Wir Idioten

Die Agenturen melden einen weiteren Angriff. Ein Mann schiesst mit einer Pistole, zündet eine Bombe, greift mit einer Axt an oder mit einem Bügelbrett. Wir sitzen in der Nachrichtenredaktion und wir wissen, dass wir nichts wissen. Oder besser, wir wüssten, wenn wir eine Sekunde hätten, nachzudenken. Es beginnt mit einem Pop-Up-Fenster auf dem Computermonitor: “Attacke auf Passanten in Burglengenfeld, Bayern. Polizei schließt terroristischen Hintergrund nicht aus.” Irgendjemand ruft es laut durch den Newsroom. Es fühlt sich immer etwas seltsam an, wenn so etwas passiert. Es sind widersprüchliche Gefühle, so ähnlich wie “Oh Scheisse, wir haben ein Osterei gefunden!”

Im selben Moment, in dem bei uns die Nachricht auf dem Computermonitor aufpoppt, poppt sie überall auf der Welt in Nachrichtenredaktionen auf tausenden Computermonitoren auf. Man sieht das erste Ergebnis 37 Sekunden später in Form eines Laufbandes bei CNN und BBC. Wir sind nicht ganz so schnell, bei uns dauert es 1 Minute und 17 Sekunden, was zu lauten Unmutsäußerungen im Newsroom führt.

Vor wenigen Jahren war Breaking News noch so selten, dass, wenn das Laufband in Betrieb genommen werden sollte, jemand durch die Redaktion lief und rief: “Kennt sich jemand mir dem Breaking News Laufband aus?”. Damals gab es noch einen speziellen Computer, der erst hochgefahren werden musste.

2 Minuten und 53 Sekunden nach dem Pop-Up ist CNN live, nach 2 Minuten und 58 Sekunden BBC. Ein Nachrichten-Sprecher erscheint auf dem Bildschirm und verkündet dass er nichts weiß.

Naja, verkündet er natürlich nicht – er hatte ja keine Zeit, sich dessen bewußt zu werden. Darüber, dass er nichts weiß und darüber dass man als Nachrichtensprecher niemals sagen darf, dass man nichts weiß. Um über das Letztere nachzudenken, bräuchte man auch viel länger als eine Sekunde. Einen Monat in Klausur auf einer einsamen Insel (ohne Internet) vielleicht. Die rote ON-AIR Lampe leuchtet.

5 Minuten nach Pop-Up sind wir dann auch auf Sendung und schnattern mit den Kollegen von CNN und BBC um die Wette. Richtige Informationen gibt es da natürlich immer noch nicht. Bis klar ist, was eigentlich passierte, werden 7 oder 8 Stunden vergangen sein. Dann wird auch schon einer unserer Leute an den Ort des Geschehens geflogen sein und das Mikrofon mit unserem Logo darauf vor dem Gesicht darüber berichten, auf welchen dunklen Wegen der Täter (13 Jahre, in der Schule gehänselt) das Bügelbrett im Internet bestellt hat.

Einstweilen müssen wir die bildliche Leere füllen, mit Karten, auf denen der Ort des Geschehens mit einem Punkt identifiziert wird, damit dort alle wissen, dass es jetzt Zeit ist, das Mobiltelefon aus dem Fenster zu halten, Fotos zu machen und diese auf Twitter zu laden (#breaking).  37 Sekunden später wird das Bild vielleicht von uns rund um die ganze Welt gesendet. Die Lotterie ist eröffnet und jeder Anwesende kann mitmachen. Jeder kann ein Capa sein. Wir im Fernsehen bedienen uns bei Twitter und keiner der jugendlichen Fotografen, die hier ihr Leben riskieren (noch ‘n Handfoto machen und dann wegrennen oder gleich wegrennen) wird später auch nur einen Cent dafür bekommen. Es sei denn, das Bild wird ikonographisch und der Fotograf hat eigenen ausgefuchsten Medienanwalt an der Hand. Was dann wieder den Capa vom Oskar unterscheidet.

So füllen wir die erste Stunde nach der Tat. Unser nächstgelegener Korrespondent wird angerufen und per Skype zugeschaltet. Das ist praktisch, denn der Korrespondent kann gleichzeitig in die Kamera sprechen, Twitter lesen und (zumindest fast) vor Ort sein.

Auf Twitter ist das Gequatsche schon in vollem Gange. Es wird wild spekuliert und die griffigsten Formulierungen schaffen es sogar zu uns in den Ferseher (mit Namensnennung des Autors – #fame).

Die Bildredaktion greift die Fotos ab, die Social Media Redaktion die Videos. 1 ½ Stunden nach Pop-Up sind dann auch die Bild- und Bewegtbildagenturen soweit. Mehr Bilder trudeln ein, die Bildqualität ändert sich. Profis fotografieren herumschleichende Polizisten in Kampfanzügen. Tatütata.

Die Polizei lässt auf Twitter verlauten, dass der Bügelbrettattentäter immer noch auf freiem Fuß ist und ‘zahlreiche weitere Hinweise’ auf weitere Männer mit Bügelbrettern ‘aus der Bevölkerung’ kommen.

Ein koordinierter Terroranschlag? Nun meldet sich sich endlich auch #ISIS und verkündet, dass dieser Anschlag ein Vergeltungsschlag wäre und sich niemand in der westlichen Welt sicher fühlen solle. Wir Idioten verbreiten das natürlich gerne, es ist wie Medizin gegen den langsam aufkeimenden inneren Zweifel (häh? Bügelbrett?).

Die Menschen wollen gewarnt werden vor terroristischen Gefahren und wir in den Nachrichten machen nur unseren Job.

Am nächsten Morgen stellt sich heraus, dass der Anschlag von einem geistig verwirrtem Täter begangen wurde, der sich im Internet radikalisiert hat. Von einem Einzeltäter kann man nicht sprechen, weil er im Internet noch andere gefunden hat, von denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie nicht, nicht oder doch geistig verwirrt sind.

Der Täter hat sich im Internet radikalisiert, nicht bei uns im Fernsehen. Das möchte ich hervorheben. Das Internet ist Schuld und es bleibt nur noch eine Frage offen: Wann meldet sich endlich Merkel zu Wort?