Sowas kommt vor. Wohl hunderte Male bin ich in meinem Leben schon an liegengebliebenen Fahrzeugen auf der Autobahn vorbeigefahren, nun hat es mich auch erwischt. Es ist eine eher lustige Geschichte, ohne ernste Folgen und dennoch hat sie mich tief beschäftigt. Vom Vorfall selbst und dem, was ich daraus gelernt habe, möchte ich im Folgenden berichten.
Das Auto ist fast 20 Jahre alt. Und obwohl es, nach einer nicht unerheblichen Investition, vor wenigen Monaten eine neue TÜV-Plakette bekommen hat, ist mit dem Ableben des Autos jederzeit zu rechnen. Oder besser: ich rechne mit dem Ableben jederzeit. Es ist halt ein altes Auto.
Vor einigen Tagen war es dann vermeintlich so weit. Zusammen mit meiner Frau war ich an diesem wunderschönen Sommertag von Berlin aus, auf dem Weg nach Kiel, die Familie zu besuchen. Nach 2/3 des Weges stockte der Motor, ging aus und wieder an, eine Weile konnte ich noch langsam auf dem Standstreifen fahren, kurz vor der Anschlussstelle Schwarzenbek/Grande war dann Schluss. Das erste mal in meinem Leben stellte ich ein Warndreieck auf. Anruf bei der Notfallnummer meiner Versicherung, die Dame am Telefon fragt freundlich, ob mir auch nicht das Benzin ausgegangen sei. Ich verneine. Ein Abschleppwagen uns abzuholen, wird in Bewegung gesetzt, wir warten am Strassenrand. Meine Frau schickt eine SMS an meinen Schwiegervater. “Benzin ausgegangen, haha?” kommt es zurück. Vorsichtshalber steige ich ins Auto, schalte die Zündung an, die Nadel geht nach oben – Benzin ist drin.
Wir warten eine Stunde bis der Abschleppwagen kommt. Als ich den Fehler beschreibe – der Motor ging aus, ganz so als würde das Benzin ausgehen – schaut mich der Mechaniker mit seltsamem Blick an. Ich sitze neben ihm, als er die Zündung anmacht, gemeinsam schauen wir auf die Anzeige: Benzin ist drin!
Vermutlich ist der Katalysator durchgeschmort, vermutet der Fachmann, es rieche auch so komisch, ob wir das nicht bemerkt hätten? Und in der Tat, als wir aus Berlin herausfuhren, roch es plötzlich wie nach verbranntem Plastik, wir hatten uns kurz unterhalten, dann aber gedacht, dass es von einem anderen Auto käme. Das sei nur eine Vermutung, stellt der Mechaniker fest, endgültig könne man das erst in der Werkstatt sagen. Das Auto wird auf den Abschleppwagen gezogen und wir sitzen neben einem wortkargen Mann, der meine Frau, mein Auto und mich nach Mölln zur Fachwerkstatt verfrachtet. Es ist 8 Uhr Abends, die Werkstatt ist geschlossen, ich schreibe eine Notiz und werfe sie zusammen mit einem Schlüssel und den Fahrzeugpapieren in den Briefkasten des Autohauses. Die Versicherung kümmert sich derweil um ein Mietauto. Es wird uns von zwei Herren aus Hamburg gebracht. In der Zwischenzeit räumen wir alles, was Wert hat, aus dem Auto und machen Abschiedsfotos. Wenn der Schaden ein paar hundert Euro ist, werden wir uns wohl nie mehr wiedersehen. Über 100.000 Kilometer bin ich selbst in diesem Auto gefahren.
Die Herren, die das Mietauto gebrach haben, sind schon wieder fort. Wir haben alles umgeräumt und sind startklar. Ein letztes Mal setze ich mich in mein altes Auto und drehe den Schlüssel: Die Benzinleuchte brennt hell, der Zeiger bewegt sich nicht von der Null!
Die Tankstelle ist genau gegenüber, wir haben uns hier schon mit Bullettenbrötchen versorgt. Eine Wasserflasche dient als Benzinkanister. Dem aufmerksamen Leser wird es kein Geheimnis mehr sein. “Und dann habe ich das Auto selber repariert”, so werde ich die Geschichte in den darauf folgenden Tagen mehrmals zu besten geben: “mit einem Liter Benzin.”
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ein 20 Jahre altes Auto stehen bleibt. Es ist allerdings auch nicht unwahrscheinlich, dass bei einem 20 Jahre alten Auto das Benzin ausgeht und die Benzinanzeige spinnt. “Selten, aber kommt schon mal vor”, sagt der Automechaniker am nächsten Tag. Es hatte ja auch nicht an Hinweisen gefehlt. Die Dame von der Versicherung am Telefon, die SMS vom Schwiegervater. Und es gab noch viele weitere Hinweise und ich bin fasziniert, wie es mir möglich war, sie so konsequent zu ignorieren. Der stärkste Wink war wohl der Trip-Kilometerzähler, direkt neben der Benzinanzeige. Der Stand auf knapp über 700 Kilometern. Ich habe stelle ihn immer auf Null, wenn ich tanke. Immer? Nicht immer, manchmal vergesse ich es und das ist wahrscheinlich der Grund, warum ich ihn ignorierte. Mir ist der Kilometerstand sogar aufgefallen und ich meine mich zu erinnern, dass ich mich entschloss, nicht weiter darüber nachzudenken mit dem Gedanken “ich habe wohl vergessen ihn zu nullen”. Ein Schritt weitergedacht, hätte mir auffallen müssen, dass, wenn ich vergessen hätte, ihn zu nullen er nicht bei 700 km hätte stehen dürfen, sondern bei 1200, oder so. Aber, der Trip-Kilometerzähler ist auch schon ein paar mal hängen geblieben (altes Auto!) – aber, wenn der Trip-Kilometerzähler hängen bleiben kann, kann dann nicht auch die Benzinanzeige hängen bleiben? In der Retrospektive eine müßige Frage. Das letzte mal Tanken lag so weit zurück, dass ich lange nachdenken musste, bis ich mich erinnern konnte. Es ist Sommer – das Auto steht in der Garage, ich fahre Motorrad. Mein Motorrad hat übrigens gar keine Benzinanzeige. Man fährt, bis das Benzin ausgeht, dann legt man einen Hahn um, und fährt mit Reserve. Ich weiss also, wie es sich anfühlt, wenn bei der Fahrt das Benzin ausgeht. Ein weiterer Hinweis.
Doch ich traue der Benzinanzeige. Die Nadel liegt bei Null, wenn der Motor aus ist, erst wenn man die Zündung anmacht hebt sie sich. So sah sie auch nicht kaputt aus, sie hat funktioniert, nur eben selbstbewusst das Falsche angezeigt. Es ist eine schöne, konkrete Anzeige, und ich frage mich, wie oft man schönen, konkreten Anzeigen traut, ohne sich weitere Gedanken zu machen. Temperatur ist ein Gegenbeispiel, moderne Wetterberichte geben zwei Werte an: “14 Grad, gefühlt 10 Grad”. Vermutlich gab es kritischere Geister als meine, die die Meteorologen so lange genervt haben, bis diese erkannten: Die absolute Zahl ist nicht die Richtige!
Oder Fernsehzuschauer. Wie Programmchefs die Qualität ihres Programms in Zuschauerzahlen messen. Weil es so eine schöne konkrete Zahl ist, wissenschaftlich erhoben: Doch merkwürdiger Weise sind sich alle einig, dass das immer zuschaueroptimiertere Programm immer schlechter wird. Weil sich die Fernsehmacher nicht trauen, ihrem Gefühl zu trauen und statt dessen auf konkrete Zahlen starren.