Etwas mehr von Unendlich ist immer noch fast nichts

Die Leute sagen, dass die Welt komplizierter geworden ist. Und sie sagen damit, dass die Welt früher weniger kompliziert war. Dass die Welt einfacher zu verstehen war, als wir kein Internet, keine Radioteleskope, keine Teilchenbeschleuniger hatten. Früher, sei die Welt überschaubar gewesen.

Das glaube ich nicht. Nun kann man sich mit niemandem unterhalten, der vor 1.000 oder 10.000 Jahren lebt, und so betreten wir mit der Frage, ob die Welt früher einfacher war, das Land der Mutmassungen.

Sicherlich, das Wissen, das die Menschheit über die Welt gesammelt hat, war noch nie so einfach für jeden einzelnen erreichbar. Doch das, was sich jeder davon in den Kopf tun kann ist begrenzt. Es ist begrenzt, durch die Kapazität jederfraus menschlichen Hirns.

Das menschlichen Hirn hat sich in den letzten 200.000 Jahren nicht verändert. Natürlich nehmen wir an, dass wir viel mehr wissen, als unsere Vorfahren in der Savanne. Und wir stellen uns vor, wie ein Jäger und Sammler per Zeitreise in eine unserer modernen Großstädte gelangt und beeindruckt von all diesen Wundern anerkennen müsste, was wir alles wissen und was er alles nicht weiß.

Verloren wären auch moderne Großstadtbewohner, wenn sie in der Savanne der Jäger und Sammler landen würde. Ab und an kommt es tatsächlich vor, dass sich moderne Menschen in ursprünglichen Territorien verlieren. Zum Beispiel in Form von Touristen, die sich immer wieder mal in einem Urwald verlaufen. Wenn sie dann nach 14 Tagen wieder auftauchen sind sie derart abgemagert, dass man sie erst mühsam im Krankenhaus aufgepäppelt muss, bevor sie von Talkshow zu Talkshow gereicht werden können.

Der moderne Mensch mit all seinem Wissen verhungert da, wo der Urmenschen ein komfortables Leben führte. Vermutlich, weil der Urmensch nicht so viel unsinniges Zeug im Kopf mit sich herum trug. Der Historiker Yuval Noah Harari argumentiert, dass der Urmensch dabei auch gesünder und glücklicher durchs Leben lief, als unsereins.

Das, was es über die Welt zu wissen gibt, ist vermutlich unendlich. Und das, was wir tatsächlich wissen, ist nur eine Winzigkeit. Wie ein Korken, der auf einem Ozean schwimmt. Der Korken ist unser Wissen von der Welt, der Ozean, was wir nicht wissen. Vielleicht ist der Korken tatsächlich über die letzten 200.000 Jahre größer geworden. Vielleicht ist aus dem Korken ein Schiff geworden, beladen mit Teleskopen, Teilchenbeschleunigern und Funktelefonen. Vielleicht wurde aus dem Korken das größte Schiff, dass die Menschheit aufbieten kann. Doch dieses Schiff schwimmt wie ein Korken auf einem Ozean.

4 Replies to “Etwas mehr von Unendlich ist immer noch fast nichts”

  1. Ich glaube man muss unterscheiden zwischen Wissen und Komplexitaet der Welt. Das sind zwei verschiedene Dinge. Wissen ueber die Welt ist bestimmt unendlich, aber eher aus der Sicht das Alphabets, naemlich das man unendlich viele Saetze (wahre & falsch, schoene und haessliche) aus den 24 Zeichen bilden kann. Das Wissen liegt nicht in der Welt ‘da Draussen’ sondern wir erfinden all das Wissen. Die komplexe Welt braucht uns dazu nicht.
    Unser Hirn mag dasselbe sein wie das unserer Vorfahren vor 200.000 Jahren, aber das ist es auch wieder nicht. Durch die Komplexitaet der Welt hat sich unser Gehirn angepasst, durch die Anpassung wurde neue Dinge erfunden (Toaster, Flugzeuge, Steuererklaerungen, BWL) die die Welt wieder etwas komplexer machten. Und das setzt sich fort. Vielleicht kann man das mit Sprache erklaeren. Die Lexika werden immer umfangreicher, jedes Jahr kommen neue Begriffe hinzu. Mit den Begriffen werden neue Dinge geboren die auch andere dann ‘sehen’ koennen. Ich wuerde sagen dies ist ein neutraler Indikator der doch belegt das es viel komplexer geworden ist. Die Welt, unser Leben, Knotenpunkte in Netzwerken, in verschachtelten Netzwerken. Ich denke wir alle sind im Laufe der letzten 20 Jahre von gut organisierten Systematikern zu Chaos-Jongleuren geworden.

    1. Kurios, ich würde die Begriffe Wissen über die Welt und Komplexitaet der Welt genau anders herum benutzen wollen als Du.

      Die Komplexität der Welt ist unendlich, das Wissen über die Welt ist endlich.

      Das Wissen kodieren wir in Worten (vermutlich in noch mehr, aber darauf will ich jetzt nicht eingehen). Das Wissen wird größer, wir erfinden mehr Worte (ganz so, wie Du es beschreibst).

      In meiner Metapher vom Korken ist die Komplexität der Welt der unendliche Ozean. Und darauf schwimmt ein Schiff: Das Wissen. Wir alle hängen auf diesem Schiff rum (und tatsächlich, wir können nur auf diesem Schiff überleben, sonst ersaufen wir buchstäblich in der Komplexität). Wir meinen, das Schiff sei die Welt. Tatsächlich aber ist es nur ein winziger Teil der Welt. Manchmal schaut einer über den Bordrand. Das, was er sieht ist unbegreiflich. Wagemutige Menschen erweitern das Schiff und vergrössern es Stück für Stück. Und ja, da gebe ich Dir und Mac recht, das Schiff ist vermutlich größer geworden, was vor allen Dingen der Vernetzung des Wissens geschuldet ist. Wir können eine Vorstellung davon haben, was das Wissen von Haitianern ist, obwohl wir Professor in Dessau sind. Das war vor 500 Jahren unmöglich und vor 50 Jahren viel schwieriger als heute. Das erweitert unser Verständnis. Man sollte sich nur nicht einbilden, dass man die Komplexität der Welt verstehen könne. Was wir verstehen können, ist nur das Schiff, das wir irrtümlich für die Welt halten.

      Mir scheint allerdings, Du möchtest sagen, dass es die Welt nicht gibt. Und dass alles, was wir über die Welt sagen, unsere eigenen Erfindungen sind. Auch da möchte ich Dir von Herzen recht geben. Das Bild vom Ozean und dem Korken, der darauf treibt, ist ja nur eine Metapher. Und unendlich ist sehr nahe an nichts. Das klingt vielleicht paradox, es ist aber ganz einfach sich das vorzustellen: Wenn man eine Gerade von minus unendlich (nichts) bis unendlich hat. Wenn man sich dann vorstellt, dass diese Gerade eine unendlich kleine Krümmung hat, dann wäre die Gerade ein unendlich grosser Kreis. Und irgendwo trifft sich dann unendlich groß mit unendlich klein und ist das selbe.

      😉

  2. Ich kann einigen Punkten hier zustimmen, aber dass sich “das menschlichen Hirn in den letzten 200.000 Jahren nicht verändert hat” halte ich für eine unhaltbare These.

    Die mediale Vernetzung hat sich bereits stark auf die Entwicklung des Gehirns ausgewirkt. Der aktuelle Stand der Neurobiologie legt sogar nahe, dass sich das Gehirn in sehr kurzen Zeiträumen (Wochen und Monate) massiv verändern kann.

    1. Es ist nicht sicher, ob es den Homo Sapiens 100.000 oder 200.000 Jahre gibt. In dieser Zeit gab es jedenfalls kein “Upgrade der Hardware”, wohl aber ein “Update der Software”, die in den Hirnen läuft. Wenn man ein neugeborenes Baby der ersten Generation von vor 200.000 Jahren in der heutigen Welt aufwachsen lassen würde, würde es sich genauso entwickeln wie jetzt geborenen Kinder.

      Was Du vermutlich meinst, ist, dass man davon ausgeht, dass das Hirn plastisch ist, also innerhalb des Hirns Veränderungen wachsen. Diese Veränderungen können aber nur innerhalb der Möglichkeiten des Gehirns passieren. Was ausserhalb der Möglichkeiten des Gehirns ist, bleibt für den Homo Sapiens undenkbar. So wie sich ein Huhn keine Vorstellung vom Universum bilden kann. Das Hirn des Huhns gibt es nicht her – nach allem, was man weiß. Alles was der Mensch begreifen kann, ist innerhalb der Möglichkeiten seines Hirns angelegt. Jetzt wäre es verwegen anzunehmen, dass der Mensch die Welt, die ihn umgibt, gänzlich erfassen kann. Warum ausgerechnet der Mensch, mit seinem Hirn? Warum nicht eine Spezies, die es erst in 20 Millionen Jahren gibt?

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