Brexit, die Abstimmung über den Friedensvertrag in Kolumbien, die US-Wahl – Demoskopen lagen bei allen bedeutenden Abstimmungen der jüngsten Zeit völlig daneben.
Ich habe vor der Präsidentschaftswahl einen amerikanischen Meinungsforscher im Radio gehört. Ob denn ein Fehler wie beim Brexit passieren könne, wurde er gefragt. Die Antwort war eindeutig: Man habe in den USA viel genauere Methoden und würde auch sehr viel mehr Geld investieren als in England.
Es ist kurios. Am Tag nach dem völlig unvorhersehbaren Ergebnis rätseln die Experten, was denn wohl an ihren Zahlen falsch gewesen sei. Den Kopf über neue Zahlen gebeugt, als ob man nun plötzlich doch die Wahrheit daraus erkennen könne.
Es ist etwas grundsätzliches falsch am Zahlendenken. Kein kluger Politiker verlässt sich heutzutage mehr auf sein Gefühl, auf seinen moralischen Kompass, auf seine Überzeugungen. Politiker werden von Heerscharen von Analytikern beraten:
Mit der Unzweifelhaftigkeit konkreter Zahlen wird vorausgesagt, was das Volk wollen wird. Es wird abgeleitet, wie sich Politiker verhalten müssen, um erfolgreich beim Wähler zu sein und die Politiker verhalten sich entsprechend. Doch das können sie nur, indem sie sich verbiegen. Das Verbiegen kann man zwar nicht messen, doch das Publikum spürt es.
Trump hat alles falsch gemacht. Vermutlich aus Dummdreistigkeit. Verbogen hat er sich nicht. Das Publikum hat es ihm belohnt.
Die gebildeten Menschen haben gelernt, die Welt in Zahlen zu sehen, das Problem ist nur: die Welt lässt sich nicht in Zahlen quetschen. Und das Prinzip gilt auch in anderen Bereichen. Fernsehprogramme zum Beispiel, werden nicht mehr von Menschen mit Visionen gemacht, sondern von Verwaltern und Statistikern. Und bereits seit einigen Jahren funktioniert Journalismus nach dem Prinzip der Zahlen. Wahr ist, was sich in Zahlen ausdrücken lässt und richtig ist, wenn es sich durch Zahlen belegbar ist.
Demoskopen schauen auf die Bildschirme ihrer Computer, als wären es Glaskugeln, sehen Zahlenreihen und lesen daraus die Zukunft. Dem Orakel von Delphi war vermutlich auch nicht klar, dass ein Orakel ist, es dachte vermutlich, es könne die Zukunft sehen. Wir können sie heute ausrechnen. Oder vielmehr, wir können sie nicht ausrechnen.
Das ganze könnte ein großer Witz sein, doch das unlustige ist, dass mittlerweile so gut wie alle Entscheidungen auf Grundlage von Prognosen getroffen werden. Reale Entscheidungen, auf der Grundlage von Wahrscheinlichkeiten. So wird moderne Politik gemacht, wird Fernsehen gemacht, werden Städte gebaut.
Es gibt tatsächlich einen Trick, wie man die Zukunft formen kann. Man muss nur ganz fest daran glauben. Das ist kein Hokuspokus sondern ganz logisch, denn die Zukunft, die man fest im Blick hat, hat eine viel höhere Wahrscheinlichkeit Wirklichkeit zu werden. Das klappt nicht immer, aber überraschen oft. Auf wie großem Level, hat Trump gerade vorgeführt. Den Orakeln der Demoskopen zum Trotz.
In diesem Zusammenhang passt auch gut die Analyse von Danah Boyd. Sie schreibt:
“Everyone and their mother wants to collect data from the public. And the public is tired of being asked, which they perceive as being nagged. They don’t trust these systems and so normal respondent bias becomes downright deceptive. You cannot collect reasonable data when the public doesn’t believe in the data collection project. And pollsters have pretty much killed off their ability to do reasonable polling. It’s like what happens when you plant the same crop over and over again until the land can no longer sustain that crop.
Polling is dead, and we need to accept that.”
http://www.zephoria.org/thoughts/archives/2016/11/10/polling-is-inaccurate.html
Ich glaube allerdings, dass die Prognosen, das Zahlendenken schon immer Quatsch waren, nicht erst, seit die Menschen beschlossen haben, nicht mehr im Befragungsspiel mitzumachen.
Wir schenken Zahlen so viel glauben, weil sie so wahr, so eindeutig daherkommen. Ein etwas länglicher Text, der beschreibt, wie ich an der Realität vorbeigeschaut habe, beeindruckt von der Autorität einer Benzinuhr: http://pha.de/texte/benzin/