Spannende Geschichten sind Zeitverschwendung

Markus Reuter von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz hat mir einige Fragen gestellt. Dies geschah im Zuge einer Recherche für einen gemeinsamen Vortrag mit Dr. Katja Schupp zum Thema „Impact on the audience“. Ich hatte großen Spass, die Fragen zu beantworten und ich hoffe, sie können ein etwas anderes Licht auf die Frage werfen, wie man sein Publikum erreicht.

Markus Reuter     Bieten Webdokus besondere Möglichkeiten für eine Wirkung auf die Gesellschaft und/oder das Individuum und warum (nicht)?

Florian Thalhofer     Neue Arten des Erzählens ermöglichen es, Zusammenhänge neu sehen und denken zu können. Die alte Art – ergänzt um die neue Art – führt, wenn man es richtig macht, zu einer Erweiterung des Blicks. ‘Richtig machen’ bedeutet, dass man das Nichtlineare einsetzt um zu beobachten, das Lineare, um zu beurteilen/zu erklären. Wenn man das durcheinanderbringt entsteht Chaos. Genau das passiert zur Zeit  – man kann die Auswirkungen wunderbar beobachten.

Markus Reuter     Stellst Du Dir die Frage nach der Wirkung Deiner Webdokus, ist es für Dich eine wichtige Frage?

Florian Thalhofer     Ja, das ist eine sehr wichtige Frage und der Kern der Arbeit des Korsakow Instituts. Doch es geht dabei nicht um die kurzfristige Wirkung, die derartige Erzählweisen auf den Menschen haben (die Zuschauer finden die Geschichten spannend, unterhaltsam, klicken irgendwohin). Die Gesellschaft formend sind die langfristigen Auswirkungen, die verschiedene Arten der Narration auf das Denken haben.

Markus Reuter     Wie willst Du eine Wirkung in Deinem „Korsakow“-Format erreichen? Das ist gerade interessant, weil Du eben keine „Botschaften“-Webdokus machst, sondern den Zuschauer/innen einen möglichst großen Freiraum gibst.

Florian Thalhofer     Ich habe bemerkt, dass sich, durch die Übung mit Korsakow-filmen und anderen narrativen Formate, die eine ähnliche Wirkung haben, das Sehen und Denken, die Toleranz und das Verständnis erhöhen lässt. Diese Wirkung fasziniert mich, diese Wirkung zu verstehen bemühe ich mich.

Spannende, mitreissende Geschichten können diese Wirkung nicht erzeugen. Die gängigen Rezepte, nach denen derzeit Geschichten gestrickt werden, müssen von Grunde auf überdacht werden.

Markus Reuter     Ist es vielleicht erst einmal eine Frage danach, überhaupt ein Publikum zu erreichen und damit eine Frage nach der Distribution?

Florian Thalhofer     Wenn man die Frage, wie man am besten ein Publikum erreicht, an den Beginn der Arbeit stellt, wird diese Frage das Ergebnis formen. Ziel meiner erzählerischen Projekten ist es, relevante Werke zu schaffen. Die Frage nach dem Publikum ist nicht hilfreich, um dieses Ziel zu erreichen. Es scheint mir vielmehr offensichtlich, dass die gängigen Rezepte, Aufmerksamkeit zu steigern, direkt zu irrelevanten Arbeiten führen. Sich als Autor oder Publikum mit irrelevanten Arbeiten zu beschäftigen ist Zeitverschwendung.