicht mehr.

Theoretisch ist alles längst besprochen, alles betrachtet, alles gesagt. Frau Drossou (die ich, nicht nur für Ihre Direktheit sehr schätze) hat wohl begriffen, wo die Probleme liegen, wenn nun noch das Volk begreifen würde…

Die Jugend scheint niemand zu fragen. Es wird über ihre Köpfe hinweg diskutiert. Korsakow bringt die Zuschauer mit auf die Bühne. Jedes einzelne Hirn ist gefragt. Ein kleiner Laserpointer in der Hand, ein wenig mehr Mitsprache, die Kanäle offen für die Gedanken des Publikums.

Die jungen Menschen haben es dankbar angenommen. Die Möglichkeit, dass mit ihnen diskutiert wird. Auf hohem Niveau. Und nicht über ihre Köpfe hinweg.

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